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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Leo.

Ergänzen wir das fernere Leben chronologisch aus seinen historischen Werken,
soweit in diesen seine Individualität hervortritt. Leo blieb bis Ende August 1822
in Erlangen und ging im September nach Berlin, wo er an Hegel und durch
die Fürstin von Rudolstadt an die Prinzessin Wilhelm, die Schwägerin des Königs
Friedrich Wilhelm III., sowie an Johannes Schulz, den Decerueuteu in Uni¬
versitätsangelegenheiten, empfohlen war. Nachdem er hier im Januar 1823 die
Schrift "Ueber die Verfassung der lombardischen Städte" dem Publieum über¬
geben hatte, trat er eine Reise nach Italien an zum Studium von Urkunden.
Nach einer achtmonatlichen Abwesenheit zurückgekehrt, vervollständigte er jene
Schrift und gab dieselbe unter dem Titel heraus: Entwicklung der Ver¬
fassung der lombardischen Städte bis zu der Ankunft Kaiser Friedrichs l.
in Italien mit der Widmung "an Jhro Durchlaucht Frauen Carolinen Luisen,
verwitwete Fürstin zu Schwarzburg-Rudolstadt, gebornen Landgräfin von Hessen-
Homburg als Beweis innigsten Dankgefühls." Mit dieser Arbeit habilitirte sich
Leo an der Universität Berlin und wurde im December zum außerordentlichen
Professor ernannt. Im Jahre 1828 wurden die hier gehaltnen Vorlesungen
über die Geschichte des jüdischen Staates veröffentlicht. Es schien ihm
(nach dem Vorwort) dringend nöthig, den jüdischen Staat einmal von einem
allgemeinern Standpunkte politischer Erkenntniß aus zu betrachten und zugleich
der Mühe werth, die welthistorische Bedeutung der alte" jüdische" Nation auch
in andrer als in religiöser Beziehung hervorzuheben. Die Vorträge sind mit
moderner Kritik dem Rationalismus zugeneigt.

In der 1826 zu Berlin erschienenen Schrift Die Briefe des Floren-
tinischen Kanzlers Niccolo Maechiavelli an seine Freunde findet Leo
dessen weltgeschichtliche Bedeutung darin, daß er nützlichen Rath gegeben habe
zur Umformung des mittelalterlichen Staates in das unbeschränkte Fürstenthum
der Neuzeit, welche die Aufgabe des sechzehnten Jahrhunderts gewesen sei. Der
Inhalt seiner Lehren sei lediglich aus seiner Persönlichkeit zu erklären. Ebenso
geistreich als schneidend spricht Leo seine Ueberzeugung aus, daß Maechiavelli
nimmermehr die Befreiung Italiens von den Barbaren zum Ziele gesetzt, weil
er jene gar nicht für fähig zu solchem Unternehmen erachtet habe. Durch "ut
durch Italiener, daher ein Verstandesmensch im Gegensatz zu den Deutschen,
welche vorzugsweise Geinüthsmeuschen seien, habe er einen harten Kern in sich
getragen, welcher die ganze Welt nur als ein Spiel von Kräften betrachte, mit
denen man sich einlassen, denen man sich aber nicht überlassen dürfe.

Im Mai 1828 wurde Leo als außerordentlicher Professor nach Halle be¬
rufen, wo er im Jahre 1330 ordentlicher Professor wurde und bis an sein
Lebensende blieb.


Erinnerungen an Heinrich Leo.

Ergänzen wir das fernere Leben chronologisch aus seinen historischen Werken,
soweit in diesen seine Individualität hervortritt. Leo blieb bis Ende August 1822
in Erlangen und ging im September nach Berlin, wo er an Hegel und durch
die Fürstin von Rudolstadt an die Prinzessin Wilhelm, die Schwägerin des Königs
Friedrich Wilhelm III., sowie an Johannes Schulz, den Decerueuteu in Uni¬
versitätsangelegenheiten, empfohlen war. Nachdem er hier im Januar 1823 die
Schrift „Ueber die Verfassung der lombardischen Städte" dem Publieum über¬
geben hatte, trat er eine Reise nach Italien an zum Studium von Urkunden.
Nach einer achtmonatlichen Abwesenheit zurückgekehrt, vervollständigte er jene
Schrift und gab dieselbe unter dem Titel heraus: Entwicklung der Ver¬
fassung der lombardischen Städte bis zu der Ankunft Kaiser Friedrichs l.
in Italien mit der Widmung „an Jhro Durchlaucht Frauen Carolinen Luisen,
verwitwete Fürstin zu Schwarzburg-Rudolstadt, gebornen Landgräfin von Hessen-
Homburg als Beweis innigsten Dankgefühls." Mit dieser Arbeit habilitirte sich
Leo an der Universität Berlin und wurde im December zum außerordentlichen
Professor ernannt. Im Jahre 1828 wurden die hier gehaltnen Vorlesungen
über die Geschichte des jüdischen Staates veröffentlicht. Es schien ihm
(nach dem Vorwort) dringend nöthig, den jüdischen Staat einmal von einem
allgemeinern Standpunkte politischer Erkenntniß aus zu betrachten und zugleich
der Mühe werth, die welthistorische Bedeutung der alte» jüdische» Nation auch
in andrer als in religiöser Beziehung hervorzuheben. Die Vorträge sind mit
moderner Kritik dem Rationalismus zugeneigt.

In der 1826 zu Berlin erschienenen Schrift Die Briefe des Floren-
tinischen Kanzlers Niccolo Maechiavelli an seine Freunde findet Leo
dessen weltgeschichtliche Bedeutung darin, daß er nützlichen Rath gegeben habe
zur Umformung des mittelalterlichen Staates in das unbeschränkte Fürstenthum
der Neuzeit, welche die Aufgabe des sechzehnten Jahrhunderts gewesen sei. Der
Inhalt seiner Lehren sei lediglich aus seiner Persönlichkeit zu erklären. Ebenso
geistreich als schneidend spricht Leo seine Ueberzeugung aus, daß Maechiavelli
nimmermehr die Befreiung Italiens von den Barbaren zum Ziele gesetzt, weil
er jene gar nicht für fähig zu solchem Unternehmen erachtet habe. Durch »ut
durch Italiener, daher ein Verstandesmensch im Gegensatz zu den Deutschen,
welche vorzugsweise Geinüthsmeuschen seien, habe er einen harten Kern in sich
getragen, welcher die ganze Welt nur als ein Spiel von Kräften betrachte, mit
denen man sich einlassen, denen man sich aber nicht überlassen dürfe.

Im Mai 1828 wurde Leo als außerordentlicher Professor nach Halle be¬
rufen, wo er im Jahre 1330 ordentlicher Professor wurde und bis an sein
Lebensende blieb.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/218>, abgerufen am 28.07.2024.