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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Erinnerungen an Heinrich Teo.

Holländer, eine nordöstliche Durchfahrt nach Ostindien zu gewinnen. Er las sie
nicht, er verschlang sie -- immer und immer wieder, wohl zwanzigmal im
nächsten Jahre. Diese holländischen Seefahrer Jakob Heemskerk und Barends
behielten, sein Hauptinteresse. Energische Gefühle waren in ihm erzogen, aber
vor Verwilderung bewahrt worden.

Das wurde anders, als 1807 der Vater starb. In der Vaterlvsigkeit lag
nach seiner eignen Aeußerung eine Seite des Fluches, den er hat ertragen müssen
und den er nie hat ganz verschmerzen können.

Als die Mutter, an der er von Kindesbeinen an ein Muster und Vor¬
bild treuester weiblicher und mütterlicher Aufopferung gehabt hat, Ostern 1808
nach Rudolstadt zog, wurde er in die Quinta gesetzt. Trotz der heilsamen Lehren
der zu segensreichem Erziehungswirken geschaffnen Persönlichkeit B. R. Abekens
war doch der Rest der religiösen Grundlagen, den Leo vom Dorfe mit zur Stadt
gebracht hatte, von Jahr zu Jahr mehr zerfressen; er stand am Ende seiner
Schulzeit als ein religiös bodenloser, völlig indifferenter Mensch da. Erst Gött-
ling, welcher Abeken ersetzte, wurde der feste Stamm, an welchem sich die zu Boden
gesunknen Triebe seiner Seele zu neuem, kräftigem Leben emporrankten. Dieser hat
alsbald nach seinem Erscheinen in Rudolstadt (1815) auf Leo durch die Frische und
redliche Kraft, die sein ganzes Wesen umgab, deu wohlthätigsten Einfluß allsgeübt.

Zu Michaelis 1816 verließ Leo, erst 17^ Jahre alt, das Ghmuasium zu
Rudolstadt, um in Breslau seine Studien zu beginnen, Eine unbestimmte Reise¬
lust, eine Sehnsucht in die Ferne trieb ihn dazu, eine entferntere Universität zu
besuchen. Auf der Reise dahin lernte er den Turnvater Jahr kennen, dessen
Worte seinen Gedanken eine neue Richtung gaben. Jener meinte, jetzt komme
alles darauf an, dem Volke ein neues Geschlecht zu erziehen, und wenn ihn die
Philologie uicht anziehe, solle er Geschichte studiren. Das blieb in seiner Seele
haften und er kam in Breslau mit dem Entschlüsse an, sich zu den Geschichts¬
studien als zum Berufe seines Lebens, d. h. zu ihnen als zu einem Mittel der
Volksbildung zu wenden, noch nicht um ihrer selbst willen. Ein nach Form und
Inhalt prächtiger und gehaltvoller Brief von Göttling mit der Mahnung, bei der
lebendigen Philologie zu bleiben und für einige Zeit Schulmann zu werden,
führten ihn wieder mit enthusiastischem Feuer auf die vorgezeichnete Bahn. Er
hörte bei dem durch und durch seinen, zartfühlenden, von geistreicher Ironie über¬
fließenden Passow, bei Schneider und bei dem wunderlichen Wachler, "von dessen
waghalsiger Schiefheit des Urtheils man sich keinen eine Vorstellung machen kann,
wenn man die Sache selbst nicht gehört hat."

Im Juli 1817 ging Leo von Breslau nach Jena. Hier ließ er sich sogleich
in die Burschenschaft aufnehmen. Die Schilderungen des eigenthümlichen Wesens


Erinnerungen an Heinrich Teo.

Holländer, eine nordöstliche Durchfahrt nach Ostindien zu gewinnen. Er las sie
nicht, er verschlang sie — immer und immer wieder, wohl zwanzigmal im
nächsten Jahre. Diese holländischen Seefahrer Jakob Heemskerk und Barends
behielten, sein Hauptinteresse. Energische Gefühle waren in ihm erzogen, aber
vor Verwilderung bewahrt worden.

Das wurde anders, als 1807 der Vater starb. In der Vaterlvsigkeit lag
nach seiner eignen Aeußerung eine Seite des Fluches, den er hat ertragen müssen
und den er nie hat ganz verschmerzen können.

Als die Mutter, an der er von Kindesbeinen an ein Muster und Vor¬
bild treuester weiblicher und mütterlicher Aufopferung gehabt hat, Ostern 1808
nach Rudolstadt zog, wurde er in die Quinta gesetzt. Trotz der heilsamen Lehren
der zu segensreichem Erziehungswirken geschaffnen Persönlichkeit B. R. Abekens
war doch der Rest der religiösen Grundlagen, den Leo vom Dorfe mit zur Stadt
gebracht hatte, von Jahr zu Jahr mehr zerfressen; er stand am Ende seiner
Schulzeit als ein religiös bodenloser, völlig indifferenter Mensch da. Erst Gött-
ling, welcher Abeken ersetzte, wurde der feste Stamm, an welchem sich die zu Boden
gesunknen Triebe seiner Seele zu neuem, kräftigem Leben emporrankten. Dieser hat
alsbald nach seinem Erscheinen in Rudolstadt (1815) auf Leo durch die Frische und
redliche Kraft, die sein ganzes Wesen umgab, deu wohlthätigsten Einfluß allsgeübt.

Zu Michaelis 1816 verließ Leo, erst 17^ Jahre alt, das Ghmuasium zu
Rudolstadt, um in Breslau seine Studien zu beginnen, Eine unbestimmte Reise¬
lust, eine Sehnsucht in die Ferne trieb ihn dazu, eine entferntere Universität zu
besuchen. Auf der Reise dahin lernte er den Turnvater Jahr kennen, dessen
Worte seinen Gedanken eine neue Richtung gaben. Jener meinte, jetzt komme
alles darauf an, dem Volke ein neues Geschlecht zu erziehen, und wenn ihn die
Philologie uicht anziehe, solle er Geschichte studiren. Das blieb in seiner Seele
haften und er kam in Breslau mit dem Entschlüsse an, sich zu den Geschichts¬
studien als zum Berufe seines Lebens, d. h. zu ihnen als zu einem Mittel der
Volksbildung zu wenden, noch nicht um ihrer selbst willen. Ein nach Form und
Inhalt prächtiger und gehaltvoller Brief von Göttling mit der Mahnung, bei der
lebendigen Philologie zu bleiben und für einige Zeit Schulmann zu werden,
führten ihn wieder mit enthusiastischem Feuer auf die vorgezeichnete Bahn. Er
hörte bei dem durch und durch seinen, zartfühlenden, von geistreicher Ironie über¬
fließenden Passow, bei Schneider und bei dem wunderlichen Wachler, „von dessen
waghalsiger Schiefheit des Urtheils man sich keinen eine Vorstellung machen kann,
wenn man die Sache selbst nicht gehört hat."

Im Juli 1817 ging Leo von Breslau nach Jena. Hier ließ er sich sogleich
in die Burschenschaft aufnehmen. Die Schilderungen des eigenthümlichen Wesens


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[0216] Erinnerungen an Heinrich Teo. Holländer, eine nordöstliche Durchfahrt nach Ostindien zu gewinnen. Er las sie nicht, er verschlang sie — immer und immer wieder, wohl zwanzigmal im nächsten Jahre. Diese holländischen Seefahrer Jakob Heemskerk und Barends behielten, sein Hauptinteresse. Energische Gefühle waren in ihm erzogen, aber vor Verwilderung bewahrt worden. Das wurde anders, als 1807 der Vater starb. In der Vaterlvsigkeit lag nach seiner eignen Aeußerung eine Seite des Fluches, den er hat ertragen müssen und den er nie hat ganz verschmerzen können. Als die Mutter, an der er von Kindesbeinen an ein Muster und Vor¬ bild treuester weiblicher und mütterlicher Aufopferung gehabt hat, Ostern 1808 nach Rudolstadt zog, wurde er in die Quinta gesetzt. Trotz der heilsamen Lehren der zu segensreichem Erziehungswirken geschaffnen Persönlichkeit B. R. Abekens war doch der Rest der religiösen Grundlagen, den Leo vom Dorfe mit zur Stadt gebracht hatte, von Jahr zu Jahr mehr zerfressen; er stand am Ende seiner Schulzeit als ein religiös bodenloser, völlig indifferenter Mensch da. Erst Gött- ling, welcher Abeken ersetzte, wurde der feste Stamm, an welchem sich die zu Boden gesunknen Triebe seiner Seele zu neuem, kräftigem Leben emporrankten. Dieser hat alsbald nach seinem Erscheinen in Rudolstadt (1815) auf Leo durch die Frische und redliche Kraft, die sein ganzes Wesen umgab, deu wohlthätigsten Einfluß allsgeübt. Zu Michaelis 1816 verließ Leo, erst 17^ Jahre alt, das Ghmuasium zu Rudolstadt, um in Breslau seine Studien zu beginnen, Eine unbestimmte Reise¬ lust, eine Sehnsucht in die Ferne trieb ihn dazu, eine entferntere Universität zu besuchen. Auf der Reise dahin lernte er den Turnvater Jahr kennen, dessen Worte seinen Gedanken eine neue Richtung gaben. Jener meinte, jetzt komme alles darauf an, dem Volke ein neues Geschlecht zu erziehen, und wenn ihn die Philologie uicht anziehe, solle er Geschichte studiren. Das blieb in seiner Seele haften und er kam in Breslau mit dem Entschlüsse an, sich zu den Geschichts¬ studien als zum Berufe seines Lebens, d. h. zu ihnen als zu einem Mittel der Volksbildung zu wenden, noch nicht um ihrer selbst willen. Ein nach Form und Inhalt prächtiger und gehaltvoller Brief von Göttling mit der Mahnung, bei der lebendigen Philologie zu bleiben und für einige Zeit Schulmann zu werden, führten ihn wieder mit enthusiastischem Feuer auf die vorgezeichnete Bahn. Er hörte bei dem durch und durch seinen, zartfühlenden, von geistreicher Ironie über¬ fließenden Passow, bei Schneider und bei dem wunderlichen Wachler, „von dessen waghalsiger Schiefheit des Urtheils man sich keinen eine Vorstellung machen kann, wenn man die Sache selbst nicht gehört hat." Im Juli 1817 ging Leo von Breslau nach Jena. Hier ließ er sich sogleich in die Burschenschaft aufnehmen. Die Schilderungen des eigenthümlichen Wesens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/216>, abgerufen am 28.07.2024.