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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich Voß.

römischen Schriftstellers scherzte -- "deutsch lernen zu lassen," war eine For¬
derung, die an Voß' wissenschaftliches Gewissen gestellt wurde und der er sich
uicht entziehen konnte und durfte. Schon im Jahre 1781 war die verdeutschte
Odyssee erschienen, einzelne Proben der Uebersetzung waren 1777 und 1779 be¬
reits gedruckt. Vor wenigen Wochen ist das schon selten gewordne Buch durch
Michael Bernays' treue Sorgfalt wieder allgemein zugänglich geworden. Der
Dichter Voß konnte mit der Uebersetzung zufrieden sein, dem rüstig fortarbeitenden
Gelehrten wollte sie nicht mehr genügen. Er hatte in jahrelangem Studium
sich tief und tiefer in die Gesetze der griechischen und deutschen Sprache versenkt,
die gewonnene Ueberzeugung dürfte er der Welt nicht vorenthalten. Das Re¬
sultat war nichts weniger, als daß es möglich, auch deutsche Hexameter metrisch
richtig zu bauen, etwas, was weder Klopstock noch Stolberg erreicht hatten.
Freilich die Poesie wurde dabei doch bisweilen zu stark commandirt, oder wenn
wir es noch prägnanter ausdrücken wollen: "einexercirt," der Duft des Ursprüng¬
lichen ging mitunter sehr verloren. Das fühlten Goethe und die Weimarer am
meisten. Aber Voß ließ sich nicht beirren. Zum Glück, dürfen wir sagen, denn
er hat die Gesetze gefunden und zuerst ausgesprochen, die sür jede Uebertragung
eines Dichterwerks aus einer fremden in unsre Sprache für alle Zukunft muster-
giltig bleiben werden. So konnte Voß bereits im October 1786 schreiben: "ich
arbeite mit großer Lust und sicherer als bei der Odyssee. Denn vieles, was
damals nur dunkles Gefühl bei mir war, ist seitdem helle Regel geworden; und
ich bin nicht leicht in Gefahr nach einem falschen Ziele zu steuern und Kräfte
zu verschwenden. Die Odyssee selbst hat durch meine Arbeit noch gewonnen; und
ich habe beschlossen, vieles im Versbau, was ich bisher noch als kleineres Uebel
dulden zu müssen glaubte, schlechterdings auszumerzen. Die Vorstellung von
nothwendigen kleinerm Uebel war eitel. Man kann sehr gut umhin."

Daß Stolberg nicht gerade entzückt von Voß' Unternehmen war, wer wollte
es ihm verübeln? Aber wie die vorliegenden Briefe zeigen, hat er bereits am
20. October 1786 seine Zustimmung ausgesprochen. Das hat Voß damals
selbst anerkannt. In dem Briefe, aus welchem wir vorher ein Fragment mit¬
getheilt haben, finden sich in Bezug auf die Boßische Jliasübcrsetzung die Worte:
"Stolberg hat sich sehr edel genommen." Aber bereits im März 1787 Nagt
Voß an den Schwager Vvic: "Stolberg besinnt sich gewiß, wie unwürdig er
seiner, meiner und Homers handelt. Lebe" und Tod meiner Ilias war nach
dem ersten Gesänge in seinen Händen. Er schwieg, und schrieb endlich einen
Brief -- den ihm die Freundschaft verzeihe. Ich antwortete, daß er sein Mi߬
fallen an meiner Arbeit nur mit Ja oder Nein hätte äußern dürfen, und versprach
ihm das Werk liegen zu lassen. Jetzt ging er in sich, schrieb einen Brief voll


Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich Voß.

römischen Schriftstellers scherzte — „deutsch lernen zu lassen," war eine For¬
derung, die an Voß' wissenschaftliches Gewissen gestellt wurde und der er sich
uicht entziehen konnte und durfte. Schon im Jahre 1781 war die verdeutschte
Odyssee erschienen, einzelne Proben der Uebersetzung waren 1777 und 1779 be¬
reits gedruckt. Vor wenigen Wochen ist das schon selten gewordne Buch durch
Michael Bernays' treue Sorgfalt wieder allgemein zugänglich geworden. Der
Dichter Voß konnte mit der Uebersetzung zufrieden sein, dem rüstig fortarbeitenden
Gelehrten wollte sie nicht mehr genügen. Er hatte in jahrelangem Studium
sich tief und tiefer in die Gesetze der griechischen und deutschen Sprache versenkt,
die gewonnene Ueberzeugung dürfte er der Welt nicht vorenthalten. Das Re¬
sultat war nichts weniger, als daß es möglich, auch deutsche Hexameter metrisch
richtig zu bauen, etwas, was weder Klopstock noch Stolberg erreicht hatten.
Freilich die Poesie wurde dabei doch bisweilen zu stark commandirt, oder wenn
wir es noch prägnanter ausdrücken wollen: „einexercirt," der Duft des Ursprüng¬
lichen ging mitunter sehr verloren. Das fühlten Goethe und die Weimarer am
meisten. Aber Voß ließ sich nicht beirren. Zum Glück, dürfen wir sagen, denn
er hat die Gesetze gefunden und zuerst ausgesprochen, die sür jede Uebertragung
eines Dichterwerks aus einer fremden in unsre Sprache für alle Zukunft muster-
giltig bleiben werden. So konnte Voß bereits im October 1786 schreiben: „ich
arbeite mit großer Lust und sicherer als bei der Odyssee. Denn vieles, was
damals nur dunkles Gefühl bei mir war, ist seitdem helle Regel geworden; und
ich bin nicht leicht in Gefahr nach einem falschen Ziele zu steuern und Kräfte
zu verschwenden. Die Odyssee selbst hat durch meine Arbeit noch gewonnen; und
ich habe beschlossen, vieles im Versbau, was ich bisher noch als kleineres Uebel
dulden zu müssen glaubte, schlechterdings auszumerzen. Die Vorstellung von
nothwendigen kleinerm Uebel war eitel. Man kann sehr gut umhin."

Daß Stolberg nicht gerade entzückt von Voß' Unternehmen war, wer wollte
es ihm verübeln? Aber wie die vorliegenden Briefe zeigen, hat er bereits am
20. October 1786 seine Zustimmung ausgesprochen. Das hat Voß damals
selbst anerkannt. In dem Briefe, aus welchem wir vorher ein Fragment mit¬
getheilt haben, finden sich in Bezug auf die Boßische Jliasübcrsetzung die Worte:
„Stolberg hat sich sehr edel genommen." Aber bereits im März 1787 Nagt
Voß an den Schwager Vvic: „Stolberg besinnt sich gewiß, wie unwürdig er
seiner, meiner und Homers handelt. Lebe» und Tod meiner Ilias war nach
dem ersten Gesänge in seinen Händen. Er schwieg, und schrieb endlich einen
Brief — den ihm die Freundschaft verzeihe. Ich antwortete, daß er sein Mi߬
fallen an meiner Arbeit nur mit Ja oder Nein hätte äußern dürfen, und versprach
ihm das Werk liegen zu lassen. Jetzt ging er in sich, schrieb einen Brief voll


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[0208] Briefe des Grafen Friedrich Leopold Stolberg an Johann Heinrich Voß. römischen Schriftstellers scherzte — „deutsch lernen zu lassen," war eine For¬ derung, die an Voß' wissenschaftliches Gewissen gestellt wurde und der er sich uicht entziehen konnte und durfte. Schon im Jahre 1781 war die verdeutschte Odyssee erschienen, einzelne Proben der Uebersetzung waren 1777 und 1779 be¬ reits gedruckt. Vor wenigen Wochen ist das schon selten gewordne Buch durch Michael Bernays' treue Sorgfalt wieder allgemein zugänglich geworden. Der Dichter Voß konnte mit der Uebersetzung zufrieden sein, dem rüstig fortarbeitenden Gelehrten wollte sie nicht mehr genügen. Er hatte in jahrelangem Studium sich tief und tiefer in die Gesetze der griechischen und deutschen Sprache versenkt, die gewonnene Ueberzeugung dürfte er der Welt nicht vorenthalten. Das Re¬ sultat war nichts weniger, als daß es möglich, auch deutsche Hexameter metrisch richtig zu bauen, etwas, was weder Klopstock noch Stolberg erreicht hatten. Freilich die Poesie wurde dabei doch bisweilen zu stark commandirt, oder wenn wir es noch prägnanter ausdrücken wollen: „einexercirt," der Duft des Ursprüng¬ lichen ging mitunter sehr verloren. Das fühlten Goethe und die Weimarer am meisten. Aber Voß ließ sich nicht beirren. Zum Glück, dürfen wir sagen, denn er hat die Gesetze gefunden und zuerst ausgesprochen, die sür jede Uebertragung eines Dichterwerks aus einer fremden in unsre Sprache für alle Zukunft muster- giltig bleiben werden. So konnte Voß bereits im October 1786 schreiben: „ich arbeite mit großer Lust und sicherer als bei der Odyssee. Denn vieles, was damals nur dunkles Gefühl bei mir war, ist seitdem helle Regel geworden; und ich bin nicht leicht in Gefahr nach einem falschen Ziele zu steuern und Kräfte zu verschwenden. Die Odyssee selbst hat durch meine Arbeit noch gewonnen; und ich habe beschlossen, vieles im Versbau, was ich bisher noch als kleineres Uebel dulden zu müssen glaubte, schlechterdings auszumerzen. Die Vorstellung von nothwendigen kleinerm Uebel war eitel. Man kann sehr gut umhin." Daß Stolberg nicht gerade entzückt von Voß' Unternehmen war, wer wollte es ihm verübeln? Aber wie die vorliegenden Briefe zeigen, hat er bereits am 20. October 1786 seine Zustimmung ausgesprochen. Das hat Voß damals selbst anerkannt. In dem Briefe, aus welchem wir vorher ein Fragment mit¬ getheilt haben, finden sich in Bezug auf die Boßische Jliasübcrsetzung die Worte: „Stolberg hat sich sehr edel genommen." Aber bereits im März 1787 Nagt Voß an den Schwager Vvic: „Stolberg besinnt sich gewiß, wie unwürdig er seiner, meiner und Homers handelt. Lebe» und Tod meiner Ilias war nach dem ersten Gesänge in seinen Händen. Er schwieg, und schrieb endlich einen Brief — den ihm die Freundschaft verzeihe. Ich antwortete, daß er sein Mi߬ fallen an meiner Arbeit nur mit Ja oder Nein hätte äußern dürfen, und versprach ihm das Werk liegen zu lassen. Jetzt ging er in sich, schrieb einen Brief voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/208>, abgerufen am 23.07.2024.