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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Line nationale Krankheit,

unter den deutschen Professoren, welche auf einige Vorträge "reisen". Nie aber
muthet uns diese Neuerung anders als erheiternd an. Mit welchem tiefen Ernste
referirt der Reporter, daß Professor .L in dem Kaufmännischer Verein oder im
Bürgervcreine vor einer zahlreichen Versammlung von Handclsbeflissncn, biedern
Handwerkern n. s. w. über die Ausgrabungen von Olympia oder die Funde von
Pergcunon unter allgemeinem Beifall gesprochen habe. Wann endlich wird der
gute Sinn unsres Volkes sich gegen das alberne Popnlarisiren wenden und das
, als Kost nur verlangen, was ihm gebührt? Was soll einem Commis, der den
ganzen Tag in seinem Condor steht, der nicht die geringsten archäologischen Vor-
kenntnisse hat, aber um "gebildet" zu erscheinen, ein verlognes Interesse zur Schau
trägt, was soll dem Armen Olympia?

Wir können derartige Beispiele noch in Menge bringen, wir überlassen aber
die Ausführung dem geneigten Leser. Nur uoch ein Beispiel mochten wir anführen.
Die meisten Bürgervcreine, wie wir sie nennen wollen, jagen, damit ihre Vor¬
stände sich am Tische des Hauses in ihrer Würde fühlen und sonnen können,
nach der Behandlung von Tagesfragen. Das pflegt ihre Versammlungen ein
wenig zu füllen.

Der Verfasser hatte einmal Gelegenheit, in einem solchen Verein von einem
strebsamen jüngern Mediciner, der sich einen Namen und Praxis machen wollte,
einen Vortrag über die Ueberbürdung unsrer Kinder mit häuslichen Schularbeiten
zu hören. Mit patriotischer Beklemmung mußten wir vernehmen, zu welchen
Krüppeln in geistiger und körperlicher Beziehung die Schule unsrer Tage die
deutsche Jugend heranbildet. Der Vortrag sand natürlich allgemeinen Beifall,
und nachdem noch einige Redner sehr energisch sich gegen die Schule ausgesprochen
hatten, schloß der Vorsitzende die Versammlung und zugleich das Vereinsjahr
mit einigen landesüblichen Phrasen, von denen ich mir nur gemerkt habe, daß
der rege wissenschaftliche Sinn, die politische Reife und das wahrhaft ernste
Strebet! unsrer Bevölkerung in glänzender Weise sich durch den zahlreichen Bestich
der Versammlungen documentirt habe.

Ich ging betrübt nach Hause. In 200 Familien, sagte ich mir, fehlt heute
Abend das Familienoberhaupt, denn wenigstens 200 Familienväter waren in
dieser Versammlung, und während der Vater über die Ueberbürdung unsrer Ju¬
gend spricht, sitzt der hoffnungsvolle Sohn im Tabaksqualm in einem ungesunden
Local beim Biere und legt hier den Grund zu allerhand Uebeln, die dem Aschen¬
brödel "Schule" in die Schuhe geschoben werden. Im besten Falle sitzt er mit
einem Roman zu Hause oder treibt Allotria. Der mütterlichen Autorität ist ja
der 16jährige längst entwachsen und die väterliche Controle fehlt ganz und gar.
Setzt sich dann der Junge noch um 10 Uhr an die Arbeit, so findet natürlich


Line nationale Krankheit,

unter den deutschen Professoren, welche auf einige Vorträge „reisen". Nie aber
muthet uns diese Neuerung anders als erheiternd an. Mit welchem tiefen Ernste
referirt der Reporter, daß Professor .L in dem Kaufmännischer Verein oder im
Bürgervcreine vor einer zahlreichen Versammlung von Handclsbeflissncn, biedern
Handwerkern n. s. w. über die Ausgrabungen von Olympia oder die Funde von
Pergcunon unter allgemeinem Beifall gesprochen habe. Wann endlich wird der
gute Sinn unsres Volkes sich gegen das alberne Popnlarisiren wenden und das
, als Kost nur verlangen, was ihm gebührt? Was soll einem Commis, der den
ganzen Tag in seinem Condor steht, der nicht die geringsten archäologischen Vor-
kenntnisse hat, aber um „gebildet" zu erscheinen, ein verlognes Interesse zur Schau
trägt, was soll dem Armen Olympia?

Wir können derartige Beispiele noch in Menge bringen, wir überlassen aber
die Ausführung dem geneigten Leser. Nur uoch ein Beispiel mochten wir anführen.
Die meisten Bürgervcreine, wie wir sie nennen wollen, jagen, damit ihre Vor¬
stände sich am Tische des Hauses in ihrer Würde fühlen und sonnen können,
nach der Behandlung von Tagesfragen. Das pflegt ihre Versammlungen ein
wenig zu füllen.

Der Verfasser hatte einmal Gelegenheit, in einem solchen Verein von einem
strebsamen jüngern Mediciner, der sich einen Namen und Praxis machen wollte,
einen Vortrag über die Ueberbürdung unsrer Kinder mit häuslichen Schularbeiten
zu hören. Mit patriotischer Beklemmung mußten wir vernehmen, zu welchen
Krüppeln in geistiger und körperlicher Beziehung die Schule unsrer Tage die
deutsche Jugend heranbildet. Der Vortrag sand natürlich allgemeinen Beifall,
und nachdem noch einige Redner sehr energisch sich gegen die Schule ausgesprochen
hatten, schloß der Vorsitzende die Versammlung und zugleich das Vereinsjahr
mit einigen landesüblichen Phrasen, von denen ich mir nur gemerkt habe, daß
der rege wissenschaftliche Sinn, die politische Reife und das wahrhaft ernste
Strebet! unsrer Bevölkerung in glänzender Weise sich durch den zahlreichen Bestich
der Versammlungen documentirt habe.

Ich ging betrübt nach Hause. In 200 Familien, sagte ich mir, fehlt heute
Abend das Familienoberhaupt, denn wenigstens 200 Familienväter waren in
dieser Versammlung, und während der Vater über die Ueberbürdung unsrer Ju¬
gend spricht, sitzt der hoffnungsvolle Sohn im Tabaksqualm in einem ungesunden
Local beim Biere und legt hier den Grund zu allerhand Uebeln, die dem Aschen¬
brödel „Schule" in die Schuhe geschoben werden. Im besten Falle sitzt er mit
einem Roman zu Hause oder treibt Allotria. Der mütterlichen Autorität ist ja
der 16jährige längst entwachsen und die väterliche Controle fehlt ganz und gar.
Setzt sich dann der Junge noch um 10 Uhr an die Arbeit, so findet natürlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/198>, abgerufen am 25.08.2024.