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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Line nationale Krankheit.

seurs, die geznningen sind, sich eine neue Folie für ihre werthe Persönlichkeit
zu suchen.

Noch unbegreiflicher ist es uns, daß neben einem deutschen Kriegerbund, noch
ein Militärverein "Kameradschaft" oder "Borussia", ein Verein verabschiedeter
Trainsoldatcn oder Kanoniere gegründet werden muß. Alle diese Vereine leiden an
der Zersplitterung der Kräfte, Vereint könnten sie manches Gute wirken. In
der Verzettelung siechen sie dahin. Hier zeigt sich das deutsch Nationale in der
Vereinskrankhcit unleugbar am deutlichsten.

So sind viele Vereine, die ursprünglich einen guten Zweck hatten, in Er¬
mangelung an Mitteln, diesen Zweck zu erreichen, herabgesunken zu Kneipvereinen.
Das mag auch von der Unmasse der Gesangvereine gesagt sein, die in jedem
größern Orte hinvegctiren und bei allen den Ansprüchen, die sie an den einzelnen
machen, bei allen den Wunden, die sie dem Familienleben schlagen und den
Gcldopfern, die sie verlangen, meist nichts, gar nichts leisten.

Noch wollen wir in der Kürze der Vereine gedenken, welche die Interessen
einer gestimmten Bürgerschaft zu vertreten behaupten. Neunen wir sie schlecht¬
hin Bürgervereine. Es giebt deren in jeder Stadt. In den Statuten finden
wir eine Fülle von Phrasen, Da wimmelt es von gemeinnützigen Bestrebungen,
von politischer Reife, Gemeingefühl und dergleichen. Als Egoist muß jeder sich
erscheinen, der einem solchen Vereine gegenüber sein Leben auf seine vier Pfähle
beschränkt. Gut, gehen wir in eine Sitzung und mustern wir die Physiognomien
der Versammlung! Was finden nur? Neben dem üblichen Vereiusbummler, der
seineu Durst unter die Flagge gemeinnütziger Bestrebungen stellt, in erster Linie
Streber. Da giebt es ehrgeizige Kaufleute, die rednerische Lorbeern zu erreichen
suchen, um im Blättchen ihren Namen lesen zu können, da giebt es strebsame
Advocaten, beseelt vou dem gleichen hohen Gefühl oder von dem Wunsche in
die Stadtvcrlrctung zu kommen, denn jener Verein hat den Schlüssel zum
Stadtverordneten-Collegium in der Hand. Von ihm werden die Wahlen ge¬
macht, und diese lenken sich natürlich nur auf solche Männer, die ihre gemein¬
nützigen Bestrebungen durch ihre Anwesenheit im Verein bethätigt haben. Da
giebt es endlich Lehrer und Aerzte, welche die große Trommel rühren -- ein
paar Abende verloren und du weißt, worum es sich hier handelt, und ange¬
ekelt von den Phrasen, mit denen man sich hier regalirt, verschwindest dn, wenn
du nicht selbst ein Streber oder in das gewöhnliche Vierphilisterthum ver¬
sunken bist.

Indessen werden ja doch hier wissenschaftliche Vortrüge von allgemeineren
Interesse gehalten und wird die Gelegenheit geboten, "berühmte Gelehrte" zu
hören. O gewiß, wir kennen genau die Speisenkarte der Oomims vo^gMnrL


Grenzl'Mu II. 1881. 25
Line nationale Krankheit.

seurs, die geznningen sind, sich eine neue Folie für ihre werthe Persönlichkeit
zu suchen.

Noch unbegreiflicher ist es uns, daß neben einem deutschen Kriegerbund, noch
ein Militärverein „Kameradschaft" oder „Borussia", ein Verein verabschiedeter
Trainsoldatcn oder Kanoniere gegründet werden muß. Alle diese Vereine leiden an
der Zersplitterung der Kräfte, Vereint könnten sie manches Gute wirken. In
der Verzettelung siechen sie dahin. Hier zeigt sich das deutsch Nationale in der
Vereinskrankhcit unleugbar am deutlichsten.

So sind viele Vereine, die ursprünglich einen guten Zweck hatten, in Er¬
mangelung an Mitteln, diesen Zweck zu erreichen, herabgesunken zu Kneipvereinen.
Das mag auch von der Unmasse der Gesangvereine gesagt sein, die in jedem
größern Orte hinvegctiren und bei allen den Ansprüchen, die sie an den einzelnen
machen, bei allen den Wunden, die sie dem Familienleben schlagen und den
Gcldopfern, die sie verlangen, meist nichts, gar nichts leisten.

Noch wollen wir in der Kürze der Vereine gedenken, welche die Interessen
einer gestimmten Bürgerschaft zu vertreten behaupten. Neunen wir sie schlecht¬
hin Bürgervereine. Es giebt deren in jeder Stadt. In den Statuten finden
wir eine Fülle von Phrasen, Da wimmelt es von gemeinnützigen Bestrebungen,
von politischer Reife, Gemeingefühl und dergleichen. Als Egoist muß jeder sich
erscheinen, der einem solchen Vereine gegenüber sein Leben auf seine vier Pfähle
beschränkt. Gut, gehen wir in eine Sitzung und mustern wir die Physiognomien
der Versammlung! Was finden nur? Neben dem üblichen Vereiusbummler, der
seineu Durst unter die Flagge gemeinnütziger Bestrebungen stellt, in erster Linie
Streber. Da giebt es ehrgeizige Kaufleute, die rednerische Lorbeern zu erreichen
suchen, um im Blättchen ihren Namen lesen zu können, da giebt es strebsame
Advocaten, beseelt vou dem gleichen hohen Gefühl oder von dem Wunsche in
die Stadtvcrlrctung zu kommen, denn jener Verein hat den Schlüssel zum
Stadtverordneten-Collegium in der Hand. Von ihm werden die Wahlen ge¬
macht, und diese lenken sich natürlich nur auf solche Männer, die ihre gemein¬
nützigen Bestrebungen durch ihre Anwesenheit im Verein bethätigt haben. Da
giebt es endlich Lehrer und Aerzte, welche die große Trommel rühren — ein
paar Abende verloren und du weißt, worum es sich hier handelt, und ange¬
ekelt von den Phrasen, mit denen man sich hier regalirt, verschwindest dn, wenn
du nicht selbst ein Streber oder in das gewöhnliche Vierphilisterthum ver¬
sunken bist.

Indessen werden ja doch hier wissenschaftliche Vortrüge von allgemeineren
Interesse gehalten und wird die Gelegenheit geboten, „berühmte Gelehrte" zu
hören. O gewiß, wir kennen genau die Speisenkarte der Oomims vo^gMnrL


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[0197] Line nationale Krankheit. seurs, die geznningen sind, sich eine neue Folie für ihre werthe Persönlichkeit zu suchen. Noch unbegreiflicher ist es uns, daß neben einem deutschen Kriegerbund, noch ein Militärverein „Kameradschaft" oder „Borussia", ein Verein verabschiedeter Trainsoldatcn oder Kanoniere gegründet werden muß. Alle diese Vereine leiden an der Zersplitterung der Kräfte, Vereint könnten sie manches Gute wirken. In der Verzettelung siechen sie dahin. Hier zeigt sich das deutsch Nationale in der Vereinskrankhcit unleugbar am deutlichsten. So sind viele Vereine, die ursprünglich einen guten Zweck hatten, in Er¬ mangelung an Mitteln, diesen Zweck zu erreichen, herabgesunken zu Kneipvereinen. Das mag auch von der Unmasse der Gesangvereine gesagt sein, die in jedem größern Orte hinvegctiren und bei allen den Ansprüchen, die sie an den einzelnen machen, bei allen den Wunden, die sie dem Familienleben schlagen und den Gcldopfern, die sie verlangen, meist nichts, gar nichts leisten. Noch wollen wir in der Kürze der Vereine gedenken, welche die Interessen einer gestimmten Bürgerschaft zu vertreten behaupten. Neunen wir sie schlecht¬ hin Bürgervereine. Es giebt deren in jeder Stadt. In den Statuten finden wir eine Fülle von Phrasen, Da wimmelt es von gemeinnützigen Bestrebungen, von politischer Reife, Gemeingefühl und dergleichen. Als Egoist muß jeder sich erscheinen, der einem solchen Vereine gegenüber sein Leben auf seine vier Pfähle beschränkt. Gut, gehen wir in eine Sitzung und mustern wir die Physiognomien der Versammlung! Was finden nur? Neben dem üblichen Vereiusbummler, der seineu Durst unter die Flagge gemeinnütziger Bestrebungen stellt, in erster Linie Streber. Da giebt es ehrgeizige Kaufleute, die rednerische Lorbeern zu erreichen suchen, um im Blättchen ihren Namen lesen zu können, da giebt es strebsame Advocaten, beseelt vou dem gleichen hohen Gefühl oder von dem Wunsche in die Stadtvcrlrctung zu kommen, denn jener Verein hat den Schlüssel zum Stadtverordneten-Collegium in der Hand. Von ihm werden die Wahlen ge¬ macht, und diese lenken sich natürlich nur auf solche Männer, die ihre gemein¬ nützigen Bestrebungen durch ihre Anwesenheit im Verein bethätigt haben. Da giebt es endlich Lehrer und Aerzte, welche die große Trommel rühren — ein paar Abende verloren und du weißt, worum es sich hier handelt, und ange¬ ekelt von den Phrasen, mit denen man sich hier regalirt, verschwindest dn, wenn du nicht selbst ein Streber oder in das gewöhnliche Vierphilisterthum ver¬ sunken bist. Indessen werden ja doch hier wissenschaftliche Vortrüge von allgemeineren Interesse gehalten und wird die Gelegenheit geboten, „berühmte Gelehrte" zu hören. O gewiß, wir kennen genau die Speisenkarte der Oomims vo^gMnrL Grenzl'Mu II. 1881. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/197>, abgerufen am 25.08.2024.