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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Line nationale Krankheit.

Aber warum einer seines Köders wegen Mitglied des Hundeliebhabervereins
"Sultan" werden muß, ist uns trotzdem nicht recht begreiflich.

Indessen der corporative Zug des Mittelalters ist wieder lebendig geworden
und beginnt jede Individualität zu vernichten. Wenn der Commerzienrath Meyer
aus Berlin auf die "Hohe Salve" hinaufgeklettert ist, wird er entschieden Mit¬
glied des Alpenvercins und erscheint an den zahlreichen Clubabenden mit dem
Edelweiß am Hut, und wer je einmal ein Pferd bestiegen hat, kann nicht umhin
in den Reitverein seines Wohnortes einzutreten. Ja es giebt Vereine für deutsche
Literatur, die in wunderlicher Zusammensetzung dem Mitgliede eine Bibliothek
zusammenstellen. Das sind Erscheinungen, denen gegenüber bisher noch kein
Mittel gefunden, die wohl überhaupt in ihren Folgen bisher noch gar nicht
genügend beobachtet worden sind.

Werfen wir noch einen Blick auf die Vereinigungen, die keinen wissenschaft¬
lichen Charakter haben und beantworte" wir hier noch die Frage nach ihrem
Nutzen. Daß mancher von diesen Vereinen, zumal solche, welche wohlthätige
Zwecke ausschließlich oder theilweise im Auge habe", Gutes leisten können und
daher ein Recht auf Existenz haben, ist nicht zu leugnen. Aber es ist zu be¬
dauern, daß sie selten einen solchen Zweck wegen ungenügender Mittel erreichen.

Wie in Deutschland ein Jeder für sich selbst seine eigne Staatsverfassung
haben möchte, so scheint auch jeder seinen eignen Verein haben zu Wollen, und
so ist eine Zersplitterung aller Kräfte eingetreten, die ein gedeihliches Wirken
vollständig unmöglich macht. Verfasser lebt in einer Stadt, in der es mehrere
Wohlthätigkeitsvereine giebt, die sämmtlich von den besten Absichten erfüllt find.
Ein jeder ist aber so besorgt um seine Selbständigkeit, wacht so ängstlich über
seine Reservatrechte, daß selbst eine gegenseitige Mittheilung der unterstützten
Armen nicht für "thunlich" gehalten wurde und sich wiederholt der Fall ereignete,
daß ein armer Confirmand mehrere Röcke und Hosen, ein andrer aber gar nichts
erhielt.

Wenn neben einem Arbcitcrlnlduugsvereiu ein Vvlksbildungsvcrcin und ein
Volksverein, oder wie er sich nennen mag, die sogenannte Volksbildung in die
Hand nimmt, so läßt sich ja diese allerdings im Interesse der Sache sehr un¬
praktische Theilung aus den politischen Gründen, welche solche Gründungen haben
möge", erklären. Unklar ist es uns aber, wie in ein und derselben Stadt ein
Verein für Erdkunde, eine geographische Gesellschaft und ein Verein für Hcm-
delsgcographie existiren kann. Wer jemals das Vergnügen gehabt hat, Vor¬
standsmitglied gewesen zu sein, der weiß, wie schwer es ist, Vorträge zu er¬
halten, um die Vereinssitzungen auszufüllen. Ein Bedürfniß lag also für solche
Theilungen nicht vor. In solchen Fällen handelt es sich gewöhnlich um Fai-


Line nationale Krankheit.

Aber warum einer seines Köders wegen Mitglied des Hundeliebhabervereins
„Sultan" werden muß, ist uns trotzdem nicht recht begreiflich.

Indessen der corporative Zug des Mittelalters ist wieder lebendig geworden
und beginnt jede Individualität zu vernichten. Wenn der Commerzienrath Meyer
aus Berlin auf die „Hohe Salve" hinaufgeklettert ist, wird er entschieden Mit¬
glied des Alpenvercins und erscheint an den zahlreichen Clubabenden mit dem
Edelweiß am Hut, und wer je einmal ein Pferd bestiegen hat, kann nicht umhin
in den Reitverein seines Wohnortes einzutreten. Ja es giebt Vereine für deutsche
Literatur, die in wunderlicher Zusammensetzung dem Mitgliede eine Bibliothek
zusammenstellen. Das sind Erscheinungen, denen gegenüber bisher noch kein
Mittel gefunden, die wohl überhaupt in ihren Folgen bisher noch gar nicht
genügend beobachtet worden sind.

Werfen wir noch einen Blick auf die Vereinigungen, die keinen wissenschaft¬
lichen Charakter haben und beantworte» wir hier noch die Frage nach ihrem
Nutzen. Daß mancher von diesen Vereinen, zumal solche, welche wohlthätige
Zwecke ausschließlich oder theilweise im Auge habe», Gutes leisten können und
daher ein Recht auf Existenz haben, ist nicht zu leugnen. Aber es ist zu be¬
dauern, daß sie selten einen solchen Zweck wegen ungenügender Mittel erreichen.

Wie in Deutschland ein Jeder für sich selbst seine eigne Staatsverfassung
haben möchte, so scheint auch jeder seinen eignen Verein haben zu Wollen, und
so ist eine Zersplitterung aller Kräfte eingetreten, die ein gedeihliches Wirken
vollständig unmöglich macht. Verfasser lebt in einer Stadt, in der es mehrere
Wohlthätigkeitsvereine giebt, die sämmtlich von den besten Absichten erfüllt find.
Ein jeder ist aber so besorgt um seine Selbständigkeit, wacht so ängstlich über
seine Reservatrechte, daß selbst eine gegenseitige Mittheilung der unterstützten
Armen nicht für „thunlich" gehalten wurde und sich wiederholt der Fall ereignete,
daß ein armer Confirmand mehrere Röcke und Hosen, ein andrer aber gar nichts
erhielt.

Wenn neben einem Arbcitcrlnlduugsvereiu ein Vvlksbildungsvcrcin und ein
Volksverein, oder wie er sich nennen mag, die sogenannte Volksbildung in die
Hand nimmt, so läßt sich ja diese allerdings im Interesse der Sache sehr un¬
praktische Theilung aus den politischen Gründen, welche solche Gründungen haben
möge», erklären. Unklar ist es uns aber, wie in ein und derselben Stadt ein
Verein für Erdkunde, eine geographische Gesellschaft und ein Verein für Hcm-
delsgcographie existiren kann. Wer jemals das Vergnügen gehabt hat, Vor¬
standsmitglied gewesen zu sein, der weiß, wie schwer es ist, Vorträge zu er¬
halten, um die Vereinssitzungen auszufüllen. Ein Bedürfniß lag also für solche
Theilungen nicht vor. In solchen Fällen handelt es sich gewöhnlich um Fai-


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[0196] Line nationale Krankheit. Aber warum einer seines Köders wegen Mitglied des Hundeliebhabervereins „Sultan" werden muß, ist uns trotzdem nicht recht begreiflich. Indessen der corporative Zug des Mittelalters ist wieder lebendig geworden und beginnt jede Individualität zu vernichten. Wenn der Commerzienrath Meyer aus Berlin auf die „Hohe Salve" hinaufgeklettert ist, wird er entschieden Mit¬ glied des Alpenvercins und erscheint an den zahlreichen Clubabenden mit dem Edelweiß am Hut, und wer je einmal ein Pferd bestiegen hat, kann nicht umhin in den Reitverein seines Wohnortes einzutreten. Ja es giebt Vereine für deutsche Literatur, die in wunderlicher Zusammensetzung dem Mitgliede eine Bibliothek zusammenstellen. Das sind Erscheinungen, denen gegenüber bisher noch kein Mittel gefunden, die wohl überhaupt in ihren Folgen bisher noch gar nicht genügend beobachtet worden sind. Werfen wir noch einen Blick auf die Vereinigungen, die keinen wissenschaft¬ lichen Charakter haben und beantworte» wir hier noch die Frage nach ihrem Nutzen. Daß mancher von diesen Vereinen, zumal solche, welche wohlthätige Zwecke ausschließlich oder theilweise im Auge habe», Gutes leisten können und daher ein Recht auf Existenz haben, ist nicht zu leugnen. Aber es ist zu be¬ dauern, daß sie selten einen solchen Zweck wegen ungenügender Mittel erreichen. Wie in Deutschland ein Jeder für sich selbst seine eigne Staatsverfassung haben möchte, so scheint auch jeder seinen eignen Verein haben zu Wollen, und so ist eine Zersplitterung aller Kräfte eingetreten, die ein gedeihliches Wirken vollständig unmöglich macht. Verfasser lebt in einer Stadt, in der es mehrere Wohlthätigkeitsvereine giebt, die sämmtlich von den besten Absichten erfüllt find. Ein jeder ist aber so besorgt um seine Selbständigkeit, wacht so ängstlich über seine Reservatrechte, daß selbst eine gegenseitige Mittheilung der unterstützten Armen nicht für „thunlich" gehalten wurde und sich wiederholt der Fall ereignete, daß ein armer Confirmand mehrere Röcke und Hosen, ein andrer aber gar nichts erhielt. Wenn neben einem Arbcitcrlnlduugsvereiu ein Vvlksbildungsvcrcin und ein Volksverein, oder wie er sich nennen mag, die sogenannte Volksbildung in die Hand nimmt, so läßt sich ja diese allerdings im Interesse der Sache sehr un¬ praktische Theilung aus den politischen Gründen, welche solche Gründungen haben möge», erklären. Unklar ist es uns aber, wie in ein und derselben Stadt ein Verein für Erdkunde, eine geographische Gesellschaft und ein Verein für Hcm- delsgcographie existiren kann. Wer jemals das Vergnügen gehabt hat, Vor¬ standsmitglied gewesen zu sein, der weiß, wie schwer es ist, Vorträge zu er¬ halten, um die Vereinssitzungen auszufüllen. Ein Bedürfniß lag also für solche Theilungen nicht vor. In solchen Fällen handelt es sich gewöhnlich um Fai-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/196>, abgerufen am 25.08.2024.