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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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sie sich unterhalten haben. Der Verfasser hat mit vielem Fleiße die Berichte
gelesen, die das verbreitetste Blatt seines Wohnortes über die Versammlungen
der Lehrervereine brachte. Ueber die verbrauchtesten Themata, wie das Ver¬
hältniß von Schule und Haus, den dentschen Aufsatz in der ersten Klasse, das
Bildende in dein Gesangsunterricht und dergleichen, Themata, über welche jede
pädagogische Zeitung Artikel über Artikel bringt, wird hier mit heiligem Ernste
debattirt. Gewissenhaft meldet der Bericht, was Herr ^ und was Herr L zu
der alle Anwesenden auf das höchste interessirenden Frage gesagt habe. War der
alte Kohl anstandslos aufgewärmt und mit andachtsvoller Ruhe angehört worden,
dann erfreut uns der Reporter oder eines der Mitglieder der sehr ehrenwerthen
Gesellschaft mit der Phrase, daß die Worte des Redners den allgemeinsten Bei¬
fall gefunden hätten. Hat man sich eine halbe Stunde über die allgemein be¬
kannten Sachen, über die ein vernünftiger Mensch oft zu reden gar nicht mehr
den Muth hat, herumgestritten, dann heißt es im officiellen Jargon: "Wenn
auch über die berührte, höchst interessante Frage eine vollständige Einheit sich
nicht erzielen ließ, so hat doch die lebhafte Debatte bewiesen, wie außerordentlich
wünschenswert!) die Behandlung dieses Themas war. Keiner der Anwesenden
hat nach unsrer Ueberzeugung die Versammlung verlassen, ohne Anregung zu
weiteren Nachdenken empfangen zu haben."

Der Philister läßt sich selbstverständlich durch eiuen solchen Bericht blenden
und wird mit gewisser Achtung zu dem Manne aufblicken, der mit so vielem sitt¬
lichen Ernst und warmer Begeisterung jeder acht Tage für die Schule und seineu
Stand das Wort ergreift. Wer die Verhältnisse kennt, hat eine andre An-
schauung. Er weiß, daß die Macher eines solchen Vereins nicht die besten
Exemplare ihrer Berufsgenossen, sondern oft die schlechtesten sind, daß ihnen der
Verein nnr die Mittel und Wege giebt, bekannt zu werden. Ihr Name wird
so oft in der Zeitung gelesen, daß er bald bei manchem an Ansehen gewinnt
und der Trüger bald mit dem Titel "der in den weiten Kreisen unsrer Stadt
bekannte vorzügliche Pädagog" oder dergleichen belegt und sein Avancement be¬
schleunigt wird. Für einen solchen Streber gilt also der Verein nur als die
große Glocke, die erfolgreich angeschlagen wird, und seine ganze Thätigkeit wirkt
etwa sür ihn, wie die Reclame im redaetionellen Theile einer Zeitung.

Aber, wird uns vielleicht jemand einwenden, sollte denn wirklich sich eine
Anzahl gebildeter Männer finden, die verblendet genug wären, die Folie für
jenes Streberthum abzugeben, ohne nur es zu empfinden. Die Antwort darauf
lautet, daß die Zahl derer, welchen es mit den wissenschaftlichen Fragen in einem
solchen Vereine wirklich Ernst ist, verschwindend klein ist. Wer eine Zeit lang
nur sich betheiligt, pflegt bald jeden Idealismus zu verlieren. Aber trotz alledem


sie sich unterhalten haben. Der Verfasser hat mit vielem Fleiße die Berichte
gelesen, die das verbreitetste Blatt seines Wohnortes über die Versammlungen
der Lehrervereine brachte. Ueber die verbrauchtesten Themata, wie das Ver¬
hältniß von Schule und Haus, den dentschen Aufsatz in der ersten Klasse, das
Bildende in dein Gesangsunterricht und dergleichen, Themata, über welche jede
pädagogische Zeitung Artikel über Artikel bringt, wird hier mit heiligem Ernste
debattirt. Gewissenhaft meldet der Bericht, was Herr ^ und was Herr L zu
der alle Anwesenden auf das höchste interessirenden Frage gesagt habe. War der
alte Kohl anstandslos aufgewärmt und mit andachtsvoller Ruhe angehört worden,
dann erfreut uns der Reporter oder eines der Mitglieder der sehr ehrenwerthen
Gesellschaft mit der Phrase, daß die Worte des Redners den allgemeinsten Bei¬
fall gefunden hätten. Hat man sich eine halbe Stunde über die allgemein be¬
kannten Sachen, über die ein vernünftiger Mensch oft zu reden gar nicht mehr
den Muth hat, herumgestritten, dann heißt es im officiellen Jargon: „Wenn
auch über die berührte, höchst interessante Frage eine vollständige Einheit sich
nicht erzielen ließ, so hat doch die lebhafte Debatte bewiesen, wie außerordentlich
wünschenswert!) die Behandlung dieses Themas war. Keiner der Anwesenden
hat nach unsrer Ueberzeugung die Versammlung verlassen, ohne Anregung zu
weiteren Nachdenken empfangen zu haben."

Der Philister läßt sich selbstverständlich durch eiuen solchen Bericht blenden
und wird mit gewisser Achtung zu dem Manne aufblicken, der mit so vielem sitt¬
lichen Ernst und warmer Begeisterung jeder acht Tage für die Schule und seineu
Stand das Wort ergreift. Wer die Verhältnisse kennt, hat eine andre An-
schauung. Er weiß, daß die Macher eines solchen Vereins nicht die besten
Exemplare ihrer Berufsgenossen, sondern oft die schlechtesten sind, daß ihnen der
Verein nnr die Mittel und Wege giebt, bekannt zu werden. Ihr Name wird
so oft in der Zeitung gelesen, daß er bald bei manchem an Ansehen gewinnt
und der Trüger bald mit dem Titel „der in den weiten Kreisen unsrer Stadt
bekannte vorzügliche Pädagog" oder dergleichen belegt und sein Avancement be¬
schleunigt wird. Für einen solchen Streber gilt also der Verein nur als die
große Glocke, die erfolgreich angeschlagen wird, und seine ganze Thätigkeit wirkt
etwa sür ihn, wie die Reclame im redaetionellen Theile einer Zeitung.

Aber, wird uns vielleicht jemand einwenden, sollte denn wirklich sich eine
Anzahl gebildeter Männer finden, die verblendet genug wären, die Folie für
jenes Streberthum abzugeben, ohne nur es zu empfinden. Die Antwort darauf
lautet, daß die Zahl derer, welchen es mit den wissenschaftlichen Fragen in einem
solchen Vereine wirklich Ernst ist, verschwindend klein ist. Wer eine Zeit lang
nur sich betheiligt, pflegt bald jeden Idealismus zu verlieren. Aber trotz alledem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/194>, abgerufen am 25.08.2024.