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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin.

Bode geht dem Vergleiche des letztern mit den großen Altarbildern sehr vor¬
sichtig aus dem Wege, indem er sagt, daß "die gleichzeitigen Altarbilder mehrfach
aus Rücksicht ans den Platz, für den sie bestimmt waren, eine von diesen (nämlich
den von Bode citirten, ganz willkürlich dcitirten) Bildern wie auch unter sich
abweichende Behandlung zeigen." Das ist eine Behauptung, die nach der einen
wie nach der andern Seite hin unrichtig ist. Gerade weil Rubens das Altar¬
bild sür Se. Maria in Vallieella nicht mit Rücksicht aus den Platz, für welchen
es bestimmt war, gemalt hatte, brachte er es nicht zur Aufstellung, sondern er¬
setzte es durch ein andres. Mau kaun sich keine größere Uebereinstimmung denken,
als sie zwischen diesem Gemälde und dem Se. Jldefonsobildc in Komposition,
Farbe, Beleuchtung und Charakteristik besteht. Außer diesen beiden Bildern hat
Rubens in der Zeit von 1608--1610 nur noch ein einziges Altarbild gemalt,
die berühmte Kreuzaufrichtuug in Antwerpen. Von andern Bildern fallen in
diese Epoche noch: die große Anbetung der Könige, für den Antwerpener Rath¬
haussaal gemalt, jetzt in Madrid, die Portraits des erzherzoglichen Paares
Albert und Jsabella, die nicht mehr mit Sicherheit nachweisbar sind, und das
herrliche Denkmal seines jungen Eheglücks, welches ihn und seine junge Frau
Jsabella Braut in einer Gaisblnttlaube darstellt (Pinakothek zu München). Ende
1608 kehrte Rubens nach Antwerpen zurück. Tief erschüttert durch den Tod
seiner Mutter, lebte er mehrere Monate lang feinem Schmerze. Im September
1609 wurde er zum Hofmaler der Erzherzöge ernannt, im October desselben
Jahres verheiratete er sich und gründete seinen Hausstand. In einer so be¬
wegten Zeit war es selbst für einen Rubens genug, wenn er die beiden großen
Altarbilder, die Anbetung der Könige und verschiedene Portraits malte, zumal
dieselben an Sorgfalt der Durchführung in Zeichnung und Colorit und an Voll¬
endung der Composttion unter allen Werken des Meisters ihres gleichen suchen.
Und in dieser Zeit, in welcher der eben aus Italien zurückgekehrte Künstler alten
Fleiß darauf verwendete, um den Rivalen daheim seine Kraft zu zeigen, soll er
eine in Zeichnung und Farbe so schwächliche Arbeit producirt haben, welche zu
den damals ausgeführten Meisterwerken in schroffsten Gegensatz steht? Woher
nahm er die Zeit, nahm er die Anregung zu den literarischen Studie", welche
das Berliner Bild voraussetzt, woher die Zeit zu deu Thierstndien, die trotz der
stümperhaften oder doch flüchtigen Behandlung der Thiere vorausgegangen sein
mußten?

In der Zeit von 1609--1610 würde das Berliner Bild eine vollkommen
isolirte, vollkommen unerklärliche Erscheinung bilden. Auf keinem Bilde dieser
Epoche und sogar auch der nächstfolgenden Jahre lassen sich ähnliche Nach- und
Fahrlässigkeiten nachweisen, wie sie der Maler des Berliner Bildes begangen hat.


Grenzboten U. 1S8I. 24
Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin.

Bode geht dem Vergleiche des letztern mit den großen Altarbildern sehr vor¬
sichtig aus dem Wege, indem er sagt, daß „die gleichzeitigen Altarbilder mehrfach
aus Rücksicht ans den Platz, für den sie bestimmt waren, eine von diesen (nämlich
den von Bode citirten, ganz willkürlich dcitirten) Bildern wie auch unter sich
abweichende Behandlung zeigen." Das ist eine Behauptung, die nach der einen
wie nach der andern Seite hin unrichtig ist. Gerade weil Rubens das Altar¬
bild sür Se. Maria in Vallieella nicht mit Rücksicht aus den Platz, für welchen
es bestimmt war, gemalt hatte, brachte er es nicht zur Aufstellung, sondern er¬
setzte es durch ein andres. Mau kaun sich keine größere Uebereinstimmung denken,
als sie zwischen diesem Gemälde und dem Se. Jldefonsobildc in Komposition,
Farbe, Beleuchtung und Charakteristik besteht. Außer diesen beiden Bildern hat
Rubens in der Zeit von 1608—1610 nur noch ein einziges Altarbild gemalt,
die berühmte Kreuzaufrichtuug in Antwerpen. Von andern Bildern fallen in
diese Epoche noch: die große Anbetung der Könige, für den Antwerpener Rath¬
haussaal gemalt, jetzt in Madrid, die Portraits des erzherzoglichen Paares
Albert und Jsabella, die nicht mehr mit Sicherheit nachweisbar sind, und das
herrliche Denkmal seines jungen Eheglücks, welches ihn und seine junge Frau
Jsabella Braut in einer Gaisblnttlaube darstellt (Pinakothek zu München). Ende
1608 kehrte Rubens nach Antwerpen zurück. Tief erschüttert durch den Tod
seiner Mutter, lebte er mehrere Monate lang feinem Schmerze. Im September
1609 wurde er zum Hofmaler der Erzherzöge ernannt, im October desselben
Jahres verheiratete er sich und gründete seinen Hausstand. In einer so be¬
wegten Zeit war es selbst für einen Rubens genug, wenn er die beiden großen
Altarbilder, die Anbetung der Könige und verschiedene Portraits malte, zumal
dieselben an Sorgfalt der Durchführung in Zeichnung und Colorit und an Voll¬
endung der Composttion unter allen Werken des Meisters ihres gleichen suchen.
Und in dieser Zeit, in welcher der eben aus Italien zurückgekehrte Künstler alten
Fleiß darauf verwendete, um den Rivalen daheim seine Kraft zu zeigen, soll er
eine in Zeichnung und Farbe so schwächliche Arbeit producirt haben, welche zu
den damals ausgeführten Meisterwerken in schroffsten Gegensatz steht? Woher
nahm er die Zeit, nahm er die Anregung zu den literarischen Studie», welche
das Berliner Bild voraussetzt, woher die Zeit zu deu Thierstndien, die trotz der
stümperhaften oder doch flüchtigen Behandlung der Thiere vorausgegangen sein
mußten?

In der Zeit von 1609—1610 würde das Berliner Bild eine vollkommen
isolirte, vollkommen unerklärliche Erscheinung bilden. Auf keinem Bilde dieser
Epoche und sogar auch der nächstfolgenden Jahre lassen sich ähnliche Nach- und
Fahrlässigkeiten nachweisen, wie sie der Maler des Berliner Bildes begangen hat.


Grenzboten U. 1S8I. 24
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[0189] Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin. Bode geht dem Vergleiche des letztern mit den großen Altarbildern sehr vor¬ sichtig aus dem Wege, indem er sagt, daß „die gleichzeitigen Altarbilder mehrfach aus Rücksicht ans den Platz, für den sie bestimmt waren, eine von diesen (nämlich den von Bode citirten, ganz willkürlich dcitirten) Bildern wie auch unter sich abweichende Behandlung zeigen." Das ist eine Behauptung, die nach der einen wie nach der andern Seite hin unrichtig ist. Gerade weil Rubens das Altar¬ bild sür Se. Maria in Vallieella nicht mit Rücksicht aus den Platz, für welchen es bestimmt war, gemalt hatte, brachte er es nicht zur Aufstellung, sondern er¬ setzte es durch ein andres. Mau kaun sich keine größere Uebereinstimmung denken, als sie zwischen diesem Gemälde und dem Se. Jldefonsobildc in Komposition, Farbe, Beleuchtung und Charakteristik besteht. Außer diesen beiden Bildern hat Rubens in der Zeit von 1608—1610 nur noch ein einziges Altarbild gemalt, die berühmte Kreuzaufrichtuug in Antwerpen. Von andern Bildern fallen in diese Epoche noch: die große Anbetung der Könige, für den Antwerpener Rath¬ haussaal gemalt, jetzt in Madrid, die Portraits des erzherzoglichen Paares Albert und Jsabella, die nicht mehr mit Sicherheit nachweisbar sind, und das herrliche Denkmal seines jungen Eheglücks, welches ihn und seine junge Frau Jsabella Braut in einer Gaisblnttlaube darstellt (Pinakothek zu München). Ende 1608 kehrte Rubens nach Antwerpen zurück. Tief erschüttert durch den Tod seiner Mutter, lebte er mehrere Monate lang feinem Schmerze. Im September 1609 wurde er zum Hofmaler der Erzherzöge ernannt, im October desselben Jahres verheiratete er sich und gründete seinen Hausstand. In einer so be¬ wegten Zeit war es selbst für einen Rubens genug, wenn er die beiden großen Altarbilder, die Anbetung der Könige und verschiedene Portraits malte, zumal dieselben an Sorgfalt der Durchführung in Zeichnung und Colorit und an Voll¬ endung der Composttion unter allen Werken des Meisters ihres gleichen suchen. Und in dieser Zeit, in welcher der eben aus Italien zurückgekehrte Künstler alten Fleiß darauf verwendete, um den Rivalen daheim seine Kraft zu zeigen, soll er eine in Zeichnung und Farbe so schwächliche Arbeit producirt haben, welche zu den damals ausgeführten Meisterwerken in schroffsten Gegensatz steht? Woher nahm er die Zeit, nahm er die Anregung zu den literarischen Studie», welche das Berliner Bild voraussetzt, woher die Zeit zu deu Thierstndien, die trotz der stümperhaften oder doch flüchtigen Behandlung der Thiere vorausgegangen sein mußten? In der Zeit von 1609—1610 würde das Berliner Bild eine vollkommen isolirte, vollkommen unerklärliche Erscheinung bilden. Auf keinem Bilde dieser Epoche und sogar auch der nächstfolgenden Jahre lassen sich ähnliche Nach- und Fahrlässigkeiten nachweisen, wie sie der Maler des Berliner Bildes begangen hat. Grenzboten U. 1S8I. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/189>, abgerufen am 23.07.2024.