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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin.

und der Entwicklungsstadien von Rubens' Malweise gewonnen hat, unsre obigen
Bemerkungen über die Allegorie in Verbindung bringen, werden wir zu dem
ziemlich sichern Schlüsse gelangen, daß alle jene ihrem Stoffe und ihrer Auf¬
fassung noch mit einander zusammenhängenden Bilder in der zweiten Hälfte
dieser Epoche, also etwa in der Zeit von 1619--1625 entstanden sind, und
zwar haben wir sie so nahe als möglich an die Gemälde der Luxembnrggalcrie
zu rücken, deren mehrere ganz ähnliche Flußgötter, Najcideu, Wasser- und Land¬
thiere zeigen.

Speciell für das Berliner Bild scheinen dieselben Modelle benutzt worden
zu sein, welche Rubens für ein Gemälde der Luxemburggalerie zu Gebote ge¬
standen haben, das die Ankunft der Maria von Medicis im Hafen von Mar¬
seille darstellt. Unter denen, welche die Ankommende begrüßen, befinden sich auch
die Bewohner des Meeres: Neptun mit seinem Dreizack auf einem Zweigespami,
ein alter Triton mit langem, eisgrauen Barte, der zum Gruß die Hand erhebt,
ein junger Triton, der aus Leibeskräften in eine Muschel bläst, und drei Na-
jaden mit langen, blonden Haaren, welche bemüht sind, ein vom Schiffe aus¬
gehendes Tau um einen Pfahl zu schlingen. Aus einem Briefe, den Rubens
an einen Pariser Banquier schrieb, erfahren wir die Namen der Modelle, welche
der Maler für diese drei Najaden benutzte, die er -- augenscheinlich das beste
an dem ganzen Gemälde -- wohl ganz eigenhändig und mit großer Sorgfalt
ausgeführt hat. "Ich bitte Sie," so schreibt er, "eine Arrangement dahin zu
treffen, daß für die dritte Woche, welche diesem Briefe folgt, die beiden Damen
Capalo in der Rue du Vcrtbois und auch die kleine Nichte Luisa für mich be¬
stellt werden. Denn ich beabsichtige, in natürlicher Größe drei Studien von
Sirenen zu machen, und diese drei Personen werden mir von einer großen und
unendlichen Hilfe sein, ebensosehr wegen des stolzen Ausdrucks ihrer Gesichter,
als auch wegen ihres prächtigen schwarzen Haares, welches ich schwerlich anderswo
antreffe, und wegen ihres Wuchses." Leider ist dieser Brief, dessen Original von
irgend einem Sammler verborgen gehalten wird, nur zum Theil gedruckt worden.
Wir kennen den Adressaten, nicht aber das Datum. So sind wir in betreff
des letzter" auf Vermuthungen angewiesen. Rubens befand sich in den Ange¬
legenheiten der Galerie dreimal in Paris: das erste Mal 1621 oder Anfang
1622, wo die Gegenstände festgestellt wurden, dann im Juni 1623, um die
Wirkung irgend eines fertigen Bildes an Ort und Stelle zu Probiren, dann
im Frühjahre l625, wo er mit dem ganzen, nunmehr vollendeten Cyclus in
Paris eintraf. Wir werden mit Recht annehmen dürfen, daß jenes Brieffrag¬
ment kurz vor seiner zweiten Reise, also 1623, geschrieben worden ist, daß er
also in diesem Jahre die Studien zu den drei "Sirenen," wie die Najaden in


Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin.

und der Entwicklungsstadien von Rubens' Malweise gewonnen hat, unsre obigen
Bemerkungen über die Allegorie in Verbindung bringen, werden wir zu dem
ziemlich sichern Schlüsse gelangen, daß alle jene ihrem Stoffe und ihrer Auf¬
fassung noch mit einander zusammenhängenden Bilder in der zweiten Hälfte
dieser Epoche, also etwa in der Zeit von 1619—1625 entstanden sind, und
zwar haben wir sie so nahe als möglich an die Gemälde der Luxembnrggalcrie
zu rücken, deren mehrere ganz ähnliche Flußgötter, Najcideu, Wasser- und Land¬
thiere zeigen.

Speciell für das Berliner Bild scheinen dieselben Modelle benutzt worden
zu sein, welche Rubens für ein Gemälde der Luxemburggalerie zu Gebote ge¬
standen haben, das die Ankunft der Maria von Medicis im Hafen von Mar¬
seille darstellt. Unter denen, welche die Ankommende begrüßen, befinden sich auch
die Bewohner des Meeres: Neptun mit seinem Dreizack auf einem Zweigespami,
ein alter Triton mit langem, eisgrauen Barte, der zum Gruß die Hand erhebt,
ein junger Triton, der aus Leibeskräften in eine Muschel bläst, und drei Na-
jaden mit langen, blonden Haaren, welche bemüht sind, ein vom Schiffe aus¬
gehendes Tau um einen Pfahl zu schlingen. Aus einem Briefe, den Rubens
an einen Pariser Banquier schrieb, erfahren wir die Namen der Modelle, welche
der Maler für diese drei Najaden benutzte, die er — augenscheinlich das beste
an dem ganzen Gemälde — wohl ganz eigenhändig und mit großer Sorgfalt
ausgeführt hat. „Ich bitte Sie," so schreibt er, „eine Arrangement dahin zu
treffen, daß für die dritte Woche, welche diesem Briefe folgt, die beiden Damen
Capalo in der Rue du Vcrtbois und auch die kleine Nichte Luisa für mich be¬
stellt werden. Denn ich beabsichtige, in natürlicher Größe drei Studien von
Sirenen zu machen, und diese drei Personen werden mir von einer großen und
unendlichen Hilfe sein, ebensosehr wegen des stolzen Ausdrucks ihrer Gesichter,
als auch wegen ihres prächtigen schwarzen Haares, welches ich schwerlich anderswo
antreffe, und wegen ihres Wuchses." Leider ist dieser Brief, dessen Original von
irgend einem Sammler verborgen gehalten wird, nur zum Theil gedruckt worden.
Wir kennen den Adressaten, nicht aber das Datum. So sind wir in betreff
des letzter» auf Vermuthungen angewiesen. Rubens befand sich in den Ange¬
legenheiten der Galerie dreimal in Paris: das erste Mal 1621 oder Anfang
1622, wo die Gegenstände festgestellt wurden, dann im Juni 1623, um die
Wirkung irgend eines fertigen Bildes an Ort und Stelle zu Probiren, dann
im Frühjahre l625, wo er mit dem ganzen, nunmehr vollendeten Cyclus in
Paris eintraf. Wir werden mit Recht annehmen dürfen, daß jenes Brieffrag¬
ment kurz vor seiner zweiten Reise, also 1623, geschrieben worden ist, daß er
also in diesem Jahre die Studien zu den drei „Sirenen," wie die Najaden in


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[0186] Lin neuer Rubens in der königlichen Gemäldegalerie in Berlin. und der Entwicklungsstadien von Rubens' Malweise gewonnen hat, unsre obigen Bemerkungen über die Allegorie in Verbindung bringen, werden wir zu dem ziemlich sichern Schlüsse gelangen, daß alle jene ihrem Stoffe und ihrer Auf¬ fassung noch mit einander zusammenhängenden Bilder in der zweiten Hälfte dieser Epoche, also etwa in der Zeit von 1619—1625 entstanden sind, und zwar haben wir sie so nahe als möglich an die Gemälde der Luxembnrggalcrie zu rücken, deren mehrere ganz ähnliche Flußgötter, Najcideu, Wasser- und Land¬ thiere zeigen. Speciell für das Berliner Bild scheinen dieselben Modelle benutzt worden zu sein, welche Rubens für ein Gemälde der Luxemburggalerie zu Gebote ge¬ standen haben, das die Ankunft der Maria von Medicis im Hafen von Mar¬ seille darstellt. Unter denen, welche die Ankommende begrüßen, befinden sich auch die Bewohner des Meeres: Neptun mit seinem Dreizack auf einem Zweigespami, ein alter Triton mit langem, eisgrauen Barte, der zum Gruß die Hand erhebt, ein junger Triton, der aus Leibeskräften in eine Muschel bläst, und drei Na- jaden mit langen, blonden Haaren, welche bemüht sind, ein vom Schiffe aus¬ gehendes Tau um einen Pfahl zu schlingen. Aus einem Briefe, den Rubens an einen Pariser Banquier schrieb, erfahren wir die Namen der Modelle, welche der Maler für diese drei Najaden benutzte, die er — augenscheinlich das beste an dem ganzen Gemälde — wohl ganz eigenhändig und mit großer Sorgfalt ausgeführt hat. „Ich bitte Sie," so schreibt er, „eine Arrangement dahin zu treffen, daß für die dritte Woche, welche diesem Briefe folgt, die beiden Damen Capalo in der Rue du Vcrtbois und auch die kleine Nichte Luisa für mich be¬ stellt werden. Denn ich beabsichtige, in natürlicher Größe drei Studien von Sirenen zu machen, und diese drei Personen werden mir von einer großen und unendlichen Hilfe sein, ebensosehr wegen des stolzen Ausdrucks ihrer Gesichter, als auch wegen ihres prächtigen schwarzen Haares, welches ich schwerlich anderswo antreffe, und wegen ihres Wuchses." Leider ist dieser Brief, dessen Original von irgend einem Sammler verborgen gehalten wird, nur zum Theil gedruckt worden. Wir kennen den Adressaten, nicht aber das Datum. So sind wir in betreff des letzter» auf Vermuthungen angewiesen. Rubens befand sich in den Ange¬ legenheiten der Galerie dreimal in Paris: das erste Mal 1621 oder Anfang 1622, wo die Gegenstände festgestellt wurden, dann im Juni 1623, um die Wirkung irgend eines fertigen Bildes an Ort und Stelle zu Probiren, dann im Frühjahre l625, wo er mit dem ganzen, nunmehr vollendeten Cyclus in Paris eintraf. Wir werden mit Recht annehmen dürfen, daß jenes Brieffrag¬ ment kurz vor seiner zweiten Reise, also 1623, geschrieben worden ist, daß er also in diesem Jahre die Studien zu den drei „Sirenen," wie die Najaden in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/186>, abgerufen am 23.07.2024.