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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Gin Jugendfreund (Koethes.

Geburtstage) gefeiert hatte, Behrischs Festepistel ist durchaus der Mittheilung Werth,
dach dürfen wir nicht zu viel Raum in Anspruch nehmen und geben deshalb bloß
den Anfang.


Sechsmal betrat der Mond mit neuem Licht die Bahn
Und sah beschämend mich, deu bösen Schuldner, um.
Es tönt wie Flötenton noch jetzt in meinen Ohren
Das Lied von deiner Huld im Lenz für mich geboren:
Nach eh' die Nachtigall von ihrer Liebe sang
Entströmte deinem Spiel gedankenreicher Klang;
Nun ist die Schwalbe fort, ihr Flüstern schon verklungen,
Ich, ganz des Dankes voll, hab' ihn noch nicht gesungen.
So ist des Jünglings Mund beredter Worte voll,
Die, schon geordnet, nun die Göttin hören soll,
Er sieht die Wirkung schon, eilt mit den süßen Klagen
Vor ihrem Blicke hin, um -- nichts davon zu sagen.
So, wenn auf dem Gedicht mein frohes Auge fiel,
Ergriff die kühne Faust geschwind das Saitenspiel!
Doch wollte bald der Ton nicht zur Empfindung passen,
Und bald das Silbenmaß nicht den Gedanken fassen.
Nur heute, eS blühte uoch das Morgenroth empor,
Sang mir die Muse selbst die reinsten Töne vor.

Charakteristisch für das Gemüth und die Denkweise Behrischs erscheint sein Ge-
burlstagsgedicht an Berenhorst vom Jahre 1792, dessen Anfang und Schluß wir
folgen lassen. Die Verse zeigen, daß Behrisch zwischen Dichten und Reimen sehr
klar unterschied und ehrlich eingesteht, daß die Zeit lebendig sprudelnder Lieder für
ihn vorbei sei. Gerade aber die Wärme, mit der er dies empfindet, und die Auf¬
richtigkeit, mit der er dieser Empfindung Ausdruck giebt, erheben wieder seine Verse
und geben ihnen einen poetischen Hauch.


Hör' aus zu singen, alter Sänger,
So predigt mir so manches Dichters Lnnf;
Hör' auf, ruft die Kritik, und strenger
Ruft eigenes Gefühl! Hör' auf.
Denn kälter wird das Herz, wie jenes Sees Welle.
Die, bald vom Frost gehemmt, uicht mehr gekräuselt fließt,
Und doch ist jenes nnr die Quelle,
Ans der in den Gesang das Leben sich ergießt.
Erfindung, sie, die erste Tugend
Des Dichters, der sich Kränze pflückt,
Begleitet ihn, so laug ihn Jugend schmückt,
Und ewig jung entflieht sie mit der Jugend.
Die reiche Göttin Phantasie,
Die dem geweihten Blick die schönsten Bilder webet,
So wenig seh' ich sie,
Als jetzt den Schmetterling, der um die Blüthe schwebet.
Ich reine nur, ich dichte nicht. --

Grenzboten II. 1831. 91
Gin Jugendfreund (Koethes.

Geburtstage) gefeiert hatte, Behrischs Festepistel ist durchaus der Mittheilung Werth,
dach dürfen wir nicht zu viel Raum in Anspruch nehmen und geben deshalb bloß
den Anfang.


Sechsmal betrat der Mond mit neuem Licht die Bahn
Und sah beschämend mich, deu bösen Schuldner, um.
Es tönt wie Flötenton noch jetzt in meinen Ohren
Das Lied von deiner Huld im Lenz für mich geboren:
Nach eh' die Nachtigall von ihrer Liebe sang
Entströmte deinem Spiel gedankenreicher Klang;
Nun ist die Schwalbe fort, ihr Flüstern schon verklungen,
Ich, ganz des Dankes voll, hab' ihn noch nicht gesungen.
So ist des Jünglings Mund beredter Worte voll,
Die, schon geordnet, nun die Göttin hören soll,
Er sieht die Wirkung schon, eilt mit den süßen Klagen
Vor ihrem Blicke hin, um — nichts davon zu sagen.
So, wenn auf dem Gedicht mein frohes Auge fiel,
Ergriff die kühne Faust geschwind das Saitenspiel!
Doch wollte bald der Ton nicht zur Empfindung passen,
Und bald das Silbenmaß nicht den Gedanken fassen.
Nur heute, eS blühte uoch das Morgenroth empor,
Sang mir die Muse selbst die reinsten Töne vor.

Charakteristisch für das Gemüth und die Denkweise Behrischs erscheint sein Ge-
burlstagsgedicht an Berenhorst vom Jahre 1792, dessen Anfang und Schluß wir
folgen lassen. Die Verse zeigen, daß Behrisch zwischen Dichten und Reimen sehr
klar unterschied und ehrlich eingesteht, daß die Zeit lebendig sprudelnder Lieder für
ihn vorbei sei. Gerade aber die Wärme, mit der er dies empfindet, und die Auf¬
richtigkeit, mit der er dieser Empfindung Ausdruck giebt, erheben wieder seine Verse
und geben ihnen einen poetischen Hauch.


Hör' aus zu singen, alter Sänger,
So predigt mir so manches Dichters Lnnf;
Hör' auf, ruft die Kritik, und strenger
Ruft eigenes Gefühl! Hör' auf.
Denn kälter wird das Herz, wie jenes Sees Welle.
Die, bald vom Frost gehemmt, uicht mehr gekräuselt fließt,
Und doch ist jenes nnr die Quelle,
Ans der in den Gesang das Leben sich ergießt.
Erfindung, sie, die erste Tugend
Des Dichters, der sich Kränze pflückt,
Begleitet ihn, so laug ihn Jugend schmückt,
Und ewig jung entflieht sie mit der Jugend.
Die reiche Göttin Phantasie,
Die dem geweihten Blick die schönsten Bilder webet,
So wenig seh' ich sie,
Als jetzt den Schmetterling, der um die Blüthe schwebet.
Ich reine nur, ich dichte nicht. —

Grenzboten II. 1831. 91
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[0165] Gin Jugendfreund (Koethes. Geburtstage) gefeiert hatte, Behrischs Festepistel ist durchaus der Mittheilung Werth, dach dürfen wir nicht zu viel Raum in Anspruch nehmen und geben deshalb bloß den Anfang. Sechsmal betrat der Mond mit neuem Licht die Bahn Und sah beschämend mich, deu bösen Schuldner, um. Es tönt wie Flötenton noch jetzt in meinen Ohren Das Lied von deiner Huld im Lenz für mich geboren: Nach eh' die Nachtigall von ihrer Liebe sang Entströmte deinem Spiel gedankenreicher Klang; Nun ist die Schwalbe fort, ihr Flüstern schon verklungen, Ich, ganz des Dankes voll, hab' ihn noch nicht gesungen. So ist des Jünglings Mund beredter Worte voll, Die, schon geordnet, nun die Göttin hören soll, Er sieht die Wirkung schon, eilt mit den süßen Klagen Vor ihrem Blicke hin, um — nichts davon zu sagen. So, wenn auf dem Gedicht mein frohes Auge fiel, Ergriff die kühne Faust geschwind das Saitenspiel! Doch wollte bald der Ton nicht zur Empfindung passen, Und bald das Silbenmaß nicht den Gedanken fassen. Nur heute, eS blühte uoch das Morgenroth empor, Sang mir die Muse selbst die reinsten Töne vor. Charakteristisch für das Gemüth und die Denkweise Behrischs erscheint sein Ge- burlstagsgedicht an Berenhorst vom Jahre 1792, dessen Anfang und Schluß wir folgen lassen. Die Verse zeigen, daß Behrisch zwischen Dichten und Reimen sehr klar unterschied und ehrlich eingesteht, daß die Zeit lebendig sprudelnder Lieder für ihn vorbei sei. Gerade aber die Wärme, mit der er dies empfindet, und die Auf¬ richtigkeit, mit der er dieser Empfindung Ausdruck giebt, erheben wieder seine Verse und geben ihnen einen poetischen Hauch. Hör' aus zu singen, alter Sänger, So predigt mir so manches Dichters Lnnf; Hör' auf, ruft die Kritik, und strenger Ruft eigenes Gefühl! Hör' auf. Denn kälter wird das Herz, wie jenes Sees Welle. Die, bald vom Frost gehemmt, uicht mehr gekräuselt fließt, Und doch ist jenes nnr die Quelle, Ans der in den Gesang das Leben sich ergießt. Erfindung, sie, die erste Tugend Des Dichters, der sich Kränze pflückt, Begleitet ihn, so laug ihn Jugend schmückt, Und ewig jung entflieht sie mit der Jugend. Die reiche Göttin Phantasie, Die dem geweihten Blick die schönsten Bilder webet, So wenig seh' ich sie, Als jetzt den Schmetterling, der um die Blüthe schwebet. Ich reine nur, ich dichte nicht. — Grenzboten II. 1831. 91

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/165>, abgerufen am 23.07.2024.