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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Ohren hingen, eine wirklich geeignete Kleidung, uns zu verbergen. Auch gingen
wir sogleich dreist in die Straßen und durchliefen einen Theil der Stadt, um
uns nach dem Muzeller Thore zu begeben, woraus wir am ungehindertsten zu
gehen glaubten. Als wir nahe beim Thore angekommen waren, näherte sich uns
der zur Untersuchung der Hinausgehenden dahingestellte Bürger, ein Papist, und
nachdem er uns im Gesichte betrachtet hatte, fragte er: "Wo gehen Sie hin,
meine Herren?" Diese für uns Bauern etwas zu höfliche Frage und die genaue
Bekanntschaft, so wir mit dem Frager hatten, welcher uns in unsern gewöhn¬
lichen Kleidern auch sehr genau kannte, brachte uns ein wenig aus der Fassung,
weil wir glaubten, er habe uns erkannt, und wir zitterten, er möge uns durch
die nahe bei ihm stehende Schildwache arretiren lassen. Ich erholte mich jedoch
und antwortete ihm in guter Bauernsprache drauf, daß wir nach Crepy gingen,
wo wir wohnten. Er fragte, ob wir einen Paß hätten. Ich sagte ihm dreist:
nein! und daß die Bauern keinen bedürften. Er sagte uns hierauf, daß er uns
nicht hinaus lassen würde, worauf wir ihn verließen und ihm sagten, wir würden
also wieder zu unserm Wirthe gehen und dort schlafen. Sobald wir um die
erste Ecke gebogen waren, verdoppelten wir unsre Schritte, aus Furcht, er möchte
uns verfolgen lassen, und weil die Nacht herankam. Wir kamen auf großen
Umwegen zu dein Thore Se. Thibaut, und als wir über das soeben Passiren
nachgedacht hatten, so beschloß ich, es an diesem Thore auf eine andre Art zu
versuchen. Ich benachrichtigte meinen Schwager, er möchte sich nicht wundern
über die Person, welche ich vorstellen würde. Ich fing um, von einer Seite nach
der andern zu schwankem, und sobald ich das Thor von ferne sah, machte ich
M-Striche von einer Seite der Straße zur andern und begleitete dies mit
Freudengeschrei, wie die besoffner Bauern zu thun Pflegen. Ich stellte diese Person
so gut vor, daß alles bei meiner Annäherung entfloh; mein Schwager stellte sich,
als wollte er mich unterstützen und ich stieß ihn zurück.

Sobald ich den untersuchenden Bürger am Thore erblickte, verdoppelte ich
meine Sprünge und ließ mich gerade auf ihn losstürzen. Aus Furcht, gestoßen
zu werden, zog er sich an die Häuser zurück, wir kamen also sehr glücklich bei
ihm vorbei. Als wir zwischen den beiden Pforten waren, sah ich von ferne
einen Winzer meiner Schwiegermutter mit Frau und Kindern von seinem Wein¬
berge zurückkommen, welcher uns genau kannte, so daß mein Schwager uns verloren
glaubte. Ich saßte sogleich meinen Entschluß, verdoppelte mein Geschrei und Ge-
berden und warf mich mitten in die arme Familie, welche aus Furcht sich rechts
und links zerstreute, ohne sich einfallen zu lassen, uns zu betrachten. So be¬
fanden wir uns also glücklich außerhalb der Stadt, deren Thore man gleich
nachher schloß.


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

Ohren hingen, eine wirklich geeignete Kleidung, uns zu verbergen. Auch gingen
wir sogleich dreist in die Straßen und durchliefen einen Theil der Stadt, um
uns nach dem Muzeller Thore zu begeben, woraus wir am ungehindertsten zu
gehen glaubten. Als wir nahe beim Thore angekommen waren, näherte sich uns
der zur Untersuchung der Hinausgehenden dahingestellte Bürger, ein Papist, und
nachdem er uns im Gesichte betrachtet hatte, fragte er: „Wo gehen Sie hin,
meine Herren?" Diese für uns Bauern etwas zu höfliche Frage und die genaue
Bekanntschaft, so wir mit dem Frager hatten, welcher uns in unsern gewöhn¬
lichen Kleidern auch sehr genau kannte, brachte uns ein wenig aus der Fassung,
weil wir glaubten, er habe uns erkannt, und wir zitterten, er möge uns durch
die nahe bei ihm stehende Schildwache arretiren lassen. Ich erholte mich jedoch
und antwortete ihm in guter Bauernsprache drauf, daß wir nach Crepy gingen,
wo wir wohnten. Er fragte, ob wir einen Paß hätten. Ich sagte ihm dreist:
nein! und daß die Bauern keinen bedürften. Er sagte uns hierauf, daß er uns
nicht hinaus lassen würde, worauf wir ihn verließen und ihm sagten, wir würden
also wieder zu unserm Wirthe gehen und dort schlafen. Sobald wir um die
erste Ecke gebogen waren, verdoppelten wir unsre Schritte, aus Furcht, er möchte
uns verfolgen lassen, und weil die Nacht herankam. Wir kamen auf großen
Umwegen zu dein Thore Se. Thibaut, und als wir über das soeben Passiren
nachgedacht hatten, so beschloß ich, es an diesem Thore auf eine andre Art zu
versuchen. Ich benachrichtigte meinen Schwager, er möchte sich nicht wundern
über die Person, welche ich vorstellen würde. Ich fing um, von einer Seite nach
der andern zu schwankem, und sobald ich das Thor von ferne sah, machte ich
M-Striche von einer Seite der Straße zur andern und begleitete dies mit
Freudengeschrei, wie die besoffner Bauern zu thun Pflegen. Ich stellte diese Person
so gut vor, daß alles bei meiner Annäherung entfloh; mein Schwager stellte sich,
als wollte er mich unterstützen und ich stieß ihn zurück.

Sobald ich den untersuchenden Bürger am Thore erblickte, verdoppelte ich
meine Sprünge und ließ mich gerade auf ihn losstürzen. Aus Furcht, gestoßen
zu werden, zog er sich an die Häuser zurück, wir kamen also sehr glücklich bei
ihm vorbei. Als wir zwischen den beiden Pforten waren, sah ich von ferne
einen Winzer meiner Schwiegermutter mit Frau und Kindern von seinem Wein¬
berge zurückkommen, welcher uns genau kannte, so daß mein Schwager uns verloren
glaubte. Ich saßte sogleich meinen Entschluß, verdoppelte mein Geschrei und Ge-
berden und warf mich mitten in die arme Familie, welche aus Furcht sich rechts
und links zerstreute, ohne sich einfallen zu lassen, uns zu betrachten. So be¬
fanden wir uns also glücklich außerhalb der Stadt, deren Thore man gleich
nachher schloß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/148>, abgerufen am 23.07.2024.