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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

in seinem noch in meinem Hause vornehmen zu dürfen. Ich faßte den Entschluß,
unsre Verkleidung bei den Füßen und Beinen anzufangen. Wir kauften daher grobe
Strümpfe und Bauerschnh mit Nägeln, und als wir sie angelegt hatten, gingen
wir damit durch den Gasfenkoth spazieren, um sie recht schmutzig zu machen.
Indem wir so spazierten, kam es mir in den Sinn, uns an zwei gute Jungfern
zu wenden, deren Väter, die devotesten in unsrer Religion, an einem sehr ab¬
gelegnen Orte wohnten. Wir stellten ihnen unsre Absicht vor und baten sie um
Erlaubniß, uns bei ihnen verkleiden zu dürfen.

Es fiel nicht so aus, wie ich erwartet hatte, sie sagten uns zitternd, sie
dürften es nicht; ich antwortete ihnen hierauf, um sie zu beruhigen, sie möchten
so gut sein, es zu überlegen und uns ihren Entschluß in ein paar Tagen sagen
zu lassen. Wir zogen uns sehr niedergeschlagen und mein Schwager beinahe
muthlos zurück. In diesem Augenblicke gab mir Gott den Gedanken ins.Herz,
zu einem armen Schuster zu gehen, den ich kannte. Als wir ihm unsern Vor¬
schlag gemacht und hinzugefügt hatten, daß die Kleider, welche wir jetzt auf dem
Leibe haben, für ihn sein sollten, so zeigte er uns eine kleine Kammer zu feiten
derer, worin er arbeitete. "Sie können, sagte er, Ihre Kleider bringen lasse"
und sich hier, wenn es Ihnen gefällt, umkleiden, ohne daß ich noch ein andrer
etwas davon zu sehen bekommt." Wir gingen ziemlich befriedigt, und als wir
zu Hause angekommen, ließ ich die Bauerukleider durch meine Magd in jene kleine
Kammer bringen.

Da wir sehr müde und schmutzig waren, aßen wir einen Bissen, um uns
ein wenig wiederherzustellen. Nach diesem schrieb ich an meine Frau mit der Post,
sie solle Homburg durchaus in keinem Falle verlassen, denn mein Schwager und
ich würden uns selbst auf den Weg machen, um sie nach Metz zurückzubringen.
Ich gebrauchte diese Vorsicht, damit, wenn wir angehalten würden, dieser Brief
uns rechtfertigen könne. Nach diesen Maßregeln verließen wir mein Haus, ohne
jemandem, selbst meiner Schwägerin, welche in meinem Laden war, etwas davon
zu sagen. Wir begaben uns gegen 4 Uhr zu unserm Schuster und gingen in
unsre kleine Stube, woselbst wir unsre Bauerkleidung fanden ohne ihn zu sprechen;
wir zogen unsre Kleider ohne Bedauern aus, obgleich sich auf den meinigen ein
Besatz silberner Knöpfe von mehr als 30 Thaler Werth befand.

Wir bekleideten uns mit jenen, welche aber in der That sehr knapp und
sehr zerrissen und nicht im stände waren, uns vor der strengen Jahreszeit zu
schützen. Als wir damit fertig waren, konnten wir uns doch des Lachens nicht
enthalten, da wir uns so lächerlich ausstaffirt sahen mit abscheulichen Jacken und
zerrissnen Hosen von ganz grobem Tuche, und als Ueberrock einen abscheulichen
leinenen Bauernkittel, unsre Köpfe mit Hüten geziert, deren Stücke uns über die


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

in seinem noch in meinem Hause vornehmen zu dürfen. Ich faßte den Entschluß,
unsre Verkleidung bei den Füßen und Beinen anzufangen. Wir kauften daher grobe
Strümpfe und Bauerschnh mit Nägeln, und als wir sie angelegt hatten, gingen
wir damit durch den Gasfenkoth spazieren, um sie recht schmutzig zu machen.
Indem wir so spazierten, kam es mir in den Sinn, uns an zwei gute Jungfern
zu wenden, deren Väter, die devotesten in unsrer Religion, an einem sehr ab¬
gelegnen Orte wohnten. Wir stellten ihnen unsre Absicht vor und baten sie um
Erlaubniß, uns bei ihnen verkleiden zu dürfen.

Es fiel nicht so aus, wie ich erwartet hatte, sie sagten uns zitternd, sie
dürften es nicht; ich antwortete ihnen hierauf, um sie zu beruhigen, sie möchten
so gut sein, es zu überlegen und uns ihren Entschluß in ein paar Tagen sagen
zu lassen. Wir zogen uns sehr niedergeschlagen und mein Schwager beinahe
muthlos zurück. In diesem Augenblicke gab mir Gott den Gedanken ins.Herz,
zu einem armen Schuster zu gehen, den ich kannte. Als wir ihm unsern Vor¬
schlag gemacht und hinzugefügt hatten, daß die Kleider, welche wir jetzt auf dem
Leibe haben, für ihn sein sollten, so zeigte er uns eine kleine Kammer zu feiten
derer, worin er arbeitete. „Sie können, sagte er, Ihre Kleider bringen lasse»
und sich hier, wenn es Ihnen gefällt, umkleiden, ohne daß ich noch ein andrer
etwas davon zu sehen bekommt." Wir gingen ziemlich befriedigt, und als wir
zu Hause angekommen, ließ ich die Bauerukleider durch meine Magd in jene kleine
Kammer bringen.

Da wir sehr müde und schmutzig waren, aßen wir einen Bissen, um uns
ein wenig wiederherzustellen. Nach diesem schrieb ich an meine Frau mit der Post,
sie solle Homburg durchaus in keinem Falle verlassen, denn mein Schwager und
ich würden uns selbst auf den Weg machen, um sie nach Metz zurückzubringen.
Ich gebrauchte diese Vorsicht, damit, wenn wir angehalten würden, dieser Brief
uns rechtfertigen könne. Nach diesen Maßregeln verließen wir mein Haus, ohne
jemandem, selbst meiner Schwägerin, welche in meinem Laden war, etwas davon
zu sagen. Wir begaben uns gegen 4 Uhr zu unserm Schuster und gingen in
unsre kleine Stube, woselbst wir unsre Bauerkleidung fanden ohne ihn zu sprechen;
wir zogen unsre Kleider ohne Bedauern aus, obgleich sich auf den meinigen ein
Besatz silberner Knöpfe von mehr als 30 Thaler Werth befand.

Wir bekleideten uns mit jenen, welche aber in der That sehr knapp und
sehr zerrissen und nicht im stände waren, uns vor der strengen Jahreszeit zu
schützen. Als wir damit fertig waren, konnten wir uns doch des Lachens nicht
enthalten, da wir uns so lächerlich ausstaffirt sahen mit abscheulichen Jacken und
zerrissnen Hosen von ganz grobem Tuche, und als Ueberrock einen abscheulichen
leinenen Bauernkittel, unsre Köpfe mit Hüten geziert, deren Stücke uns über die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/147>, abgerufen am 23.07.2024.