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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes,

Er schickte in der That dem Commissär von Homburg Befehl, meiner Iran
aus den Magazinen des Königs alles dessen sie bedürfe zu liefern. Sie erhielt
sogleich von ihm Matratzen, Betttücher, Decken und Tischzeug, und alles ganz
neu. Ich hatte ihr gesagt, von Herrn de la BrÄeche, Commandanten zu Hom¬
burg, sich ein Certificat geben zu lassen, daß sie und ihre Familie wirklich da
seien. Er bewilligte es ihr sogleich ganz artig und bezeigte ihr sogar sein Mit¬
leid über den traurigen Zustand, in dem sie sich befänden. Als ich dieses Certificat
erhalten hatte, ging ich damit zu Herrn Le Roy, um ihm zu beweisen, daß ich
mit Unrecht beschuldigt wäre, meine Frau aus dem Königreiche geschickt zu
haben. "Sieh da, sagte er, das ist sehr gut, ich werde mich bemühen, daß man
Sie nicht in Arrest lege. Aber Sie müssen sie ungesäumt zurückkommen lassen.
Hierauf bat ich ihn, sie holen zu dürfen. Nein, sagte er aber, schicken Sie
einen Ihrer katholischen Freunde. Ich sagte ihm lachend, daß ich meine Frau
nicht gerne einem andern anvertraue. Als er meinen Bart bemerkte, den ich seit
vierzehn Tagen nicht hatte rasiren lassen, fragte er mich, was ich mit diesem
großen Barte thäte. Ich sagte ihm, daß ich ein Gelübde gethan, mich nicht rasiren
zu lassen, bevor meine Frau bei mir sei. "Laßt sie doch aufs geschwindeste
kommen." Als ich meine Empfehlung gemacht hatte, ging ich zu meinem Hause
zurück. Meine Boutike war gewöhnlich offen, ich verkaufte alle Tage etwas und ich
benutzte alle Postgclegenheiten, um meiner Frau das am besten tragbare zu
schicken. Mein Schwager Blanebois besuchte mich alle Tage, wir überlegten die
Mittel, um zu unsern Frauen zu kommen, wobei wir auf große Hindernisse stießen,
weil wir uns selbst unsern Nächsten nicht anvertrauten. In diesem traurigen
Zustande blieben wir drei Wochen in Metz. Als wir jedoch überlegten, daß hier
nichts gutes für uns zu hoffen sei, so legte mir Gott einen festen Entschluß
ins Herz, mich und zu gleicher Zeit auch meine Familie zu retten, ungeachtet der
Gefahr, welche wir dabei liefen. Ich theilte dies meinem Schwager mit, welcher,
nachdem er einige Schwierigkeiten gemacht hatte, meinem Willen beipflichtete,
indem er alles meiner Ausführung überließ, da er selbst wenig Fähigkeiten hatte,
Auswege zu finden. Als dies beschlossen war, befahl ich meiner Magd, mir ihren
Vater zu schicken, welcher ein Winzer war und eine Stunde von der Stadt
wohnte. Da er von unsrer Religion war, so glaubte ich ihm vertrauen zu
können. Als er also gekommen war, so sagte ich ihm, er möge mir den andern
Tag, Sonnabend den 17. November, zwei alte Bauernkleidungen bringen, für
meinen Schwager und mich. Da er sie mir in mein Haus gebracht hatte, be¬
zahlte ich ihn und bedankte mich, indem ich ihn noch bat, einen gewissen Mann
seines Dorfes zu bewegen, uns zum Führer zu dienen. Hierauf redete ich mit
meinem Schwager über den Ort unsrer Verkleidung, denn wir glaubten sie weder


Ans den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes,

Er schickte in der That dem Commissär von Homburg Befehl, meiner Iran
aus den Magazinen des Königs alles dessen sie bedürfe zu liefern. Sie erhielt
sogleich von ihm Matratzen, Betttücher, Decken und Tischzeug, und alles ganz
neu. Ich hatte ihr gesagt, von Herrn de la BrÄeche, Commandanten zu Hom¬
burg, sich ein Certificat geben zu lassen, daß sie und ihre Familie wirklich da
seien. Er bewilligte es ihr sogleich ganz artig und bezeigte ihr sogar sein Mit¬
leid über den traurigen Zustand, in dem sie sich befänden. Als ich dieses Certificat
erhalten hatte, ging ich damit zu Herrn Le Roy, um ihm zu beweisen, daß ich
mit Unrecht beschuldigt wäre, meine Frau aus dem Königreiche geschickt zu
haben. „Sieh da, sagte er, das ist sehr gut, ich werde mich bemühen, daß man
Sie nicht in Arrest lege. Aber Sie müssen sie ungesäumt zurückkommen lassen.
Hierauf bat ich ihn, sie holen zu dürfen. Nein, sagte er aber, schicken Sie
einen Ihrer katholischen Freunde. Ich sagte ihm lachend, daß ich meine Frau
nicht gerne einem andern anvertraue. Als er meinen Bart bemerkte, den ich seit
vierzehn Tagen nicht hatte rasiren lassen, fragte er mich, was ich mit diesem
großen Barte thäte. Ich sagte ihm, daß ich ein Gelübde gethan, mich nicht rasiren
zu lassen, bevor meine Frau bei mir sei. „Laßt sie doch aufs geschwindeste
kommen." Als ich meine Empfehlung gemacht hatte, ging ich zu meinem Hause
zurück. Meine Boutike war gewöhnlich offen, ich verkaufte alle Tage etwas und ich
benutzte alle Postgclegenheiten, um meiner Frau das am besten tragbare zu
schicken. Mein Schwager Blanebois besuchte mich alle Tage, wir überlegten die
Mittel, um zu unsern Frauen zu kommen, wobei wir auf große Hindernisse stießen,
weil wir uns selbst unsern Nächsten nicht anvertrauten. In diesem traurigen
Zustande blieben wir drei Wochen in Metz. Als wir jedoch überlegten, daß hier
nichts gutes für uns zu hoffen sei, so legte mir Gott einen festen Entschluß
ins Herz, mich und zu gleicher Zeit auch meine Familie zu retten, ungeachtet der
Gefahr, welche wir dabei liefen. Ich theilte dies meinem Schwager mit, welcher,
nachdem er einige Schwierigkeiten gemacht hatte, meinem Willen beipflichtete,
indem er alles meiner Ausführung überließ, da er selbst wenig Fähigkeiten hatte,
Auswege zu finden. Als dies beschlossen war, befahl ich meiner Magd, mir ihren
Vater zu schicken, welcher ein Winzer war und eine Stunde von der Stadt
wohnte. Da er von unsrer Religion war, so glaubte ich ihm vertrauen zu
können. Als er also gekommen war, so sagte ich ihm, er möge mir den andern
Tag, Sonnabend den 17. November, zwei alte Bauernkleidungen bringen, für
meinen Schwager und mich. Da er sie mir in mein Haus gebracht hatte, be¬
zahlte ich ihn und bedankte mich, indem ich ihn noch bat, einen gewissen Mann
seines Dorfes zu bewegen, uns zum Führer zu dienen. Hierauf redete ich mit
meinem Schwager über den Ort unsrer Verkleidung, denn wir glaubten sie weder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/146>, abgerufen am 23.07.2024.