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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Neue Dramen.

Frauen von Schorndvrf ist hier mit spannendein Verlauf, mit frischem Leben,
ohne possenhafte Auffassung, ja wie uns scheint, an ein paar Stellen mit all¬
zuscharfer Betonung des tragischen Conflicts, der in ihr liegt, zu einem trefflich
gesteigerten, rasch verlaufenden Schauspiel gestaltet, bei dem, wie billig, die Er¬
findung des Dichters das beste gethan hat. Nicht gleich hoch können wir das
vaterländische Schauspiel "Prinz Eugen" von Martin Greif (Cassel, Ver¬
lag von Theodor Kap) stellen. Es ist ohne Zweifel das Werk eines Poeten,
bezeugt einen Drang zu großer Gestaltung und patriotischem Pathos, zeigt sich
aber andrerseits von gewissen Ueberlieferungen des Theaters, Rollcnschabloncn
und rhetorischen Exercitien in einer Weise abhängig, die bei guter Darstellung
nicht zum Bewußtsein kommen mag, aber dem Leser deutlich wird.

Verwunderlich bleibt so vielen Versuchen und Anläufen gegenüber eine
Thatsache. Jahraus, jahrein versichert unsre reale Bühne, daß sie eine deutsche
Komödie, ein Schauspiel aus unsern Sitten, Zuständen und Empfindungen heraus
nöthig habe und von der kritischen Hochwände schauen zahlreiche Späher und
Seher nach einem "deutschen Sardon", nebenbei gesagt ein Wider- und Unsinn,
aus. Nun wissen wir recht gut, daß, wo sich ein Poet ans diesen Pfad begiebt,
ihm dieselbe kalte Gleichgiltigkeit oder dieselbe Ueberreizung der Forderungen be¬
gegnet, die "epochemachende," "phänomenale" Schöpfungen begehrt und sich
schließlich mit dem "sensationellen" Erfolg eines theatralischen Effectes begnügt.
Aber die Forderung bleibt nichtsdestoweniger in ihrem Recht. Und da unsre
dramatischen Poeten so tapfer fortfahren, ihrem Drange zu genügen, um Gunst
und Ungunst des Theaters unbekümmert, so sollten sie wirklich ihren Blick mich
der modernen Welt zuwenden und es nicht einem geistesfrischen Veteranen wie
dem alten Bauernfeld ganz allein überlassen "Aus der Gesellschaft" zu dichten.
Uns dünkt das Leben der Gegenwart biete Handlungen, Conflicte, Gestalten in
reichster Fülle und wenn es einmal nicht auf die Darstellung ankommt und wir
dein Zedern über Buchdramen doch wieder und wieder Trotz bieten, wäre es
vielleicht ersprießlich, wenn sich diesem Leben Blicke und gestaltende Kräfte zu¬
wenden wollten. Hier wäre auch am ehesten Aussicht, die Kluft zwischen dramatischer
Production und Bühne doch noch zu füllen und wenn nicht heute so morgen
der Schauspielkunst Aufgaben zu stellen, bei denen sie realistisch bleiben und sich
doch über die naturalistische Verwilderung des Augenblicks erheben kann. Fromme
Wünsche ohne Zweifel -- aber warum sollen alle fromme Wünsche den Herren
Directoren und Regisseuren zu Liebe verpönt sein?!




Neue Dramen.

Frauen von Schorndvrf ist hier mit spannendein Verlauf, mit frischem Leben,
ohne possenhafte Auffassung, ja wie uns scheint, an ein paar Stellen mit all¬
zuscharfer Betonung des tragischen Conflicts, der in ihr liegt, zu einem trefflich
gesteigerten, rasch verlaufenden Schauspiel gestaltet, bei dem, wie billig, die Er¬
findung des Dichters das beste gethan hat. Nicht gleich hoch können wir das
vaterländische Schauspiel „Prinz Eugen" von Martin Greif (Cassel, Ver¬
lag von Theodor Kap) stellen. Es ist ohne Zweifel das Werk eines Poeten,
bezeugt einen Drang zu großer Gestaltung und patriotischem Pathos, zeigt sich
aber andrerseits von gewissen Ueberlieferungen des Theaters, Rollcnschabloncn
und rhetorischen Exercitien in einer Weise abhängig, die bei guter Darstellung
nicht zum Bewußtsein kommen mag, aber dem Leser deutlich wird.

Verwunderlich bleibt so vielen Versuchen und Anläufen gegenüber eine
Thatsache. Jahraus, jahrein versichert unsre reale Bühne, daß sie eine deutsche
Komödie, ein Schauspiel aus unsern Sitten, Zuständen und Empfindungen heraus
nöthig habe und von der kritischen Hochwände schauen zahlreiche Späher und
Seher nach einem „deutschen Sardon", nebenbei gesagt ein Wider- und Unsinn,
aus. Nun wissen wir recht gut, daß, wo sich ein Poet ans diesen Pfad begiebt,
ihm dieselbe kalte Gleichgiltigkeit oder dieselbe Ueberreizung der Forderungen be¬
gegnet, die „epochemachende," „phänomenale" Schöpfungen begehrt und sich
schließlich mit dem „sensationellen" Erfolg eines theatralischen Effectes begnügt.
Aber die Forderung bleibt nichtsdestoweniger in ihrem Recht. Und da unsre
dramatischen Poeten so tapfer fortfahren, ihrem Drange zu genügen, um Gunst
und Ungunst des Theaters unbekümmert, so sollten sie wirklich ihren Blick mich
der modernen Welt zuwenden und es nicht einem geistesfrischen Veteranen wie
dem alten Bauernfeld ganz allein überlassen „Aus der Gesellschaft" zu dichten.
Uns dünkt das Leben der Gegenwart biete Handlungen, Conflicte, Gestalten in
reichster Fülle und wenn es einmal nicht auf die Darstellung ankommt und wir
dein Zedern über Buchdramen doch wieder und wieder Trotz bieten, wäre es
vielleicht ersprießlich, wenn sich diesem Leben Blicke und gestaltende Kräfte zu¬
wenden wollten. Hier wäre auch am ehesten Aussicht, die Kluft zwischen dramatischer
Production und Bühne doch noch zu füllen und wenn nicht heute so morgen
der Schauspielkunst Aufgaben zu stellen, bei denen sie realistisch bleiben und sich
doch über die naturalistische Verwilderung des Augenblicks erheben kann. Fromme
Wünsche ohne Zweifel — aber warum sollen alle fromme Wünsche den Herren
Directoren und Regisseuren zu Liebe verpönt sein?!




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[0139] Neue Dramen. Frauen von Schorndvrf ist hier mit spannendein Verlauf, mit frischem Leben, ohne possenhafte Auffassung, ja wie uns scheint, an ein paar Stellen mit all¬ zuscharfer Betonung des tragischen Conflicts, der in ihr liegt, zu einem trefflich gesteigerten, rasch verlaufenden Schauspiel gestaltet, bei dem, wie billig, die Er¬ findung des Dichters das beste gethan hat. Nicht gleich hoch können wir das vaterländische Schauspiel „Prinz Eugen" von Martin Greif (Cassel, Ver¬ lag von Theodor Kap) stellen. Es ist ohne Zweifel das Werk eines Poeten, bezeugt einen Drang zu großer Gestaltung und patriotischem Pathos, zeigt sich aber andrerseits von gewissen Ueberlieferungen des Theaters, Rollcnschabloncn und rhetorischen Exercitien in einer Weise abhängig, die bei guter Darstellung nicht zum Bewußtsein kommen mag, aber dem Leser deutlich wird. Verwunderlich bleibt so vielen Versuchen und Anläufen gegenüber eine Thatsache. Jahraus, jahrein versichert unsre reale Bühne, daß sie eine deutsche Komödie, ein Schauspiel aus unsern Sitten, Zuständen und Empfindungen heraus nöthig habe und von der kritischen Hochwände schauen zahlreiche Späher und Seher nach einem „deutschen Sardon", nebenbei gesagt ein Wider- und Unsinn, aus. Nun wissen wir recht gut, daß, wo sich ein Poet ans diesen Pfad begiebt, ihm dieselbe kalte Gleichgiltigkeit oder dieselbe Ueberreizung der Forderungen be¬ gegnet, die „epochemachende," „phänomenale" Schöpfungen begehrt und sich schließlich mit dem „sensationellen" Erfolg eines theatralischen Effectes begnügt. Aber die Forderung bleibt nichtsdestoweniger in ihrem Recht. Und da unsre dramatischen Poeten so tapfer fortfahren, ihrem Drange zu genügen, um Gunst und Ungunst des Theaters unbekümmert, so sollten sie wirklich ihren Blick mich der modernen Welt zuwenden und es nicht einem geistesfrischen Veteranen wie dem alten Bauernfeld ganz allein überlassen „Aus der Gesellschaft" zu dichten. Uns dünkt das Leben der Gegenwart biete Handlungen, Conflicte, Gestalten in reichster Fülle und wenn es einmal nicht auf die Darstellung ankommt und wir dein Zedern über Buchdramen doch wieder und wieder Trotz bieten, wäre es vielleicht ersprießlich, wenn sich diesem Leben Blicke und gestaltende Kräfte zu¬ wenden wollten. Hier wäre auch am ehesten Aussicht, die Kluft zwischen dramatischer Production und Bühne doch noch zu füllen und wenn nicht heute so morgen der Schauspielkunst Aufgaben zu stellen, bei denen sie realistisch bleiben und sich doch über die naturalistische Verwilderung des Augenblicks erheben kann. Fromme Wünsche ohne Zweifel — aber warum sollen alle fromme Wünsche den Herren Directoren und Regisseuren zu Liebe verpönt sein?!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/139>, abgerufen am 25.08.2024.