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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lewen alle seine Umgebungen lenkt, sind doch Stricke, die auch dem blödesten
Ange sichtbar werden müssen, und das Bündniß, welches der Bischof von Cnssalin
Marino de Forgeno und der Kanzler mit einander schließen, sammt den obligaten
Folter- und Vergiftungsseeneu, schmeckt etwas nach Schaucrromantik und der
Ueberlieferung, die jedem intriguirenden Priester die ruchlose Energie Papst
Alexanders VI. beimißt. Indeß ist unzweifelhaft Talent, namentlich eine gewisse
Kraft der Situationsdarstellung in dieser Dichtung, die sich mit reiferen Ge¬
schmacke wohl zu erfreulichen Wirkungen verbinden mag.

In der neuern Geschichte ziehen, wie billig, die Charaktere und Ereignisse
der großen englischen und der französischen Revolution noch immer die Drama¬
tiker an. Zu rühmen ist freilich an den neuesten Versuchen dieser Art nicht viel.
Ein "Cromwell," Drama in fünf Auszügen von H. Jvsefowitz (Berlin,
Verlag der Stuhrschen Buchhandlung), zeichnet sich nur durch die wunderliche
Unbefangenheit aus, mit welcher hier den Staatsmännern des langen Parla¬
ments, den Zeitgenossen des großen Protectors eine moderne Ausdrucksweise
geliehen ist, die wohl realistisch sein soll. Daß die Heiligen Zorobcibel, Habaknk
und Preisgott Barebone vor König Karl eine Sprache reden, etwa wie Juden-
jungen, denen ein Straßenräuber ihren Bändelkram abgejagt hat (nebenbei ge¬
sagt ist es mehr als poetische Licenz, eine Deputation der "Heiligen" vor Karl II.
im Exil erscheinen zu lassen), reicht noch nicht an die Kühnheit einiger andrer
zeitgemäßer Charaktere heran. Secretär Thurlon z. E. eröffnet seine Gedanken
über Cromwells Politik wörtlich so:

"Er ist mir zu hitzig, zu hitzig. Da liegen uun z. B. da hinten im stillen
Meer ein paar Jnselchen, kleine Dinger, gar nicht erst der Rede werth, kupser¬
rothe Wilde drauf, der Spanier hat nun mal Appetit für die Rasse, hat sich
ein paar gekapert. Was ists nun weiter? (gestikulirend). Was willst Du nun
von den Leuten? Laß doch die armen Vieher in Ruh. Um Gotteswillen! Sie
haben Dir doch nichts zu Leide gethan! Aber nein! Grade nicht! Da giebt er
dem Peru Ordre -- er soll die Inseln annectiren, und mein Peru natürlich
nicht faul -- denn das ist gerade so ein Bissen für ihn -- schießt gleich ein
Dutzend Spanier mit todt, zum Frühstück. Und der Spanier wieder mit dem
langen Hals -- denn warum nicht? macht gleich ein großes Geschrei."

Und so weiter, mit Grazie in inlinitnm. Uns will bedrücken, daß dies ein
mißlicher Weg sei, sich dem Conventionellen im dramatischen Stil zu entziehen. --
Ganz unerquicklich und dabei unberechtigt prätentiös erscheint ein "Danton,"
Trauerspiel in fünf Aufzügen vou Max Bewer (Hamburg, Johannes Knebel).
Derselbe unterscheidet sich von Büchners genialen Fragment dadurch, daß er
kalte Vorrede sich im "Lichtkreise des Gefühls" hält und in Danton eine durchaus


Lewen alle seine Umgebungen lenkt, sind doch Stricke, die auch dem blödesten
Ange sichtbar werden müssen, und das Bündniß, welches der Bischof von Cnssalin
Marino de Forgeno und der Kanzler mit einander schließen, sammt den obligaten
Folter- und Vergiftungsseeneu, schmeckt etwas nach Schaucrromantik und der
Ueberlieferung, die jedem intriguirenden Priester die ruchlose Energie Papst
Alexanders VI. beimißt. Indeß ist unzweifelhaft Talent, namentlich eine gewisse
Kraft der Situationsdarstellung in dieser Dichtung, die sich mit reiferen Ge¬
schmacke wohl zu erfreulichen Wirkungen verbinden mag.

In der neuern Geschichte ziehen, wie billig, die Charaktere und Ereignisse
der großen englischen und der französischen Revolution noch immer die Drama¬
tiker an. Zu rühmen ist freilich an den neuesten Versuchen dieser Art nicht viel.
Ein „Cromwell," Drama in fünf Auszügen von H. Jvsefowitz (Berlin,
Verlag der Stuhrschen Buchhandlung), zeichnet sich nur durch die wunderliche
Unbefangenheit aus, mit welcher hier den Staatsmännern des langen Parla¬
ments, den Zeitgenossen des großen Protectors eine moderne Ausdrucksweise
geliehen ist, die wohl realistisch sein soll. Daß die Heiligen Zorobcibel, Habaknk
und Preisgott Barebone vor König Karl eine Sprache reden, etwa wie Juden-
jungen, denen ein Straßenräuber ihren Bändelkram abgejagt hat (nebenbei ge¬
sagt ist es mehr als poetische Licenz, eine Deputation der „Heiligen" vor Karl II.
im Exil erscheinen zu lassen), reicht noch nicht an die Kühnheit einiger andrer
zeitgemäßer Charaktere heran. Secretär Thurlon z. E. eröffnet seine Gedanken
über Cromwells Politik wörtlich so:

„Er ist mir zu hitzig, zu hitzig. Da liegen uun z. B. da hinten im stillen
Meer ein paar Jnselchen, kleine Dinger, gar nicht erst der Rede werth, kupser¬
rothe Wilde drauf, der Spanier hat nun mal Appetit für die Rasse, hat sich
ein paar gekapert. Was ists nun weiter? (gestikulirend). Was willst Du nun
von den Leuten? Laß doch die armen Vieher in Ruh. Um Gotteswillen! Sie
haben Dir doch nichts zu Leide gethan! Aber nein! Grade nicht! Da giebt er
dem Peru Ordre — er soll die Inseln annectiren, und mein Peru natürlich
nicht faul — denn das ist gerade so ein Bissen für ihn — schießt gleich ein
Dutzend Spanier mit todt, zum Frühstück. Und der Spanier wieder mit dem
langen Hals — denn warum nicht? macht gleich ein großes Geschrei."

Und so weiter, mit Grazie in inlinitnm. Uns will bedrücken, daß dies ein
mißlicher Weg sei, sich dem Conventionellen im dramatischen Stil zu entziehen. —
Ganz unerquicklich und dabei unberechtigt prätentiös erscheint ein „Danton,"
Trauerspiel in fünf Aufzügen vou Max Bewer (Hamburg, Johannes Knebel).
Derselbe unterscheidet sich von Büchners genialen Fragment dadurch, daß er
kalte Vorrede sich im „Lichtkreise des Gefühls" hält und in Danton eine durchaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/137>, abgerufen am 23.07.2024.