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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Zakob Estionnes.

die Noth über alle Bedenken hinweg. Als sich aber sein Gewissen regte, be¬
schwichtigte er es dnrch die Betrachtung, daß jener Zahlmeister für seine an¬
fängliche Weigerung eine Strafe verdient habe, eine Auslegung, die sein Vor¬
gesetzter lachend billigte. Als später Estienne an die Zurückbehaltung jenes
Thalers zurückdachte, muß er doch Zweifel über das rechtmüßige seiner Hand¬
lung empfunden haben. "Es soll," so schreibt er, "dieses kleine Unrecht, welches
ich mit Bewilligung meines Capitäns that, ja nicht nachgeahmt werden, denn es
ist niemals recht, Jemandem etwas zurückzuhalten, wovon man nicht gewiß weiß,
daß er es uns schenken wollte." Vor Toulon sollte er noch den Seehelden
du Quesne kennen lernen. Er erzählt darüber folgendermaßen:

"Vor unsrer Abfahrt besichtigte du Quesne alle Schiffe, ob sie noch in
gutem Zustande seien. Als seine Schaluppe sich dem unser" näherte, wurde sie
mit 15 Kanonenschüssen begrüßt. Unsere Offiziere gaben ihm auf der Leiter
die Hand. Die Soldaten standen unter den Waffen, die Trommeln wurden ge¬
rührt. Indem er, von unsern Offizieren begleitet, um uns herumging, bemerkte
er einen unsrer Masten, woran ihm das Mastwerk nicht gefiel. Er fragte
ziemlich ungestüm, wer der Dummkopf sei, der das gemacht habe, worauf ihm
geantwortet wurde, es sei der Schiffsmeister, welcher der erste unter den Matrosen
und der Aufseher über das ganze Takelwerk ist. Nachdem du Quesne ihn zu
sich hatte kommen lassen, machte er ihm seinen Fehler bemerklich, nahm ihn
beim Kragen und versuchte ihn ins Meer zu werfen. Dieser entschuldigte sich
zitternd und versprach seinen Fehler wieder gut zu machen. Du Quesue ließ
ihn los und nachdem er ihn noch etwas getadelt, zog er sich zurück mit denselben
Feierlichkeiten wie bei seiner Ankunft. Der Meister, der so eben herumgezaust
worden war, versammelte alle Matrosen auf den Kastellen und gab mit einer
an seinem Halse an einer silbernen Kette befindlichen Pfeife, welche das Zeichen
seiner Würde ist, ihnen das dreimalige Zeichen zur Begrüßung des Generals,
welche durch ein dreimal wiederholtes "Es lebe der König" geschieht, die gewöhn¬
liche Begrüßungsart der Matrosen.

Ich habe diesen kleinen Umstand bemerkt, um euch zu zeigen, welche Ge-
schicklichkeit und Genauigkeit dieser große Mann in Sachen des Seewesens be¬
saß. Sein Anzug war sehr einfach. Ein Ueberrock von Kamelot war seine Be¬
kleidung. Seine schneeweißen Haare, von einer schwarzsammtnen Mütze bedeckt,
sein starkgeröthetes Gesicht, seine hohe und gerade Haltung waren von guter
Wirkung und er hätte wohl einem Neptun nicht unähnlich gesehen, wenn er
einen Dreizack in der Hand gehabt hätte.

Wir schifften 3--4000 Mann regulärer Truppen ein und gingen unter
Segel. Auf der Höhe von Neapel begegneten wir dem noch übrigen Theile der


Aus den Denkwürdigkeiten Zakob Estionnes.

die Noth über alle Bedenken hinweg. Als sich aber sein Gewissen regte, be¬
schwichtigte er es dnrch die Betrachtung, daß jener Zahlmeister für seine an¬
fängliche Weigerung eine Strafe verdient habe, eine Auslegung, die sein Vor¬
gesetzter lachend billigte. Als später Estienne an die Zurückbehaltung jenes
Thalers zurückdachte, muß er doch Zweifel über das rechtmüßige seiner Hand¬
lung empfunden haben. „Es soll," so schreibt er, „dieses kleine Unrecht, welches
ich mit Bewilligung meines Capitäns that, ja nicht nachgeahmt werden, denn es
ist niemals recht, Jemandem etwas zurückzuhalten, wovon man nicht gewiß weiß,
daß er es uns schenken wollte." Vor Toulon sollte er noch den Seehelden
du Quesne kennen lernen. Er erzählt darüber folgendermaßen:

„Vor unsrer Abfahrt besichtigte du Quesne alle Schiffe, ob sie noch in
gutem Zustande seien. Als seine Schaluppe sich dem unser« näherte, wurde sie
mit 15 Kanonenschüssen begrüßt. Unsere Offiziere gaben ihm auf der Leiter
die Hand. Die Soldaten standen unter den Waffen, die Trommeln wurden ge¬
rührt. Indem er, von unsern Offizieren begleitet, um uns herumging, bemerkte
er einen unsrer Masten, woran ihm das Mastwerk nicht gefiel. Er fragte
ziemlich ungestüm, wer der Dummkopf sei, der das gemacht habe, worauf ihm
geantwortet wurde, es sei der Schiffsmeister, welcher der erste unter den Matrosen
und der Aufseher über das ganze Takelwerk ist. Nachdem du Quesne ihn zu
sich hatte kommen lassen, machte er ihm seinen Fehler bemerklich, nahm ihn
beim Kragen und versuchte ihn ins Meer zu werfen. Dieser entschuldigte sich
zitternd und versprach seinen Fehler wieder gut zu machen. Du Quesue ließ
ihn los und nachdem er ihn noch etwas getadelt, zog er sich zurück mit denselben
Feierlichkeiten wie bei seiner Ankunft. Der Meister, der so eben herumgezaust
worden war, versammelte alle Matrosen auf den Kastellen und gab mit einer
an seinem Halse an einer silbernen Kette befindlichen Pfeife, welche das Zeichen
seiner Würde ist, ihnen das dreimalige Zeichen zur Begrüßung des Generals,
welche durch ein dreimal wiederholtes „Es lebe der König" geschieht, die gewöhn¬
liche Begrüßungsart der Matrosen.

Ich habe diesen kleinen Umstand bemerkt, um euch zu zeigen, welche Ge-
schicklichkeit und Genauigkeit dieser große Mann in Sachen des Seewesens be¬
saß. Sein Anzug war sehr einfach. Ein Ueberrock von Kamelot war seine Be¬
kleidung. Seine schneeweißen Haare, von einer schwarzsammtnen Mütze bedeckt,
sein starkgeröthetes Gesicht, seine hohe und gerade Haltung waren von guter
Wirkung und er hätte wohl einem Neptun nicht unähnlich gesehen, wenn er
einen Dreizack in der Hand gehabt hätte.

Wir schifften 3—4000 Mann regulärer Truppen ein und gingen unter
Segel. Auf der Höhe von Neapel begegneten wir dem noch übrigen Theile der


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[0129] Aus den Denkwürdigkeiten Zakob Estionnes. die Noth über alle Bedenken hinweg. Als sich aber sein Gewissen regte, be¬ schwichtigte er es dnrch die Betrachtung, daß jener Zahlmeister für seine an¬ fängliche Weigerung eine Strafe verdient habe, eine Auslegung, die sein Vor¬ gesetzter lachend billigte. Als später Estienne an die Zurückbehaltung jenes Thalers zurückdachte, muß er doch Zweifel über das rechtmüßige seiner Hand¬ lung empfunden haben. „Es soll," so schreibt er, „dieses kleine Unrecht, welches ich mit Bewilligung meines Capitäns that, ja nicht nachgeahmt werden, denn es ist niemals recht, Jemandem etwas zurückzuhalten, wovon man nicht gewiß weiß, daß er es uns schenken wollte." Vor Toulon sollte er noch den Seehelden du Quesne kennen lernen. Er erzählt darüber folgendermaßen: „Vor unsrer Abfahrt besichtigte du Quesne alle Schiffe, ob sie noch in gutem Zustande seien. Als seine Schaluppe sich dem unser« näherte, wurde sie mit 15 Kanonenschüssen begrüßt. Unsere Offiziere gaben ihm auf der Leiter die Hand. Die Soldaten standen unter den Waffen, die Trommeln wurden ge¬ rührt. Indem er, von unsern Offizieren begleitet, um uns herumging, bemerkte er einen unsrer Masten, woran ihm das Mastwerk nicht gefiel. Er fragte ziemlich ungestüm, wer der Dummkopf sei, der das gemacht habe, worauf ihm geantwortet wurde, es sei der Schiffsmeister, welcher der erste unter den Matrosen und der Aufseher über das ganze Takelwerk ist. Nachdem du Quesne ihn zu sich hatte kommen lassen, machte er ihm seinen Fehler bemerklich, nahm ihn beim Kragen und versuchte ihn ins Meer zu werfen. Dieser entschuldigte sich zitternd und versprach seinen Fehler wieder gut zu machen. Du Quesue ließ ihn los und nachdem er ihn noch etwas getadelt, zog er sich zurück mit denselben Feierlichkeiten wie bei seiner Ankunft. Der Meister, der so eben herumgezaust worden war, versammelte alle Matrosen auf den Kastellen und gab mit einer an seinem Halse an einer silbernen Kette befindlichen Pfeife, welche das Zeichen seiner Würde ist, ihnen das dreimalige Zeichen zur Begrüßung des Generals, welche durch ein dreimal wiederholtes „Es lebe der König" geschieht, die gewöhn¬ liche Begrüßungsart der Matrosen. Ich habe diesen kleinen Umstand bemerkt, um euch zu zeigen, welche Ge- schicklichkeit und Genauigkeit dieser große Mann in Sachen des Seewesens be¬ saß. Sein Anzug war sehr einfach. Ein Ueberrock von Kamelot war seine Be¬ kleidung. Seine schneeweißen Haare, von einer schwarzsammtnen Mütze bedeckt, sein starkgeröthetes Gesicht, seine hohe und gerade Haltung waren von guter Wirkung und er hätte wohl einem Neptun nicht unähnlich gesehen, wenn er einen Dreizack in der Hand gehabt hätte. Wir schifften 3—4000 Mann regulärer Truppen ein und gingen unter Segel. Auf der Höhe von Neapel begegneten wir dem noch übrigen Theile der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/129>, abgerufen am 23.07.2024.