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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

ebenso viel Galeeren, Beinahe drei Monate blieben wir in diesem Hasen, wo
ich denn Zeit genug hatte in der Stadt und ihren Umgebungen spazieren zu
gehen. Es ist eine schöne große handeltreibende und wohlbevölkerte Stadt und
wird von fünf oder sechs Castellen in Gehorsam gehalten, welche die spanischen
Garnisonen vor der Revolution besetzt hielten. Nachher hatten die Franzosen
die Spanier aus den Castellen und Basteien verjagt und französische Garnison
hineingelegt. Sie besaßen nur diese einzige Stadt und waren ungefähr 8000
Mann stark. So standen die Sachen. Die Straßen dieser Stadt sind gerade
und breit, die Gebäude schön und von Stein wohl gebaut. Der Marmor ist
daran nicht gespart, besonders in den Kirchen, welche größtentheils sehr reich
sind. Der Dom ist ein altes Gebäude, unsrer lieben Frau gewidmet. Unwissen¬
heit im wahren Christenthum und Aberglaube herrschen hier, alle Laster werden
geduldet, besonders die Rache, welche sich in Familien Jahrhunderte erhält, indem
sie mit aller Sorgfalt Gelegenheit suchen, durch Meuchelmord ihrer Feinde sich
Genugthuung zu verschaffen. Was jedoch an Reformisten unter uns war,
wurde hier wegen der Religion nicht beunruhigt. Die Orangenbäume stehen
hier im freien in so großer Menge, daß man nach Gefallen sich in ihrer Blüthe
wälzen kann, welche aufzusammeln man der Mühe nicht werth hält. Die Berge
sind mit Oliven- und Maulbeerbäumen bedeckt, zur Nahrung des Seidenwurmes,
womit sowohl wie mit Oele auf dieser Insel ein starker Handel getrieben wird.

Da gegen Monat September Herr de Vivonne sich durch unsre Eseadre
und durch die Galeeren, deren General er war, verstärkt sah, so beschloß er,
um ein wenig weiter in die offene See zu kommen, irgend eine Unternehmung
zu machen. Er schiffte sich zu diesem Ende mit einigen Truppen auf der Flotte
ein, welche, nachdem sie unter Segel gegangen war, nach einigen Tagen Agosta
vor Augen hatte, eine kleine nicht weit von Syracus entfernte Stadt, die einen
ziemlich großen Hafen hat, dessen Eingang durch mehrere Schanzen und auf
Felsen im Meere erbaute Thürme vertheidigt wird. Die Stadt selbst wurde
durch ein ziemlich gutes Castell beschützt. Alle diese Punkte waren von einer
spanischen, wiewohl nicht starken Garnison besetzt. Man beschloß alle diese auf
einmal zu bestürmen. Man setzte Truppen an das Land, und die Schiffe und
Galeeren fügten einige Bataillone ihrer Soldaten hinzu. Während wir offen
und frei gerade auf die Stadt losgingen, beschossen unsre Schiffe und Galeeren
das Castell, die Schanzen und Thürme, alles auf einmal weniger als eine halbe
Stunde lang. Alle ihre Batterien wurden zum Schweigen gebracht. Die Spanier
verließen alle ihre Stellungen und liefen davon. Da dieses die Einwohner sahen,
so schickten sie uns zwei Kapuziner entgegen, um die Gnade des Nicht-Plünderns
von uns zu erbitten, welches ihnen bewilligt wurde. Nachdem die Landtruppen


Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes.

ebenso viel Galeeren, Beinahe drei Monate blieben wir in diesem Hasen, wo
ich denn Zeit genug hatte in der Stadt und ihren Umgebungen spazieren zu
gehen. Es ist eine schöne große handeltreibende und wohlbevölkerte Stadt und
wird von fünf oder sechs Castellen in Gehorsam gehalten, welche die spanischen
Garnisonen vor der Revolution besetzt hielten. Nachher hatten die Franzosen
die Spanier aus den Castellen und Basteien verjagt und französische Garnison
hineingelegt. Sie besaßen nur diese einzige Stadt und waren ungefähr 8000
Mann stark. So standen die Sachen. Die Straßen dieser Stadt sind gerade
und breit, die Gebäude schön und von Stein wohl gebaut. Der Marmor ist
daran nicht gespart, besonders in den Kirchen, welche größtentheils sehr reich
sind. Der Dom ist ein altes Gebäude, unsrer lieben Frau gewidmet. Unwissen¬
heit im wahren Christenthum und Aberglaube herrschen hier, alle Laster werden
geduldet, besonders die Rache, welche sich in Familien Jahrhunderte erhält, indem
sie mit aller Sorgfalt Gelegenheit suchen, durch Meuchelmord ihrer Feinde sich
Genugthuung zu verschaffen. Was jedoch an Reformisten unter uns war,
wurde hier wegen der Religion nicht beunruhigt. Die Orangenbäume stehen
hier im freien in so großer Menge, daß man nach Gefallen sich in ihrer Blüthe
wälzen kann, welche aufzusammeln man der Mühe nicht werth hält. Die Berge
sind mit Oliven- und Maulbeerbäumen bedeckt, zur Nahrung des Seidenwurmes,
womit sowohl wie mit Oele auf dieser Insel ein starker Handel getrieben wird.

Da gegen Monat September Herr de Vivonne sich durch unsre Eseadre
und durch die Galeeren, deren General er war, verstärkt sah, so beschloß er,
um ein wenig weiter in die offene See zu kommen, irgend eine Unternehmung
zu machen. Er schiffte sich zu diesem Ende mit einigen Truppen auf der Flotte
ein, welche, nachdem sie unter Segel gegangen war, nach einigen Tagen Agosta
vor Augen hatte, eine kleine nicht weit von Syracus entfernte Stadt, die einen
ziemlich großen Hafen hat, dessen Eingang durch mehrere Schanzen und auf
Felsen im Meere erbaute Thürme vertheidigt wird. Die Stadt selbst wurde
durch ein ziemlich gutes Castell beschützt. Alle diese Punkte waren von einer
spanischen, wiewohl nicht starken Garnison besetzt. Man beschloß alle diese auf
einmal zu bestürmen. Man setzte Truppen an das Land, und die Schiffe und
Galeeren fügten einige Bataillone ihrer Soldaten hinzu. Während wir offen
und frei gerade auf die Stadt losgingen, beschossen unsre Schiffe und Galeeren
das Castell, die Schanzen und Thürme, alles auf einmal weniger als eine halbe
Stunde lang. Alle ihre Batterien wurden zum Schweigen gebracht. Die Spanier
verließen alle ihre Stellungen und liefen davon. Da dieses die Einwohner sahen,
so schickten sie uns zwei Kapuziner entgegen, um die Gnade des Nicht-Plünderns
von uns zu erbitten, welches ihnen bewilligt wurde. Nachdem die Landtruppen


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[0121] Aus den Denkwürdigkeiten Jakob Lstiennes. ebenso viel Galeeren, Beinahe drei Monate blieben wir in diesem Hasen, wo ich denn Zeit genug hatte in der Stadt und ihren Umgebungen spazieren zu gehen. Es ist eine schöne große handeltreibende und wohlbevölkerte Stadt und wird von fünf oder sechs Castellen in Gehorsam gehalten, welche die spanischen Garnisonen vor der Revolution besetzt hielten. Nachher hatten die Franzosen die Spanier aus den Castellen und Basteien verjagt und französische Garnison hineingelegt. Sie besaßen nur diese einzige Stadt und waren ungefähr 8000 Mann stark. So standen die Sachen. Die Straßen dieser Stadt sind gerade und breit, die Gebäude schön und von Stein wohl gebaut. Der Marmor ist daran nicht gespart, besonders in den Kirchen, welche größtentheils sehr reich sind. Der Dom ist ein altes Gebäude, unsrer lieben Frau gewidmet. Unwissen¬ heit im wahren Christenthum und Aberglaube herrschen hier, alle Laster werden geduldet, besonders die Rache, welche sich in Familien Jahrhunderte erhält, indem sie mit aller Sorgfalt Gelegenheit suchen, durch Meuchelmord ihrer Feinde sich Genugthuung zu verschaffen. Was jedoch an Reformisten unter uns war, wurde hier wegen der Religion nicht beunruhigt. Die Orangenbäume stehen hier im freien in so großer Menge, daß man nach Gefallen sich in ihrer Blüthe wälzen kann, welche aufzusammeln man der Mühe nicht werth hält. Die Berge sind mit Oliven- und Maulbeerbäumen bedeckt, zur Nahrung des Seidenwurmes, womit sowohl wie mit Oele auf dieser Insel ein starker Handel getrieben wird. Da gegen Monat September Herr de Vivonne sich durch unsre Eseadre und durch die Galeeren, deren General er war, verstärkt sah, so beschloß er, um ein wenig weiter in die offene See zu kommen, irgend eine Unternehmung zu machen. Er schiffte sich zu diesem Ende mit einigen Truppen auf der Flotte ein, welche, nachdem sie unter Segel gegangen war, nach einigen Tagen Agosta vor Augen hatte, eine kleine nicht weit von Syracus entfernte Stadt, die einen ziemlich großen Hafen hat, dessen Eingang durch mehrere Schanzen und auf Felsen im Meere erbaute Thürme vertheidigt wird. Die Stadt selbst wurde durch ein ziemlich gutes Castell beschützt. Alle diese Punkte waren von einer spanischen, wiewohl nicht starken Garnison besetzt. Man beschloß alle diese auf einmal zu bestürmen. Man setzte Truppen an das Land, und die Schiffe und Galeeren fügten einige Bataillone ihrer Soldaten hinzu. Während wir offen und frei gerade auf die Stadt losgingen, beschossen unsre Schiffe und Galeeren das Castell, die Schanzen und Thürme, alles auf einmal weniger als eine halbe Stunde lang. Alle ihre Batterien wurden zum Schweigen gebracht. Die Spanier verließen alle ihre Stellungen und liefen davon. Da dieses die Einwohner sahen, so schickten sie uns zwei Kapuziner entgegen, um die Gnade des Nicht-Plünderns von uns zu erbitten, welches ihnen bewilligt wurde. Nachdem die Landtruppen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/121>, abgerufen am 23.07.2024.