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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Kriegführung im Mittelalter.

alle ein, wiederholten ihn, streckten mit reichlichen Thränen die Hände zum
Himmel empor und erflehten Gottes Barmherzigkeit und Hilfe. Dann hob der
Herold selbst wieder an, indem er wie vorher ausrief: Hilf, heiliges Grab!^
und alle wiederholten es, und als er zum dritten Male rief, thaten sie es ihm
abermals nach mit großer Herzenszerknirschung und unter Thränen. Wer
wurde dies in solcher Lage nicht thun, da doch schon der Bericht von dergleichen
Dingen den Hörern Thränen entlocken kann? Durch diese Anrufung schien das
Heer sich ungemein gestärkt zu fühlen."

Nächtliche Ueberfälle zu unternehmen, galt zwar nicht für ritterlich. Da
man aber doch nicht wissen konnte, ob der Gegner solche gentile Gesinnung
hegte, so stellte man außerhalb des Lagers Vorposten auf, die Patrouillen aus¬
zuschicken hatten. Das ist die "Schildwache," die, immer aus mehrern Hundert,
oft aus tausend Mann, im Gedichte von Mai und Beaflor sogar aus tausend
Rittern und zweihundert Schützen bestehend, das Eigenthum und Leben des
schlafenden Heeres zu beschützen hatte. Obschon die Nachtwache besonders vergütet
wurde, (Tancred erhielt vor Antiochia für Bewachung einer Brücke monatlich
40 Mark, d. h. nach unserm Gelde 1600 Reichsmark) bestimmte der Feldherr
nicht selbst die Wachtmannschaft, sondern überließ es den untern Führern, sich
zu dieser verantwortlichen und nicht ungefährlichen Dienstleistung zu melden. Der
erfahrene Krieger wählte sich dann seine Begleiter selbst aus. "Da sprach," so
heißt es bei Alphard, "Hildebrant, der alte weise Degen: ,Wer will der Schild¬
wachte hinte pflegen-" Die Helden wählen den Frager selbst, der nun gewaffnet,
das Roß an der Hand führend noch einige Gefährten sich freiwillig melden
läßt und dann die Wache übernimmt. Es wird ausgemacht, daß man ihnen
auf ein Hornsignal Hilfe senden soll. So reiten sie im Mondenschein auf
Kundschaft aus und stoßen um Mitternacht auf den Feind. Besonders angenehm
waren diese nächtlichen Expeditionen nach dem "Titurel" nicht, und wenn sich
die Posten auch nach demselben Gedichte die Zeit mit Musik vertrieben, so waren
sie doch froh, wenn endlich ein Posaunensignal und das Morgenlied der Lager¬
wächter den Anbruch des Tages verkündigte. Ein "Herruofer," der Herold des
Feldherrn, rief dann, wie wir im "Lohengrin" lesen, aus, ob man diesen Tag
noch rasten oder Weitermarschiren sollte. Zuweilen war dies schon am Abend
vorher bekannt gemacht worden, und dann bedürfte es für den Fall des Weiter¬
rückens nur des Hornsignals des Fahnenträgers oder Befehlshabers der Fahnen¬
wache, um alle rasch bereit zum Aufbruche zu sehen.




Kriegführung im Mittelalter.

alle ein, wiederholten ihn, streckten mit reichlichen Thränen die Hände zum
Himmel empor und erflehten Gottes Barmherzigkeit und Hilfe. Dann hob der
Herold selbst wieder an, indem er wie vorher ausrief: Hilf, heiliges Grab!^
und alle wiederholten es, und als er zum dritten Male rief, thaten sie es ihm
abermals nach mit großer Herzenszerknirschung und unter Thränen. Wer
wurde dies in solcher Lage nicht thun, da doch schon der Bericht von dergleichen
Dingen den Hörern Thränen entlocken kann? Durch diese Anrufung schien das
Heer sich ungemein gestärkt zu fühlen."

Nächtliche Ueberfälle zu unternehmen, galt zwar nicht für ritterlich. Da
man aber doch nicht wissen konnte, ob der Gegner solche gentile Gesinnung
hegte, so stellte man außerhalb des Lagers Vorposten auf, die Patrouillen aus¬
zuschicken hatten. Das ist die „Schildwache," die, immer aus mehrern Hundert,
oft aus tausend Mann, im Gedichte von Mai und Beaflor sogar aus tausend
Rittern und zweihundert Schützen bestehend, das Eigenthum und Leben des
schlafenden Heeres zu beschützen hatte. Obschon die Nachtwache besonders vergütet
wurde, (Tancred erhielt vor Antiochia für Bewachung einer Brücke monatlich
40 Mark, d. h. nach unserm Gelde 1600 Reichsmark) bestimmte der Feldherr
nicht selbst die Wachtmannschaft, sondern überließ es den untern Führern, sich
zu dieser verantwortlichen und nicht ungefährlichen Dienstleistung zu melden. Der
erfahrene Krieger wählte sich dann seine Begleiter selbst aus. „Da sprach," so
heißt es bei Alphard, „Hildebrant, der alte weise Degen: ,Wer will der Schild¬
wachte hinte pflegen-" Die Helden wählen den Frager selbst, der nun gewaffnet,
das Roß an der Hand führend noch einige Gefährten sich freiwillig melden
läßt und dann die Wache übernimmt. Es wird ausgemacht, daß man ihnen
auf ein Hornsignal Hilfe senden soll. So reiten sie im Mondenschein auf
Kundschaft aus und stoßen um Mitternacht auf den Feind. Besonders angenehm
waren diese nächtlichen Expeditionen nach dem „Titurel" nicht, und wenn sich
die Posten auch nach demselben Gedichte die Zeit mit Musik vertrieben, so waren
sie doch froh, wenn endlich ein Posaunensignal und das Morgenlied der Lager¬
wächter den Anbruch des Tages verkündigte. Ein „Herruofer," der Herold des
Feldherrn, rief dann, wie wir im „Lohengrin" lesen, aus, ob man diesen Tag
noch rasten oder Weitermarschiren sollte. Zuweilen war dies schon am Abend
vorher bekannt gemacht worden, und dann bedürfte es für den Fall des Weiter¬
rückens nur des Hornsignals des Fahnenträgers oder Befehlshabers der Fahnen¬
wache, um alle rasch bereit zum Aufbruche zu sehen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/99>, abgerufen am 27.12.2024.