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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Kriegführung im Mittelalter.

durch den Hag von Avesnes leichter hindurchziehen konnte, denselben soweit aus¬
halten, daß hundert Mann in einer Front vorgehen konnten."

Die Vorhut, zu der auch Schützenabtheilungen gehörten, marschirte etwa
eine Meile vor dem Gros der Armee her. Das letztere wurde von den Rit¬
tern mit ihren Knappen, den Fußtruppen, den Bagagewagen und Proviant-
eolonneu sowie von dem Belagerungstrain gebildet. Die Maschinen des letztern
waren auseinandergenommen und wurden stückweise auf Wagen, Packpferden,
Maulthieren und Eseln fortgeschafft. An Proviant führte man gewöhnlich Brot,
Wein, Fleisch, Hafer für die Pferde und Getreide, bisweilen auch Schlachtvieh
mit sich. So lange der Zug durch Freundesland ging, ergänzte man den Ab¬
gang an Lebensmitteln durch Ankäufe. Sobald aber die Grenze des Feindes
überschritte" war, lebte man von gewaltsamen Requisitionen. "Futerere," d. h.
Fouriere, durchstreiften dann in Begleitung von Soldaten das Land, nahmen
den Bewohnern desselben alles Brauchbare weg und steckten häufig auch die
Dörfer sowie die offnen Städte in Brand. Eine eigenthümliche Erscheinung bei
den Heeren des Mittelalters war der Troß von Kaufleuten, Krämern, Aben¬
teurern und Taugenichtsen, der sie begleitete, und zu dem eine große Menge
fahrender Weiber, käuflicher Dirnen, gehörte. Auch in den Kreuzfahrerheeren
mangelte es nicht an solchen Begleiterinnen; sie waren sogar militärisch orga-
nisirt und hatten eigne Fahnen. Selbst im Kreuzheere des heiligen Ludwig
lebten die Truppen in dieser Hinsicht nicht sehr musterhaft, obgleich der König
mit strengen Strafen gegen die Sünde einschritt. Den Schluß des Heereszuges
bildete die Nachhut, die, wie es scheint, zuweilen aus den fremden Söldnern
bestand.

Schwer zu ermitteln ist, wie weit man damals an einem Tage marschiren
konnte. Nach Odo de Diogilo hätte ein Kreuzfahrerheer einmal in 17 Tagen
den Marsch von Metz bis an die ungarische Grenze zurückgelegt. Das wären,
da der Weg über Worms, Würzburg, Regensburg, Passau und Wien ging, un¬
gefähr -53 Kilometer täglich; eine solche Marschirfähigkeit wird jedoch billig be¬
zweifelt werden können.

Nach dem Einrücken in Feindesland ging man mit größter Vorsicht zu
Werke. "Unter keinen Umständen," sagt Aegidius Colonna in seiner Schrift of
Irwins xrinÄMlli, "darf das Heer auf einer Straße vorrücken, auf der es
von Hinterhalten Schaden nehmen könnte, wenn der Führer nicht die Beschaf¬
fenheit der Wege, die Berge, Flüsse und was sonst auf dem Marsche vorkommt,
verzeichnet oder abgemalt (also Landkarten?) bei sich hat. Die zweite Vor¬
sicht ist, daß der Befehlshaber, auch wenn er die Straße und ihre Beschaffen¬
heit verzeichnet und abgemalt bei sich hat, Führer miethet, welche dieser Wege
kundig sind ... Damit dieselben jedoch nicht auf Täuschung sinnen, muß er


Kriegführung im Mittelalter.

durch den Hag von Avesnes leichter hindurchziehen konnte, denselben soweit aus¬
halten, daß hundert Mann in einer Front vorgehen konnten."

Die Vorhut, zu der auch Schützenabtheilungen gehörten, marschirte etwa
eine Meile vor dem Gros der Armee her. Das letztere wurde von den Rit¬
tern mit ihren Knappen, den Fußtruppen, den Bagagewagen und Proviant-
eolonneu sowie von dem Belagerungstrain gebildet. Die Maschinen des letztern
waren auseinandergenommen und wurden stückweise auf Wagen, Packpferden,
Maulthieren und Eseln fortgeschafft. An Proviant führte man gewöhnlich Brot,
Wein, Fleisch, Hafer für die Pferde und Getreide, bisweilen auch Schlachtvieh
mit sich. So lange der Zug durch Freundesland ging, ergänzte man den Ab¬
gang an Lebensmitteln durch Ankäufe. Sobald aber die Grenze des Feindes
überschritte» war, lebte man von gewaltsamen Requisitionen. „Futerere," d. h.
Fouriere, durchstreiften dann in Begleitung von Soldaten das Land, nahmen
den Bewohnern desselben alles Brauchbare weg und steckten häufig auch die
Dörfer sowie die offnen Städte in Brand. Eine eigenthümliche Erscheinung bei
den Heeren des Mittelalters war der Troß von Kaufleuten, Krämern, Aben¬
teurern und Taugenichtsen, der sie begleitete, und zu dem eine große Menge
fahrender Weiber, käuflicher Dirnen, gehörte. Auch in den Kreuzfahrerheeren
mangelte es nicht an solchen Begleiterinnen; sie waren sogar militärisch orga-
nisirt und hatten eigne Fahnen. Selbst im Kreuzheere des heiligen Ludwig
lebten die Truppen in dieser Hinsicht nicht sehr musterhaft, obgleich der König
mit strengen Strafen gegen die Sünde einschritt. Den Schluß des Heereszuges
bildete die Nachhut, die, wie es scheint, zuweilen aus den fremden Söldnern
bestand.

Schwer zu ermitteln ist, wie weit man damals an einem Tage marschiren
konnte. Nach Odo de Diogilo hätte ein Kreuzfahrerheer einmal in 17 Tagen
den Marsch von Metz bis an die ungarische Grenze zurückgelegt. Das wären,
da der Weg über Worms, Würzburg, Regensburg, Passau und Wien ging, un¬
gefähr -53 Kilometer täglich; eine solche Marschirfähigkeit wird jedoch billig be¬
zweifelt werden können.

Nach dem Einrücken in Feindesland ging man mit größter Vorsicht zu
Werke. „Unter keinen Umständen," sagt Aegidius Colonna in seiner Schrift of
Irwins xrinÄMlli, „darf das Heer auf einer Straße vorrücken, auf der es
von Hinterhalten Schaden nehmen könnte, wenn der Führer nicht die Beschaf¬
fenheit der Wege, die Berge, Flüsse und was sonst auf dem Marsche vorkommt,
verzeichnet oder abgemalt (also Landkarten?) bei sich hat. Die zweite Vor¬
sicht ist, daß der Befehlshaber, auch wenn er die Straße und ihre Beschaffen¬
heit verzeichnet und abgemalt bei sich hat, Führer miethet, welche dieser Wege
kundig sind ... Damit dieselben jedoch nicht auf Täuschung sinnen, muß er


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[0095] Kriegführung im Mittelalter. durch den Hag von Avesnes leichter hindurchziehen konnte, denselben soweit aus¬ halten, daß hundert Mann in einer Front vorgehen konnten." Die Vorhut, zu der auch Schützenabtheilungen gehörten, marschirte etwa eine Meile vor dem Gros der Armee her. Das letztere wurde von den Rit¬ tern mit ihren Knappen, den Fußtruppen, den Bagagewagen und Proviant- eolonneu sowie von dem Belagerungstrain gebildet. Die Maschinen des letztern waren auseinandergenommen und wurden stückweise auf Wagen, Packpferden, Maulthieren und Eseln fortgeschafft. An Proviant führte man gewöhnlich Brot, Wein, Fleisch, Hafer für die Pferde und Getreide, bisweilen auch Schlachtvieh mit sich. So lange der Zug durch Freundesland ging, ergänzte man den Ab¬ gang an Lebensmitteln durch Ankäufe. Sobald aber die Grenze des Feindes überschritte» war, lebte man von gewaltsamen Requisitionen. „Futerere," d. h. Fouriere, durchstreiften dann in Begleitung von Soldaten das Land, nahmen den Bewohnern desselben alles Brauchbare weg und steckten häufig auch die Dörfer sowie die offnen Städte in Brand. Eine eigenthümliche Erscheinung bei den Heeren des Mittelalters war der Troß von Kaufleuten, Krämern, Aben¬ teurern und Taugenichtsen, der sie begleitete, und zu dem eine große Menge fahrender Weiber, käuflicher Dirnen, gehörte. Auch in den Kreuzfahrerheeren mangelte es nicht an solchen Begleiterinnen; sie waren sogar militärisch orga- nisirt und hatten eigne Fahnen. Selbst im Kreuzheere des heiligen Ludwig lebten die Truppen in dieser Hinsicht nicht sehr musterhaft, obgleich der König mit strengen Strafen gegen die Sünde einschritt. Den Schluß des Heereszuges bildete die Nachhut, die, wie es scheint, zuweilen aus den fremden Söldnern bestand. Schwer zu ermitteln ist, wie weit man damals an einem Tage marschiren konnte. Nach Odo de Diogilo hätte ein Kreuzfahrerheer einmal in 17 Tagen den Marsch von Metz bis an die ungarische Grenze zurückgelegt. Das wären, da der Weg über Worms, Würzburg, Regensburg, Passau und Wien ging, un¬ gefähr -53 Kilometer täglich; eine solche Marschirfähigkeit wird jedoch billig be¬ zweifelt werden können. Nach dem Einrücken in Feindesland ging man mit größter Vorsicht zu Werke. „Unter keinen Umständen," sagt Aegidius Colonna in seiner Schrift of Irwins xrinÄMlli, „darf das Heer auf einer Straße vorrücken, auf der es von Hinterhalten Schaden nehmen könnte, wenn der Führer nicht die Beschaf¬ fenheit der Wege, die Berge, Flüsse und was sonst auf dem Marsche vorkommt, verzeichnet oder abgemalt (also Landkarten?) bei sich hat. Die zweite Vor¬ sicht ist, daß der Befehlshaber, auch wenn er die Straße und ihre Beschaffen¬ heit verzeichnet und abgemalt bei sich hat, Führer miethet, welche dieser Wege kundig sind ... Damit dieselben jedoch nicht auf Täuschung sinnen, muß er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/95>, abgerufen am 28.12.2024.