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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Neues Mönchthum,

Herr Koch erhebt den Anspruch, und zwar als Gegner des Pessimismus, das¬
jenige Thun zu zeigen, durch welches der Mensch sein Leben allein werthvoll
machen kann. Hierdurch wird die Sache ernst, und das Lächeln hat ein Ende.
Wir dürfen nicht darüber lächeln, daß einer dreist genug ist, dem Staatsmann,
der mit Einsetzung seiner Geisteskraft und Energie für das Wohl seiner Nation
thätig ist, dein Gelehrten, der ein scharf umgrenztes Spceialgebiet zu durchforschen
für seine Aufgabe ansieht, dein Geschäftsmann, dessen Bemühungen auf Ver¬
mehrung und oft nur auf Erhaltung seines Besitzes gerichtet sind, dem Beamten,
dem die treue Erfüllung seiner Pflichten wenig Zeit zur Erholung übrig läßt,
und dem Arbeiter, den seine Beschäftigung wahrlich nicht an philosophische Fragen
heranführt, das eigentliche Leben abzusprechen. Wir dürfen nicht lächeln, wenn
wir das Weib, das niemals seinen heldenhaften und schönen Beruf zu Gunsten
einer philosophischen Grübelei preisgeben möge, vom eigentlichen Leben ausge¬
schlossen sehen. Es ist ja doch eine wohlbekannte und unleugbare Thatsache,
daß fast alle Menschen die Frage nach der Beschaffenheit der Welt und sonstigen
letzten Dingen als für sie gelöst und zwar in der Mehrzahl durch die Religion
gelöst erachten und übrigens ihrem Berufe nachgehen; nnr wenige sind der philo¬
sophischen Forschung ergeben. Indem Herr Koch diesen wenigen bescheinigt, daß
sie allein ein lebenswerthes und inhaltvolles Dasein führen, alle übrigen aber
mit Verachtung behandelt, erweist er sich als Pessimisten und zugleich in einem
colossalen Wahn befangen.

Fragen wir, an welchem Maßstab der Verfasser das Leben mißt, so werden
wir sehen, daß nicht sowohl der Maßstab neu als der Gebrauch, den er davon
macht, falsch ist. Es giebt, sagt er, zwei Arten von Besitzthümern. Die einen
sind innerlich, Bereicherungen des Wesen und -- wie er sie nennt -- Daseins-
Erweiterung; die andern sind entweder äußerlich oder jedenfalls von geringerm
Werthe, sie können nicht in den Menschen aufgenommen, nicht unverlierbar ge¬
macht werden. Wir wollen den Verfasser nicht darauf verweisen, daß auch diese
Grenze ungenau gezogen ist, da ja sogar der Verstand verlicrbar ist, sondern
wir wollen nur mittheilen, was er zu den geringern Besitzthümern rechnet.

Zunächst natürlich die materiellen Güter, denen er bloß eine "vorbereitende
Bedeutung" zuspricht. Alsdann die "sogenannten moralischen Beziehungen, welche
zwischen dem Individuum und seinen Mitmenschen obwalten." Er nennt sie
"höher und bedeutsamer" als die materiellen Güter, warnt aber sofort vor ihrer
Ueberschützuug. Von dieser Warnung werden betroffen der Staat, die Freund¬
schaft, "überhaupt die Gesammtheit der geselligen Verknüpfungen;" und über die
Liebe, welche er als die innigste Gegenseitigkeitsbeziehung anerkennt, sagt er, zu
besonderer Warnung: "netnelle Bereicherung und wirkliche Erweiterung haben


Neues Mönchthum,

Herr Koch erhebt den Anspruch, und zwar als Gegner des Pessimismus, das¬
jenige Thun zu zeigen, durch welches der Mensch sein Leben allein werthvoll
machen kann. Hierdurch wird die Sache ernst, und das Lächeln hat ein Ende.
Wir dürfen nicht darüber lächeln, daß einer dreist genug ist, dem Staatsmann,
der mit Einsetzung seiner Geisteskraft und Energie für das Wohl seiner Nation
thätig ist, dein Gelehrten, der ein scharf umgrenztes Spceialgebiet zu durchforschen
für seine Aufgabe ansieht, dein Geschäftsmann, dessen Bemühungen auf Ver¬
mehrung und oft nur auf Erhaltung seines Besitzes gerichtet sind, dem Beamten,
dem die treue Erfüllung seiner Pflichten wenig Zeit zur Erholung übrig läßt,
und dem Arbeiter, den seine Beschäftigung wahrlich nicht an philosophische Fragen
heranführt, das eigentliche Leben abzusprechen. Wir dürfen nicht lächeln, wenn
wir das Weib, das niemals seinen heldenhaften und schönen Beruf zu Gunsten
einer philosophischen Grübelei preisgeben möge, vom eigentlichen Leben ausge¬
schlossen sehen. Es ist ja doch eine wohlbekannte und unleugbare Thatsache,
daß fast alle Menschen die Frage nach der Beschaffenheit der Welt und sonstigen
letzten Dingen als für sie gelöst und zwar in der Mehrzahl durch die Religion
gelöst erachten und übrigens ihrem Berufe nachgehen; nnr wenige sind der philo¬
sophischen Forschung ergeben. Indem Herr Koch diesen wenigen bescheinigt, daß
sie allein ein lebenswerthes und inhaltvolles Dasein führen, alle übrigen aber
mit Verachtung behandelt, erweist er sich als Pessimisten und zugleich in einem
colossalen Wahn befangen.

Fragen wir, an welchem Maßstab der Verfasser das Leben mißt, so werden
wir sehen, daß nicht sowohl der Maßstab neu als der Gebrauch, den er davon
macht, falsch ist. Es giebt, sagt er, zwei Arten von Besitzthümern. Die einen
sind innerlich, Bereicherungen des Wesen und — wie er sie nennt — Daseins-
Erweiterung; die andern sind entweder äußerlich oder jedenfalls von geringerm
Werthe, sie können nicht in den Menschen aufgenommen, nicht unverlierbar ge¬
macht werden. Wir wollen den Verfasser nicht darauf verweisen, daß auch diese
Grenze ungenau gezogen ist, da ja sogar der Verstand verlicrbar ist, sondern
wir wollen nur mittheilen, was er zu den geringern Besitzthümern rechnet.

Zunächst natürlich die materiellen Güter, denen er bloß eine „vorbereitende
Bedeutung" zuspricht. Alsdann die „sogenannten moralischen Beziehungen, welche
zwischen dem Individuum und seinen Mitmenschen obwalten." Er nennt sie
„höher und bedeutsamer" als die materiellen Güter, warnt aber sofort vor ihrer
Ueberschützuug. Von dieser Warnung werden betroffen der Staat, die Freund¬
schaft, „überhaupt die Gesammtheit der geselligen Verknüpfungen;" und über die
Liebe, welche er als die innigste Gegenseitigkeitsbeziehung anerkennt, sagt er, zu
besonderer Warnung: „netnelle Bereicherung und wirkliche Erweiterung haben


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[0536] Neues Mönchthum, Herr Koch erhebt den Anspruch, und zwar als Gegner des Pessimismus, das¬ jenige Thun zu zeigen, durch welches der Mensch sein Leben allein werthvoll machen kann. Hierdurch wird die Sache ernst, und das Lächeln hat ein Ende. Wir dürfen nicht darüber lächeln, daß einer dreist genug ist, dem Staatsmann, der mit Einsetzung seiner Geisteskraft und Energie für das Wohl seiner Nation thätig ist, dein Gelehrten, der ein scharf umgrenztes Spceialgebiet zu durchforschen für seine Aufgabe ansieht, dein Geschäftsmann, dessen Bemühungen auf Ver¬ mehrung und oft nur auf Erhaltung seines Besitzes gerichtet sind, dem Beamten, dem die treue Erfüllung seiner Pflichten wenig Zeit zur Erholung übrig läßt, und dem Arbeiter, den seine Beschäftigung wahrlich nicht an philosophische Fragen heranführt, das eigentliche Leben abzusprechen. Wir dürfen nicht lächeln, wenn wir das Weib, das niemals seinen heldenhaften und schönen Beruf zu Gunsten einer philosophischen Grübelei preisgeben möge, vom eigentlichen Leben ausge¬ schlossen sehen. Es ist ja doch eine wohlbekannte und unleugbare Thatsache, daß fast alle Menschen die Frage nach der Beschaffenheit der Welt und sonstigen letzten Dingen als für sie gelöst und zwar in der Mehrzahl durch die Religion gelöst erachten und übrigens ihrem Berufe nachgehen; nnr wenige sind der philo¬ sophischen Forschung ergeben. Indem Herr Koch diesen wenigen bescheinigt, daß sie allein ein lebenswerthes und inhaltvolles Dasein führen, alle übrigen aber mit Verachtung behandelt, erweist er sich als Pessimisten und zugleich in einem colossalen Wahn befangen. Fragen wir, an welchem Maßstab der Verfasser das Leben mißt, so werden wir sehen, daß nicht sowohl der Maßstab neu als der Gebrauch, den er davon macht, falsch ist. Es giebt, sagt er, zwei Arten von Besitzthümern. Die einen sind innerlich, Bereicherungen des Wesen und — wie er sie nennt — Daseins- Erweiterung; die andern sind entweder äußerlich oder jedenfalls von geringerm Werthe, sie können nicht in den Menschen aufgenommen, nicht unverlierbar ge¬ macht werden. Wir wollen den Verfasser nicht darauf verweisen, daß auch diese Grenze ungenau gezogen ist, da ja sogar der Verstand verlicrbar ist, sondern wir wollen nur mittheilen, was er zu den geringern Besitzthümern rechnet. Zunächst natürlich die materiellen Güter, denen er bloß eine „vorbereitende Bedeutung" zuspricht. Alsdann die „sogenannten moralischen Beziehungen, welche zwischen dem Individuum und seinen Mitmenschen obwalten." Er nennt sie „höher und bedeutsamer" als die materiellen Güter, warnt aber sofort vor ihrer Ueberschützuug. Von dieser Warnung werden betroffen der Staat, die Freund¬ schaft, „überhaupt die Gesammtheit der geselligen Verknüpfungen;" und über die Liebe, welche er als die innigste Gegenseitigkeitsbeziehung anerkennt, sagt er, zu besonderer Warnung: „netnelle Bereicherung und wirkliche Erweiterung haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/536>, abgerufen am 28.12.2024.