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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Das System der ciltsynagozalon Theologie.

dem Zusammenhange herausreißt, auslegt und zusammenstellt, sichtbar genug das
Gepräge des Fanatismus. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß Eisenmenger
darauf ausging, die Wirkungen des tiefen Grolls, den die Lectttre seines Werkes
bei jedem Christen wecken muß, durch den ganzen Ton der Darstellung und durch
die Einkleidung des dargebotnen Stoffes zu verstärken, indem er keine Gelegenheit
vorüberläßt, die plumpsten Ausfälle, die witzlosesten Scherze, die grimmigsten
Schmähungen und Schimpfreden gegen die Juden anzubringen. Obwohl nun alles
dies zur Borsicht hätte mahnen sollen, so haben doch -- wie der jüdische Prediger
Salomon zu Hamburg (1835) in feinen Briefen gegen die Schrift Hartmanns in
Rostock: "Eifenmenger und seine jüdischen Gegner" sagt -- "Gelehrte und Un¬
gelehrte sich des Eisenmengerschen groben Geschützes gegen das Judenthum be¬
dient." Und diese aus Eisenmengcrschem Material geflossene nntijüdische Literatur
stammt nicht erst aus unsern Tagen: dem "Talmudjuden" Rohlings (Münster,
1878. 6. Aufl.) stehen außer der schon erwähnten Schrift und verschiednen Auf¬
sätzen des Rostocker Hebraisten aus dem Anfange dieses Jahrhunderts zur Seite:
"Die Jude" und das Judenthum" (Köln, 1816), ebenfalls ein Auszug ans
Eisenmenger, ferner die Schrift von Oertel: "Was glauben die Juden" (Vam-
bcrg, 1823) und zahlreiche andere Broschüren und Aufsätze. Wie sehr in diesen
tendenziösen Ausdeutungen des an sich schon tendenziösen Eisenmengerschen Werks
die Wahrheit hat leiden müssen, hat erst neuerdings Prof. Delitzsch in seiner
Schrift gegen Rohlings "Talmndjuden" an vielen Beispielen gezeigt; Rodung hat
Uebersetzungsfehler Eiseumengers ohne Prüfung herübergenommen und durch
eigene vermehrt, und die Hauptsache ist: auch er ist ungerecht und unbillig im
Urtheil.

Aber Mangel an Objectivität ist nicht die einzige Ausstellung, die an dem
Eisenmengerschen Buche und seinen Nachtreteru zu machen ist. Es fehlt in ihm anch
jede kritische Sichtung und jede historische Scheidung des bearbeiteten Materials.
Eine so gleichmäßige Ausnutzung einer mehr als tausendjährigen Literatur ohne
alle Rücksicht auf die Zeit und die Zeitverhültnisse, unter denen ein Buch entstanden,
ohne alle Erwägung der Grund e, die zur Abfassung einer Schrift veranlaßten,
und des Zweckes, den sein Verfasser dabei verfolgte, würde heutzutage wissen¬
schaftlich unmöglich sein, und doch wird das alte von Eisenmenger ohne Kritik
und ohne eine andre als die Sachvrdnung zusammengestellte Sammelsurium immer
wieder aufs neue ausgebeutet und nicht minder geiht- und kritiklos verwendet.
Sehr früh schon ist darauf hingewiesen worden, daß es ungerecht ist, nach einem
solchen Stoffe das eigentliche Wesen des Judenthums zu beurtheilen, und daß es
leicht wäre, auch aus christlichen Schriften einen Stoff zu sammeln, der ein durch¬
aus falsches und ungünstiges Licht auf die Principien des Christenthums werfen


Das System der ciltsynagozalon Theologie.

dem Zusammenhange herausreißt, auslegt und zusammenstellt, sichtbar genug das
Gepräge des Fanatismus. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß Eisenmenger
darauf ausging, die Wirkungen des tiefen Grolls, den die Lectttre seines Werkes
bei jedem Christen wecken muß, durch den ganzen Ton der Darstellung und durch
die Einkleidung des dargebotnen Stoffes zu verstärken, indem er keine Gelegenheit
vorüberläßt, die plumpsten Ausfälle, die witzlosesten Scherze, die grimmigsten
Schmähungen und Schimpfreden gegen die Juden anzubringen. Obwohl nun alles
dies zur Borsicht hätte mahnen sollen, so haben doch — wie der jüdische Prediger
Salomon zu Hamburg (1835) in feinen Briefen gegen die Schrift Hartmanns in
Rostock: „Eifenmenger und seine jüdischen Gegner" sagt — „Gelehrte und Un¬
gelehrte sich des Eisenmengerschen groben Geschützes gegen das Judenthum be¬
dient." Und diese aus Eisenmengcrschem Material geflossene nntijüdische Literatur
stammt nicht erst aus unsern Tagen: dem „Talmudjuden" Rohlings (Münster,
1878. 6. Aufl.) stehen außer der schon erwähnten Schrift und verschiednen Auf¬
sätzen des Rostocker Hebraisten aus dem Anfange dieses Jahrhunderts zur Seite:
„Die Jude» und das Judenthum" (Köln, 1816), ebenfalls ein Auszug ans
Eisenmenger, ferner die Schrift von Oertel: „Was glauben die Juden" (Vam-
bcrg, 1823) und zahlreiche andere Broschüren und Aufsätze. Wie sehr in diesen
tendenziösen Ausdeutungen des an sich schon tendenziösen Eisenmengerschen Werks
die Wahrheit hat leiden müssen, hat erst neuerdings Prof. Delitzsch in seiner
Schrift gegen Rohlings „Talmndjuden" an vielen Beispielen gezeigt; Rodung hat
Uebersetzungsfehler Eiseumengers ohne Prüfung herübergenommen und durch
eigene vermehrt, und die Hauptsache ist: auch er ist ungerecht und unbillig im
Urtheil.

Aber Mangel an Objectivität ist nicht die einzige Ausstellung, die an dem
Eisenmengerschen Buche und seinen Nachtreteru zu machen ist. Es fehlt in ihm anch
jede kritische Sichtung und jede historische Scheidung des bearbeiteten Materials.
Eine so gleichmäßige Ausnutzung einer mehr als tausendjährigen Literatur ohne
alle Rücksicht auf die Zeit und die Zeitverhültnisse, unter denen ein Buch entstanden,
ohne alle Erwägung der Grund e, die zur Abfassung einer Schrift veranlaßten,
und des Zweckes, den sein Verfasser dabei verfolgte, würde heutzutage wissen¬
schaftlich unmöglich sein, und doch wird das alte von Eisenmenger ohne Kritik
und ohne eine andre als die Sachvrdnung zusammengestellte Sammelsurium immer
wieder aufs neue ausgebeutet und nicht minder geiht- und kritiklos verwendet.
Sehr früh schon ist darauf hingewiesen worden, daß es ungerecht ist, nach einem
solchen Stoffe das eigentliche Wesen des Judenthums zu beurtheilen, und daß es
leicht wäre, auch aus christlichen Schriften einen Stoff zu sammeln, der ein durch¬
aus falsches und ungünstiges Licht auf die Principien des Christenthums werfen


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[0509] Das System der ciltsynagozalon Theologie. dem Zusammenhange herausreißt, auslegt und zusammenstellt, sichtbar genug das Gepräge des Fanatismus. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß Eisenmenger darauf ausging, die Wirkungen des tiefen Grolls, den die Lectttre seines Werkes bei jedem Christen wecken muß, durch den ganzen Ton der Darstellung und durch die Einkleidung des dargebotnen Stoffes zu verstärken, indem er keine Gelegenheit vorüberläßt, die plumpsten Ausfälle, die witzlosesten Scherze, die grimmigsten Schmähungen und Schimpfreden gegen die Juden anzubringen. Obwohl nun alles dies zur Borsicht hätte mahnen sollen, so haben doch — wie der jüdische Prediger Salomon zu Hamburg (1835) in feinen Briefen gegen die Schrift Hartmanns in Rostock: „Eifenmenger und seine jüdischen Gegner" sagt — „Gelehrte und Un¬ gelehrte sich des Eisenmengerschen groben Geschützes gegen das Judenthum be¬ dient." Und diese aus Eisenmengcrschem Material geflossene nntijüdische Literatur stammt nicht erst aus unsern Tagen: dem „Talmudjuden" Rohlings (Münster, 1878. 6. Aufl.) stehen außer der schon erwähnten Schrift und verschiednen Auf¬ sätzen des Rostocker Hebraisten aus dem Anfange dieses Jahrhunderts zur Seite: „Die Jude» und das Judenthum" (Köln, 1816), ebenfalls ein Auszug ans Eisenmenger, ferner die Schrift von Oertel: „Was glauben die Juden" (Vam- bcrg, 1823) und zahlreiche andere Broschüren und Aufsätze. Wie sehr in diesen tendenziösen Ausdeutungen des an sich schon tendenziösen Eisenmengerschen Werks die Wahrheit hat leiden müssen, hat erst neuerdings Prof. Delitzsch in seiner Schrift gegen Rohlings „Talmndjuden" an vielen Beispielen gezeigt; Rodung hat Uebersetzungsfehler Eiseumengers ohne Prüfung herübergenommen und durch eigene vermehrt, und die Hauptsache ist: auch er ist ungerecht und unbillig im Urtheil. Aber Mangel an Objectivität ist nicht die einzige Ausstellung, die an dem Eisenmengerschen Buche und seinen Nachtreteru zu machen ist. Es fehlt in ihm anch jede kritische Sichtung und jede historische Scheidung des bearbeiteten Materials. Eine so gleichmäßige Ausnutzung einer mehr als tausendjährigen Literatur ohne alle Rücksicht auf die Zeit und die Zeitverhültnisse, unter denen ein Buch entstanden, ohne alle Erwägung der Grund e, die zur Abfassung einer Schrift veranlaßten, und des Zweckes, den sein Verfasser dabei verfolgte, würde heutzutage wissen¬ schaftlich unmöglich sein, und doch wird das alte von Eisenmenger ohne Kritik und ohne eine andre als die Sachvrdnung zusammengestellte Sammelsurium immer wieder aufs neue ausgebeutet und nicht minder geiht- und kritiklos verwendet. Sehr früh schon ist darauf hingewiesen worden, daß es ungerecht ist, nach einem solchen Stoffe das eigentliche Wesen des Judenthums zu beurtheilen, und daß es leicht wäre, auch aus christlichen Schriften einen Stoff zu sammeln, der ein durch¬ aus falsches und ungünstiges Licht auf die Principien des Christenthums werfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/509>, abgerufen am 29.12.2024.