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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

leiten jener Zeit, mit denen Rist zusammengekommen war, in der Beleuchtung,
in welcher sie hier erscheinen, zu charakterisiren.

Aus der Zeit der französischen Occupation Hamburgs werden uns vor allem
drei Männer in lebensvoller Zeichnung vor Augen geführt: Bernadotte, Davoust,
Tettenborn; und nicht bloß die beiden ersten, auch Tettenborn trifft mit Recht
das scharfe, zum Theil vernichtende Urtheil des Verfassers. 1808 besuchte Rist
Bernadotte als commandirenden General. Er hatte in Flottbeck bei Hamburg sein
Hauptquartier genommen und führte da nach der allgemeinen, wohl begründeten
Meinung ein sybaritisches Leben. Seine äußere Erscheinung war höchst ange¬
nehm, er besaß einen edeln, feinen Anstand, durch Wohlwollen, das er in Rede
und Handlungen zeigte, hatte er sich bei den Truppen und der Bevölkerung Zu¬
neigung erworben, Napoleon gegenüber stand er in Opposition und machte aus
seinen republicanischen Grundsätzen kein Hehl. Aber die guten Eigenschaften Berna-
dvttes wurden durch die Schwäche gegen seine Umgebung, seine sittliche Halt¬
losigkeit, die Nachlässigkeit, mit der er alle geschäftlichen Angelegenheiten behandelte,
paralysirt. Eine ganz andre Persönlichkeit war Davoust, mit dem Rist in häufige
Berührung während einer langen Zeit treten mußte. Er hatte in ihm einen
finstern, hohläugigen Alba zu sehen erwartet und fand einen ansehnlichen, feisten
Mann mit breitem Rücken, weichem, glattem Gesicht, das mit einer spiegelblanken
Glatze bis zum Hinterkopf in Verbindung stand, Glotzaugen und einem eher freund¬
lichen und behaglichen als strengen Ausdruck. Aber der Anblick täuschte. Davoust
war der entschiedenste Gegensatz zu Bernadotte. Damals wenigstens jedem Ver¬
gnügen, jeder Zerstreuung entsagend, ging er ganz in rastlose Thätigkeit und Arbeit
auf und bemühte sich, sie, nach seinem Sinn, in strenger, unparteilicher Gerechtig¬
keit auszuüben. Dem Kaiser war er aufrichtig und unbedingt ergeben, er war
ihm ein Ideal, dem er eine fast religiöse Verehrung widmete. Im Heere hielt er
eine strenge Disciplin, eine musterhafte Ordnung aufrecht. England dagegen und
wer ihm verdächtig erschien, Sympathien für dasselbe zu hegen, war ihm Gegen¬
stand bittersten Hasses und rücksichtsloser Verfolgung. Daraus entsprang die
Härte, die Verfolgungssucht, das Spionierst)Stein, die seinen Namen zu einem
Schrecken in Deutschland machten und den allgemeinen Haß gegen ihn erregten.
Die Hälfte seines Stabes bestand aus Spionen, die sich in alle Gesellschaften
drängten, um zu horchen. In der Einverleibung Hamburgs ging er rücksichtslos
und schonungslos zu Werke; die bis dahin bestehenden Gewalten wurden er¬
niedrigt, verhöhnt, mißhandelt. Die Verwaltungseontrvle wurde mit einem Despo¬
tismus gehandhabt, der jedes Gefühl persönlicher Freiheit unterdrückte. Ohne
Municipalbeschauung konnte kein Kind getauft, kein Todter beerdigt werden. Die
Douaniers drangen bei Tag und Nacht in die Wohnungen, wo Unterschleif und


Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

leiten jener Zeit, mit denen Rist zusammengekommen war, in der Beleuchtung,
in welcher sie hier erscheinen, zu charakterisiren.

Aus der Zeit der französischen Occupation Hamburgs werden uns vor allem
drei Männer in lebensvoller Zeichnung vor Augen geführt: Bernadotte, Davoust,
Tettenborn; und nicht bloß die beiden ersten, auch Tettenborn trifft mit Recht
das scharfe, zum Theil vernichtende Urtheil des Verfassers. 1808 besuchte Rist
Bernadotte als commandirenden General. Er hatte in Flottbeck bei Hamburg sein
Hauptquartier genommen und führte da nach der allgemeinen, wohl begründeten
Meinung ein sybaritisches Leben. Seine äußere Erscheinung war höchst ange¬
nehm, er besaß einen edeln, feinen Anstand, durch Wohlwollen, das er in Rede
und Handlungen zeigte, hatte er sich bei den Truppen und der Bevölkerung Zu¬
neigung erworben, Napoleon gegenüber stand er in Opposition und machte aus
seinen republicanischen Grundsätzen kein Hehl. Aber die guten Eigenschaften Berna-
dvttes wurden durch die Schwäche gegen seine Umgebung, seine sittliche Halt¬
losigkeit, die Nachlässigkeit, mit der er alle geschäftlichen Angelegenheiten behandelte,
paralysirt. Eine ganz andre Persönlichkeit war Davoust, mit dem Rist in häufige
Berührung während einer langen Zeit treten mußte. Er hatte in ihm einen
finstern, hohläugigen Alba zu sehen erwartet und fand einen ansehnlichen, feisten
Mann mit breitem Rücken, weichem, glattem Gesicht, das mit einer spiegelblanken
Glatze bis zum Hinterkopf in Verbindung stand, Glotzaugen und einem eher freund¬
lichen und behaglichen als strengen Ausdruck. Aber der Anblick täuschte. Davoust
war der entschiedenste Gegensatz zu Bernadotte. Damals wenigstens jedem Ver¬
gnügen, jeder Zerstreuung entsagend, ging er ganz in rastlose Thätigkeit und Arbeit
auf und bemühte sich, sie, nach seinem Sinn, in strenger, unparteilicher Gerechtig¬
keit auszuüben. Dem Kaiser war er aufrichtig und unbedingt ergeben, er war
ihm ein Ideal, dem er eine fast religiöse Verehrung widmete. Im Heere hielt er
eine strenge Disciplin, eine musterhafte Ordnung aufrecht. England dagegen und
wer ihm verdächtig erschien, Sympathien für dasselbe zu hegen, war ihm Gegen¬
stand bittersten Hasses und rücksichtsloser Verfolgung. Daraus entsprang die
Härte, die Verfolgungssucht, das Spionierst)Stein, die seinen Namen zu einem
Schrecken in Deutschland machten und den allgemeinen Haß gegen ihn erregten.
Die Hälfte seines Stabes bestand aus Spionen, die sich in alle Gesellschaften
drängten, um zu horchen. In der Einverleibung Hamburgs ging er rücksichtslos
und schonungslos zu Werke; die bis dahin bestehenden Gewalten wurden er¬
niedrigt, verhöhnt, mißhandelt. Die Verwaltungseontrvle wurde mit einem Despo¬
tismus gehandhabt, der jedes Gefühl persönlicher Freiheit unterdrückte. Ohne
Municipalbeschauung konnte kein Kind getauft, kein Todter beerdigt werden. Die
Douaniers drangen bei Tag und Nacht in die Wohnungen, wo Unterschleif und


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[0476] Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes. leiten jener Zeit, mit denen Rist zusammengekommen war, in der Beleuchtung, in welcher sie hier erscheinen, zu charakterisiren. Aus der Zeit der französischen Occupation Hamburgs werden uns vor allem drei Männer in lebensvoller Zeichnung vor Augen geführt: Bernadotte, Davoust, Tettenborn; und nicht bloß die beiden ersten, auch Tettenborn trifft mit Recht das scharfe, zum Theil vernichtende Urtheil des Verfassers. 1808 besuchte Rist Bernadotte als commandirenden General. Er hatte in Flottbeck bei Hamburg sein Hauptquartier genommen und führte da nach der allgemeinen, wohl begründeten Meinung ein sybaritisches Leben. Seine äußere Erscheinung war höchst ange¬ nehm, er besaß einen edeln, feinen Anstand, durch Wohlwollen, das er in Rede und Handlungen zeigte, hatte er sich bei den Truppen und der Bevölkerung Zu¬ neigung erworben, Napoleon gegenüber stand er in Opposition und machte aus seinen republicanischen Grundsätzen kein Hehl. Aber die guten Eigenschaften Berna- dvttes wurden durch die Schwäche gegen seine Umgebung, seine sittliche Halt¬ losigkeit, die Nachlässigkeit, mit der er alle geschäftlichen Angelegenheiten behandelte, paralysirt. Eine ganz andre Persönlichkeit war Davoust, mit dem Rist in häufige Berührung während einer langen Zeit treten mußte. Er hatte in ihm einen finstern, hohläugigen Alba zu sehen erwartet und fand einen ansehnlichen, feisten Mann mit breitem Rücken, weichem, glattem Gesicht, das mit einer spiegelblanken Glatze bis zum Hinterkopf in Verbindung stand, Glotzaugen und einem eher freund¬ lichen und behaglichen als strengen Ausdruck. Aber der Anblick täuschte. Davoust war der entschiedenste Gegensatz zu Bernadotte. Damals wenigstens jedem Ver¬ gnügen, jeder Zerstreuung entsagend, ging er ganz in rastlose Thätigkeit und Arbeit auf und bemühte sich, sie, nach seinem Sinn, in strenger, unparteilicher Gerechtig¬ keit auszuüben. Dem Kaiser war er aufrichtig und unbedingt ergeben, er war ihm ein Ideal, dem er eine fast religiöse Verehrung widmete. Im Heere hielt er eine strenge Disciplin, eine musterhafte Ordnung aufrecht. England dagegen und wer ihm verdächtig erschien, Sympathien für dasselbe zu hegen, war ihm Gegen¬ stand bittersten Hasses und rücksichtsloser Verfolgung. Daraus entsprang die Härte, die Verfolgungssucht, das Spionierst)Stein, die seinen Namen zu einem Schrecken in Deutschland machten und den allgemeinen Haß gegen ihn erregten. Die Hälfte seines Stabes bestand aus Spionen, die sich in alle Gesellschaften drängten, um zu horchen. In der Einverleibung Hamburgs ging er rücksichtslos und schonungslos zu Werke; die bis dahin bestehenden Gewalten wurden er¬ niedrigt, verhöhnt, mißhandelt. Die Verwaltungseontrvle wurde mit einem Despo¬ tismus gehandhabt, der jedes Gefühl persönlicher Freiheit unterdrückte. Ohne Municipalbeschauung konnte kein Kind getauft, kein Todter beerdigt werden. Die Douaniers drangen bei Tag und Nacht in die Wohnungen, wo Unterschleif und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/476>, abgerufen am 29.12.2024.