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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

NonÄsm- Ah. In der Armee, am Hofe, unter den Beamten war die Republik
zu den Todten gelegt, der erste Konsul war Fiirst, wenn ihm auch der monarchische
Titel noch fehlte. Rohalisten gab es kaum. Republicaner und Jakobiner bildeten
allein eine gefürchtete Opposition. Mit dieser kam Rist durch Vermittlung des
Grafen Schlaberndorf in Verbindung. Diese originelle Persönlichkeit lebte damals
schon zwölf Jahre in Paris, aber immer noch wie ein Reisender, der den nächsten
Morgen weiter zu ziehen denkt. Seine Wohnung war ein Wirthshausstübchen
im dritten Stock, das ebenso vernachlässigt wie er selbst erschien. "In einem
weiten graue,: Schlafrock, meist ohne Beinkleider, bringt er oft Monate lang vor
seinem Pult oder neben dem Kamin zu; sein Haar sträubt sich unordentlich auf
seinem Haupt, und ein zolllanger grauer Bart bezeichnet eine unvordenkliche Zeit,
die er fern vom Publicum zugebracht." Und dieser Mann war der Mittelpunkt
aller Neuigkeiten; ausgezeichnete Fremde sowie die Mitglieder der jakobinischen
und republicanischen Partei trafen hier zusammen und sprachen sich mit einer
Unbefangenheit aus, die sie sonst nur in geschütztester Zurückgezogenheit sich ge¬
statten konnten.

A,n 21. Juli 1802 kam Rist in Madrid an. Das Bild der politischen Ver¬
hältnisse Spaniens, das uns Rist zeichnet, ist ein sehr trübes. Der Hof machte
den Eindruck völliger Verkommenheit. Der König, unbedeutend und schwach, war
völlig in den Händen der Königin und ihres Liebhabers, des Friedensfürsten
Don Manuel de Godoh, zweier gleich unsittlicher Persönlichkeiten. Von ihnen
drang der Geist der Corruption in alle Kreise, die mit der Regierung in Ver¬
bindung standen.

An der Spitze der Opposition stand der Prinz von Asturien, später König
Ferdinand VII., oder richtiger seine Gemahlin, eine österreichische Prinzessin, die
ihn an Einsicht und Charakter weit überragte, aber von Spionen umringt, nur
wenig Einfluß gewinnen konnte. Die Herrschaft des Klerus war unbegrenzt;
auch wer innerlich mit den Dogmen des Katholicismus, vielleicht sogar mit dem
Christenthum gebrochen hatte, fügte sich derselben. Von einer innern sittlichen und
religiösen Aneignung der katholischen und überhaupt der christlichen Lehre war
wenig zu spüren. Mechanische Theilnahme am Gottesdienst hier, inbrünstige und
eifrige Gebete, auf Vergebung eben begangner Sünde oder Erlangung eines er¬
sehnten Guts gerichtet, dort, bildeten den Inhalt der Frömmigkeit.

In Madrid war Rist auch Zeuge von einem Auto-da-M, vielleicht dem
letzten, das Spanien gesehen. Das ganze Lorxs äixloraatiauö war zu diesem
Schauspiel eingeladen. Die Angeklagte war ein der dienenden Klasse angehöriges
Weib von 33 Jahren, das als Wunderthäterin eine Zeit lang eine Rolle gespielt
hatte. Sie erschien gebunden, einen Strick um den Hals, mit bloßen Haaren.


Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes.

NonÄsm- Ah. In der Armee, am Hofe, unter den Beamten war die Republik
zu den Todten gelegt, der erste Konsul war Fiirst, wenn ihm auch der monarchische
Titel noch fehlte. Rohalisten gab es kaum. Republicaner und Jakobiner bildeten
allein eine gefürchtete Opposition. Mit dieser kam Rist durch Vermittlung des
Grafen Schlaberndorf in Verbindung. Diese originelle Persönlichkeit lebte damals
schon zwölf Jahre in Paris, aber immer noch wie ein Reisender, der den nächsten
Morgen weiter zu ziehen denkt. Seine Wohnung war ein Wirthshausstübchen
im dritten Stock, das ebenso vernachlässigt wie er selbst erschien. „In einem
weiten graue,: Schlafrock, meist ohne Beinkleider, bringt er oft Monate lang vor
seinem Pult oder neben dem Kamin zu; sein Haar sträubt sich unordentlich auf
seinem Haupt, und ein zolllanger grauer Bart bezeichnet eine unvordenkliche Zeit,
die er fern vom Publicum zugebracht." Und dieser Mann war der Mittelpunkt
aller Neuigkeiten; ausgezeichnete Fremde sowie die Mitglieder der jakobinischen
und republicanischen Partei trafen hier zusammen und sprachen sich mit einer
Unbefangenheit aus, die sie sonst nur in geschütztester Zurückgezogenheit sich ge¬
statten konnten.

A,n 21. Juli 1802 kam Rist in Madrid an. Das Bild der politischen Ver¬
hältnisse Spaniens, das uns Rist zeichnet, ist ein sehr trübes. Der Hof machte
den Eindruck völliger Verkommenheit. Der König, unbedeutend und schwach, war
völlig in den Händen der Königin und ihres Liebhabers, des Friedensfürsten
Don Manuel de Godoh, zweier gleich unsittlicher Persönlichkeiten. Von ihnen
drang der Geist der Corruption in alle Kreise, die mit der Regierung in Ver¬
bindung standen.

An der Spitze der Opposition stand der Prinz von Asturien, später König
Ferdinand VII., oder richtiger seine Gemahlin, eine österreichische Prinzessin, die
ihn an Einsicht und Charakter weit überragte, aber von Spionen umringt, nur
wenig Einfluß gewinnen konnte. Die Herrschaft des Klerus war unbegrenzt;
auch wer innerlich mit den Dogmen des Katholicismus, vielleicht sogar mit dem
Christenthum gebrochen hatte, fügte sich derselben. Von einer innern sittlichen und
religiösen Aneignung der katholischen und überhaupt der christlichen Lehre war
wenig zu spüren. Mechanische Theilnahme am Gottesdienst hier, inbrünstige und
eifrige Gebete, auf Vergebung eben begangner Sünde oder Erlangung eines er¬
sehnten Guts gerichtet, dort, bildeten den Inhalt der Frömmigkeit.

In Madrid war Rist auch Zeuge von einem Auto-da-M, vielleicht dem
letzten, das Spanien gesehen. Das ganze Lorxs äixloraatiauö war zu diesem
Schauspiel eingeladen. Die Angeklagte war ein der dienenden Klasse angehöriges
Weib von 33 Jahren, das als Wunderthäterin eine Zeit lang eine Rolle gespielt
hatte. Sie erschien gebunden, einen Strick um den Hals, mit bloßen Haaren.


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[0473] Aus den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes. NonÄsm- Ah. In der Armee, am Hofe, unter den Beamten war die Republik zu den Todten gelegt, der erste Konsul war Fiirst, wenn ihm auch der monarchische Titel noch fehlte. Rohalisten gab es kaum. Republicaner und Jakobiner bildeten allein eine gefürchtete Opposition. Mit dieser kam Rist durch Vermittlung des Grafen Schlaberndorf in Verbindung. Diese originelle Persönlichkeit lebte damals schon zwölf Jahre in Paris, aber immer noch wie ein Reisender, der den nächsten Morgen weiter zu ziehen denkt. Seine Wohnung war ein Wirthshausstübchen im dritten Stock, das ebenso vernachlässigt wie er selbst erschien. „In einem weiten graue,: Schlafrock, meist ohne Beinkleider, bringt er oft Monate lang vor seinem Pult oder neben dem Kamin zu; sein Haar sträubt sich unordentlich auf seinem Haupt, und ein zolllanger grauer Bart bezeichnet eine unvordenkliche Zeit, die er fern vom Publicum zugebracht." Und dieser Mann war der Mittelpunkt aller Neuigkeiten; ausgezeichnete Fremde sowie die Mitglieder der jakobinischen und republicanischen Partei trafen hier zusammen und sprachen sich mit einer Unbefangenheit aus, die sie sonst nur in geschütztester Zurückgezogenheit sich ge¬ statten konnten. A,n 21. Juli 1802 kam Rist in Madrid an. Das Bild der politischen Ver¬ hältnisse Spaniens, das uns Rist zeichnet, ist ein sehr trübes. Der Hof machte den Eindruck völliger Verkommenheit. Der König, unbedeutend und schwach, war völlig in den Händen der Königin und ihres Liebhabers, des Friedensfürsten Don Manuel de Godoh, zweier gleich unsittlicher Persönlichkeiten. Von ihnen drang der Geist der Corruption in alle Kreise, die mit der Regierung in Ver¬ bindung standen. An der Spitze der Opposition stand der Prinz von Asturien, später König Ferdinand VII., oder richtiger seine Gemahlin, eine österreichische Prinzessin, die ihn an Einsicht und Charakter weit überragte, aber von Spionen umringt, nur wenig Einfluß gewinnen konnte. Die Herrschaft des Klerus war unbegrenzt; auch wer innerlich mit den Dogmen des Katholicismus, vielleicht sogar mit dem Christenthum gebrochen hatte, fügte sich derselben. Von einer innern sittlichen und religiösen Aneignung der katholischen und überhaupt der christlichen Lehre war wenig zu spüren. Mechanische Theilnahme am Gottesdienst hier, inbrünstige und eifrige Gebete, auf Vergebung eben begangner Sünde oder Erlangung eines er¬ sehnten Guts gerichtet, dort, bildeten den Inhalt der Frömmigkeit. In Madrid war Rist auch Zeuge von einem Auto-da-M, vielleicht dem letzten, das Spanien gesehen. Das ganze Lorxs äixloraatiauö war zu diesem Schauspiel eingeladen. Die Angeklagte war ein der dienenden Klasse angehöriges Weib von 33 Jahren, das als Wunderthäterin eine Zeit lang eine Rolle gespielt hatte. Sie erschien gebunden, einen Strick um den Hals, mit bloßen Haaren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/473>, abgerufen am 29.12.2024.