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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance.

so ist der nahezu fünf Seiten einnehmende Bericht, den eine Selavin von dein
Ende der Heldin giebt, für moderne Begriffe entsetzlich schleppend. Der Haupt¬
fehler liegt indeß in der mangelhaften Charakteristik der einzelnen Personen, von
denen eine wie die andere, sei es nun Scipio, Syphax oder Massinissa, sich in
demselben hochtrabenden, eines individuellen Gepräges entbehrenden Pathos ergeht.

Der nächste, der in Trissinos Fußtapfen trat, war der Florentiner Rucellai,
der außer einen? "Orestes" auch einen romantischen Stoff in seiner "Rosmunda"
behandelte und damit eine lange Reihe blutiger Greuelstücke eröffnete. Die Fabel
des Trauerspiels, nach Paulus Diaconus ziemlich frei gestaltet, ist in Kürze
folgende. Rosmunda, die Tochter des im Kampfe mit dem Langobarden-König
Alboin gefallnen Gepidenfürsten Kunimund, bestattet, eine zweite Antigone, dem
Verbote des Siegers trotzend, die Leiche auf dem Schlachtfelde. Faliseo, ein
Hauptmann Albvins, betrifft sie dabei und nimmt sie mit ihrer Amme und dem
Chöre ihrer Jungfrauen gefangen. Alboin, der sie todten will, wird von Faliseo,
der sich dankbar der von ihrem Vater genossenen Wohlthaten erinnert, davon
abgebracht und sogar bestimmt, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Rosmunda
nimmt schließlich seineu Antrag, den sie zuerst entrüstet zurückweist, auf Zureden
der Amme an. Sie wird geliebt von Almachild, einem jungen Krieger des Alboin,
der sich zu ihrem Retter aufwirft. Seine Hoffnungen werden jedoch vernichtet
durch die Kunde von der bereits vollzognen Vermählung, bei welcher der König
Rosmunda gezwungen hat, ihm aus dem Schädel ihres Vaters Bescheid zu
thun; sie hat sich lauge gegen das Gräßliche gesträubt, durch die fürchterlichen
Drohungen aber


Zum Tod erschreckt, versuchte sie zuletzt
Dreimal, indem die Hand ihr zitterte,
Die grauenvolle Schale zu ergreifen --
Doch ebensoviel Male sanken ihr,
Besiegt vom Schmerzgefühl, die Hiiudc nieder.
Am Ende nahm der Konig sie und seyen
Sie an deu Mund ihr, und dem Zwang sich fügend,
Trank sie daraus, doch Thränen mehr als Wein,

Zur Erhöhung des Effects erscheint die Unglückliche alsbald mit dem Schädel
ans der Bühne. Almachild beschließt sie zu rächen und den König zu tödten,
lind im fünften Aete berichtet eine Selavin, daß er es ausgeführt. Rvsmunda
preist Gottes Schutz, und damit verläuft das Stück vollständig im Sande, indem
man weder erfährt, was ans ihr, noch was aus ihrem Befreier wird. Trotz
des romantischen Stoffes lehnt sich die Behandlung eng an die classischen Vor¬
bilder an, und selbst einzelne Stellen derselben, wie das berühmte Sophokleische
"Nie geboren zu sein" finden sich fast wörtlich in dem Stücke wieder.


Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance.

so ist der nahezu fünf Seiten einnehmende Bericht, den eine Selavin von dein
Ende der Heldin giebt, für moderne Begriffe entsetzlich schleppend. Der Haupt¬
fehler liegt indeß in der mangelhaften Charakteristik der einzelnen Personen, von
denen eine wie die andere, sei es nun Scipio, Syphax oder Massinissa, sich in
demselben hochtrabenden, eines individuellen Gepräges entbehrenden Pathos ergeht.

Der nächste, der in Trissinos Fußtapfen trat, war der Florentiner Rucellai,
der außer einen? „Orestes" auch einen romantischen Stoff in seiner „Rosmunda"
behandelte und damit eine lange Reihe blutiger Greuelstücke eröffnete. Die Fabel
des Trauerspiels, nach Paulus Diaconus ziemlich frei gestaltet, ist in Kürze
folgende. Rosmunda, die Tochter des im Kampfe mit dem Langobarden-König
Alboin gefallnen Gepidenfürsten Kunimund, bestattet, eine zweite Antigone, dem
Verbote des Siegers trotzend, die Leiche auf dem Schlachtfelde. Faliseo, ein
Hauptmann Albvins, betrifft sie dabei und nimmt sie mit ihrer Amme und dem
Chöre ihrer Jungfrauen gefangen. Alboin, der sie todten will, wird von Faliseo,
der sich dankbar der von ihrem Vater genossenen Wohlthaten erinnert, davon
abgebracht und sogar bestimmt, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Rosmunda
nimmt schließlich seineu Antrag, den sie zuerst entrüstet zurückweist, auf Zureden
der Amme an. Sie wird geliebt von Almachild, einem jungen Krieger des Alboin,
der sich zu ihrem Retter aufwirft. Seine Hoffnungen werden jedoch vernichtet
durch die Kunde von der bereits vollzognen Vermählung, bei welcher der König
Rosmunda gezwungen hat, ihm aus dem Schädel ihres Vaters Bescheid zu
thun; sie hat sich lauge gegen das Gräßliche gesträubt, durch die fürchterlichen
Drohungen aber


Zum Tod erschreckt, versuchte sie zuletzt
Dreimal, indem die Hand ihr zitterte,
Die grauenvolle Schale zu ergreifen —
Doch ebensoviel Male sanken ihr,
Besiegt vom Schmerzgefühl, die Hiiudc nieder.
Am Ende nahm der Konig sie und seyen
Sie an deu Mund ihr, und dem Zwang sich fügend,
Trank sie daraus, doch Thränen mehr als Wein,

Zur Erhöhung des Effects erscheint die Unglückliche alsbald mit dem Schädel
ans der Bühne. Almachild beschließt sie zu rächen und den König zu tödten,
lind im fünften Aete berichtet eine Selavin, daß er es ausgeführt. Rvsmunda
preist Gottes Schutz, und damit verläuft das Stück vollständig im Sande, indem
man weder erfährt, was ans ihr, noch was aus ihrem Befreier wird. Trotz
des romantischen Stoffes lehnt sich die Behandlung eng an die classischen Vor¬
bilder an, und selbst einzelne Stellen derselben, wie das berühmte Sophokleische
„Nie geboren zu sein" finden sich fast wörtlich in dem Stücke wieder.


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[0436] Die gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance. so ist der nahezu fünf Seiten einnehmende Bericht, den eine Selavin von dein Ende der Heldin giebt, für moderne Begriffe entsetzlich schleppend. Der Haupt¬ fehler liegt indeß in der mangelhaften Charakteristik der einzelnen Personen, von denen eine wie die andere, sei es nun Scipio, Syphax oder Massinissa, sich in demselben hochtrabenden, eines individuellen Gepräges entbehrenden Pathos ergeht. Der nächste, der in Trissinos Fußtapfen trat, war der Florentiner Rucellai, der außer einen? „Orestes" auch einen romantischen Stoff in seiner „Rosmunda" behandelte und damit eine lange Reihe blutiger Greuelstücke eröffnete. Die Fabel des Trauerspiels, nach Paulus Diaconus ziemlich frei gestaltet, ist in Kürze folgende. Rosmunda, die Tochter des im Kampfe mit dem Langobarden-König Alboin gefallnen Gepidenfürsten Kunimund, bestattet, eine zweite Antigone, dem Verbote des Siegers trotzend, die Leiche auf dem Schlachtfelde. Faliseo, ein Hauptmann Albvins, betrifft sie dabei und nimmt sie mit ihrer Amme und dem Chöre ihrer Jungfrauen gefangen. Alboin, der sie todten will, wird von Faliseo, der sich dankbar der von ihrem Vater genossenen Wohlthaten erinnert, davon abgebracht und sogar bestimmt, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Rosmunda nimmt schließlich seineu Antrag, den sie zuerst entrüstet zurückweist, auf Zureden der Amme an. Sie wird geliebt von Almachild, einem jungen Krieger des Alboin, der sich zu ihrem Retter aufwirft. Seine Hoffnungen werden jedoch vernichtet durch die Kunde von der bereits vollzognen Vermählung, bei welcher der König Rosmunda gezwungen hat, ihm aus dem Schädel ihres Vaters Bescheid zu thun; sie hat sich lauge gegen das Gräßliche gesträubt, durch die fürchterlichen Drohungen aber Zum Tod erschreckt, versuchte sie zuletzt Dreimal, indem die Hand ihr zitterte, Die grauenvolle Schale zu ergreifen — Doch ebensoviel Male sanken ihr, Besiegt vom Schmerzgefühl, die Hiiudc nieder. Am Ende nahm der Konig sie und seyen Sie an deu Mund ihr, und dem Zwang sich fügend, Trank sie daraus, doch Thränen mehr als Wein, Zur Erhöhung des Effects erscheint die Unglückliche alsbald mit dem Schädel ans der Bühne. Almachild beschließt sie zu rächen und den König zu tödten, lind im fünften Aete berichtet eine Selavin, daß er es ausgeführt. Rvsmunda preist Gottes Schutz, und damit verläuft das Stück vollständig im Sande, indem man weder erfährt, was ans ihr, noch was aus ihrem Befreier wird. Trotz des romantischen Stoffes lehnt sich die Behandlung eng an die classischen Vor¬ bilder an, und selbst einzelne Stellen derselben, wie das berühmte Sophokleische „Nie geboren zu sein" finden sich fast wörtlich in dem Stücke wieder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/436>, abgerufen am 29.12.2024.