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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Air gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,

setze der griechisch-lateinischen Versbildung und Silbenmcssung, ja sogar die so?
genannten Pvsitionslängen durchführen zu wollen. Schon während des 15, Jahr-
hvnderts waren vereinzelte Bestrebungen dieser Art aufgetreten, und im 16, fanden
dieselben namentlich in Claudio Tolomei und Cosimo Pallavicino eifrige An¬
wälte, die theoretisch die Berechtigung des durchaus verfehlten Princips nachzu¬
weisen suchten und von denen der letztere im Jahre 1539 eine Sammlung von
Poesien oder richtiger gesagt von metrischen Exercitien verschiedner Autoren heraus¬
gab, durch die er das Problem auch praktisch gelöst glaubte, die antike Prosodie
und Metrik auf eine Sprache anzuwenden, deren Natur einem solchen Zwange
durchaus widerstrebt. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß die angeblichen
Disticha und Oden, auf deren Correctheit sich die Verfasser nicht wenig zu gute
thaten, fast gänzlich unbeachtet und ohne Einfluß blieben, wenn auch später noch
hie und da ähnliche Versuche unternommen wurden.*)

Auch die schon 1529 zu Vieenza erschienene Poetik des Trissino ist, obwohl
sie, was den formalen Standpunkt betrifft, den fundamentalen Unterschied zwischen
antiker und italienischer Messung klar erkennt, doch in höchst einseitigen gelehrten
Anschauungen befangen, wie es bei der Richtung des Verfassers, auf den wir
später zmÄckznkommen haben, nicht anders sein konnte.

Daß die didaktische Poesie die gelehrten Dichter ganz besonders anzog,
ist sehr natürlich; bot sich doch hier die ergiebigste Gelegenheit, die Früchte ihrer
classischen Studien direct zu verwerthen und unmittelbar an das vom Alterthum
geleistete anzuknüpfen. Namentlich war es Virgil, der auch hier, wie auf epischem
Gebiete, als Norm diente. Giovanni Rucellai's einst hochberühmtes Gedicht über
die Bienen ist in der Hauptsache nichts weiter als eine freie Uebersetzung des
4. Buches der "Georgiea" in italienischen versi seiolti, die mit dem Urbild ver¬
glichen freilich von Monotonie nicht freizusprechen sind. Durchaus neu in Bezug
auf den Inhalt wie von recht anmuthiger Fassung ist jedoch der Eingang des
Poems, in dem sich der Autor vom hergebrachten Reime lossagt, die Musen
anredend:


Derweil ich einst von euern Gaben sang,
Ihr keuschen Jungfrau", in erhabnen Reimen,
Ihr holden Engel buntbewachsner User,
Anflug mich Schlaf beim Nahn der Morgendämmrung,
Und mir erschien ein Chor von euerm Stamme,
Und in der Sprache, die von Honig träuft,
Ertönten hell und klar mir diese Worte:
"O Freund, dem es behagt nach tausend und


*) Vgl, hierüber meine Abhandlung im "Magazin für die Literatur deS Auslandes",
Jahrg. 1880, S. 614 ff.
Ärenzboten I, >88l. !ni
Air gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance,

setze der griechisch-lateinischen Versbildung und Silbenmcssung, ja sogar die so?
genannten Pvsitionslängen durchführen zu wollen. Schon während des 15, Jahr-
hvnderts waren vereinzelte Bestrebungen dieser Art aufgetreten, und im 16, fanden
dieselben namentlich in Claudio Tolomei und Cosimo Pallavicino eifrige An¬
wälte, die theoretisch die Berechtigung des durchaus verfehlten Princips nachzu¬
weisen suchten und von denen der letztere im Jahre 1539 eine Sammlung von
Poesien oder richtiger gesagt von metrischen Exercitien verschiedner Autoren heraus¬
gab, durch die er das Problem auch praktisch gelöst glaubte, die antike Prosodie
und Metrik auf eine Sprache anzuwenden, deren Natur einem solchen Zwange
durchaus widerstrebt. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß die angeblichen
Disticha und Oden, auf deren Correctheit sich die Verfasser nicht wenig zu gute
thaten, fast gänzlich unbeachtet und ohne Einfluß blieben, wenn auch später noch
hie und da ähnliche Versuche unternommen wurden.*)

Auch die schon 1529 zu Vieenza erschienene Poetik des Trissino ist, obwohl
sie, was den formalen Standpunkt betrifft, den fundamentalen Unterschied zwischen
antiker und italienischer Messung klar erkennt, doch in höchst einseitigen gelehrten
Anschauungen befangen, wie es bei der Richtung des Verfassers, auf den wir
später zmÄckznkommen haben, nicht anders sein konnte.

Daß die didaktische Poesie die gelehrten Dichter ganz besonders anzog,
ist sehr natürlich; bot sich doch hier die ergiebigste Gelegenheit, die Früchte ihrer
classischen Studien direct zu verwerthen und unmittelbar an das vom Alterthum
geleistete anzuknüpfen. Namentlich war es Virgil, der auch hier, wie auf epischem
Gebiete, als Norm diente. Giovanni Rucellai's einst hochberühmtes Gedicht über
die Bienen ist in der Hauptsache nichts weiter als eine freie Uebersetzung des
4. Buches der „Georgiea" in italienischen versi seiolti, die mit dem Urbild ver¬
glichen freilich von Monotonie nicht freizusprechen sind. Durchaus neu in Bezug
auf den Inhalt wie von recht anmuthiger Fassung ist jedoch der Eingang des
Poems, in dem sich der Autor vom hergebrachten Reime lossagt, die Musen
anredend:


Derweil ich einst von euern Gaben sang,
Ihr keuschen Jungfrau», in erhabnen Reimen,
Ihr holden Engel buntbewachsner User,
Anflug mich Schlaf beim Nahn der Morgendämmrung,
Und mir erschien ein Chor von euerm Stamme,
Und in der Sprache, die von Honig träuft,
Ertönten hell und klar mir diese Worte:
„O Freund, dem es behagt nach tausend und


*) Vgl, hierüber meine Abhandlung im „Magazin für die Literatur deS Auslandes",
Jahrg. 1880, S. 614 ff.
Ärenzboten I, >88l. !ni
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[0429] Air gelehrte Dichtung Italiens im Zeitalter der Hochrenaissance, setze der griechisch-lateinischen Versbildung und Silbenmcssung, ja sogar die so? genannten Pvsitionslängen durchführen zu wollen. Schon während des 15, Jahr- hvnderts waren vereinzelte Bestrebungen dieser Art aufgetreten, und im 16, fanden dieselben namentlich in Claudio Tolomei und Cosimo Pallavicino eifrige An¬ wälte, die theoretisch die Berechtigung des durchaus verfehlten Princips nachzu¬ weisen suchten und von denen der letztere im Jahre 1539 eine Sammlung von Poesien oder richtiger gesagt von metrischen Exercitien verschiedner Autoren heraus¬ gab, durch die er das Problem auch praktisch gelöst glaubte, die antike Prosodie und Metrik auf eine Sprache anzuwenden, deren Natur einem solchen Zwange durchaus widerstrebt. Es kann daher nicht Wunder nehmen, daß die angeblichen Disticha und Oden, auf deren Correctheit sich die Verfasser nicht wenig zu gute thaten, fast gänzlich unbeachtet und ohne Einfluß blieben, wenn auch später noch hie und da ähnliche Versuche unternommen wurden.*) Auch die schon 1529 zu Vieenza erschienene Poetik des Trissino ist, obwohl sie, was den formalen Standpunkt betrifft, den fundamentalen Unterschied zwischen antiker und italienischer Messung klar erkennt, doch in höchst einseitigen gelehrten Anschauungen befangen, wie es bei der Richtung des Verfassers, auf den wir später zmÄckznkommen haben, nicht anders sein konnte. Daß die didaktische Poesie die gelehrten Dichter ganz besonders anzog, ist sehr natürlich; bot sich doch hier die ergiebigste Gelegenheit, die Früchte ihrer classischen Studien direct zu verwerthen und unmittelbar an das vom Alterthum geleistete anzuknüpfen. Namentlich war es Virgil, der auch hier, wie auf epischem Gebiete, als Norm diente. Giovanni Rucellai's einst hochberühmtes Gedicht über die Bienen ist in der Hauptsache nichts weiter als eine freie Uebersetzung des 4. Buches der „Georgiea" in italienischen versi seiolti, die mit dem Urbild ver¬ glichen freilich von Monotonie nicht freizusprechen sind. Durchaus neu in Bezug auf den Inhalt wie von recht anmuthiger Fassung ist jedoch der Eingang des Poems, in dem sich der Autor vom hergebrachten Reime lossagt, die Musen anredend: Derweil ich einst von euern Gaben sang, Ihr keuschen Jungfrau», in erhabnen Reimen, Ihr holden Engel buntbewachsner User, Anflug mich Schlaf beim Nahn der Morgendämmrung, Und mir erschien ein Chor von euerm Stamme, Und in der Sprache, die von Honig träuft, Ertönten hell und klar mir diese Worte: „O Freund, dem es behagt nach tausend und *) Vgl, hierüber meine Abhandlung im „Magazin für die Literatur deS Auslandes", Jahrg. 1880, S. 614 ff. Ärenzboten I, >88l. !ni

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/429>, abgerufen am 29.12.2024.