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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Wie sehr dieses Genre in Uebung stand, kann der Wetteifer veranschaulichen,
der unter den lateinischen Epigrammatisteu durch Andrea Sansovinos berühmte
Marmorgruppe der Mutter Anna mit Maria und dem Christuskinde erregt wurde,
die ein deutscher Protvuotar Namens Johann Goritz für die römische Kirche
S, Agostino gestiftet hatte, Blossius Palladins gab unter dein Titel "Coryeicma"
1!i24 eine Sammlung dieser Gedichte heraus, auf Grund deren er in der iiber-
schwäuglicheu Widmung dem gefeierten Mäcen die Unsterblichkeit prophezeien zu
dürfen glaubte. Neben bombastischer, mit mythologischen Zierrat aufgebauschten
Elaboraten enthält das Buch jedoch auch manche trefflichen Verse, in denen theils
der fromme Sinn des Stifters gepriesen, theils das Werk des Künstlers mit einer
Wärme erhoben wird, die rühmliches Zeugniß von der Begeistrnngsfühigkeit jeuer
Zeit ablegt,*)

Aber auch auf dem Gebiete der Elegie trieb die gelehrte Dichtung manche
schöne Blüte und weiß mit den Vorbildern der römischen Literatur oft so glück¬
lich zu wetteifern, daß man fast den Eindrnck eines echt antiken Productes empfängt.
Nächst Scmnazar, der auch hier am meisten hervorragt, versteht es namentlich
Andrea Navagerv meisterhaft, im Geiste der lateinischen Elegiker, wie in seinen
Versen an die Nacht oder in dem schönen Gedicht, mit dem er nach seiner Rück¬
kehr aus der Fremde den Heimntsboden begrüßt, edle Empfindungen künstlerisch
zu gestalten, Francesco Maria Molza, Bembo und Sadvleto machten mit staunens-
werther Leichtigkeit die classische Kunstform zum Gefäß moderner Gefühle. Girolcuno
Vida, der sich in seinen religiösen Hhmnen zu hohem Fluge erhebt, besingt daneben
in der Ruhe seines Tuseulnms uach Art des Horaz die Freigebigkeit seiner hohen
Gönner und läßt in stürmisch bewegter Zeit Klänge der Friedenssehnsucht er¬
tönen. Unter den in heimischer Sprache dichtenden strebt Ariost, während Giro-
lamo Muzio, Bernardo Tasso und andre sich ziemlich fruchtlos in Nachahmungen
der antiken Lyriker abmühen, in seinen erotischen Elegien der Weise des Ovid
und Tibull mit entschiedenem Erfolge nach und erinnert in einzelnen Partien
an deren beste Leistungen. Freilich ist die Scala der Empfindungen in allen
diesen Gedichten, lateinischen wie italienischen, eine beschränkte, und wahrhaft große
Leidenschaften sucht man darin vergebens. Der Unterschied zwischen einer aus
dem eignen Sein und Fühlen hervorquellenden und einer mehr von außen her
inspirirter Dichtung macht sich eben auch hier geltend.

Nicht ohne Interesse für unsere Betrachtung sind die von dem Studium der
classischen Literatur angeregten Versuche, auch die poetischen Formen des Alter-
thums in der Muttersprache zu reproduciren, wobei man so weit ging, die Ge-



S, die in man'v Monographie "Andren Sansovino und sale Schule" S, 24 mit-
gkthnli"! Pvvbm.

Wie sehr dieses Genre in Uebung stand, kann der Wetteifer veranschaulichen,
der unter den lateinischen Epigrammatisteu durch Andrea Sansovinos berühmte
Marmorgruppe der Mutter Anna mit Maria und dem Christuskinde erregt wurde,
die ein deutscher Protvuotar Namens Johann Goritz für die römische Kirche
S, Agostino gestiftet hatte, Blossius Palladins gab unter dein Titel „Coryeicma"
1!i24 eine Sammlung dieser Gedichte heraus, auf Grund deren er in der iiber-
schwäuglicheu Widmung dem gefeierten Mäcen die Unsterblichkeit prophezeien zu
dürfen glaubte. Neben bombastischer, mit mythologischen Zierrat aufgebauschten
Elaboraten enthält das Buch jedoch auch manche trefflichen Verse, in denen theils
der fromme Sinn des Stifters gepriesen, theils das Werk des Künstlers mit einer
Wärme erhoben wird, die rühmliches Zeugniß von der Begeistrnngsfühigkeit jeuer
Zeit ablegt,*)

Aber auch auf dem Gebiete der Elegie trieb die gelehrte Dichtung manche
schöne Blüte und weiß mit den Vorbildern der römischen Literatur oft so glück¬
lich zu wetteifern, daß man fast den Eindrnck eines echt antiken Productes empfängt.
Nächst Scmnazar, der auch hier am meisten hervorragt, versteht es namentlich
Andrea Navagerv meisterhaft, im Geiste der lateinischen Elegiker, wie in seinen
Versen an die Nacht oder in dem schönen Gedicht, mit dem er nach seiner Rück¬
kehr aus der Fremde den Heimntsboden begrüßt, edle Empfindungen künstlerisch
zu gestalten, Francesco Maria Molza, Bembo und Sadvleto machten mit staunens-
werther Leichtigkeit die classische Kunstform zum Gefäß moderner Gefühle. Girolcuno
Vida, der sich in seinen religiösen Hhmnen zu hohem Fluge erhebt, besingt daneben
in der Ruhe seines Tuseulnms uach Art des Horaz die Freigebigkeit seiner hohen
Gönner und läßt in stürmisch bewegter Zeit Klänge der Friedenssehnsucht er¬
tönen. Unter den in heimischer Sprache dichtenden strebt Ariost, während Giro-
lamo Muzio, Bernardo Tasso und andre sich ziemlich fruchtlos in Nachahmungen
der antiken Lyriker abmühen, in seinen erotischen Elegien der Weise des Ovid
und Tibull mit entschiedenem Erfolge nach und erinnert in einzelnen Partien
an deren beste Leistungen. Freilich ist die Scala der Empfindungen in allen
diesen Gedichten, lateinischen wie italienischen, eine beschränkte, und wahrhaft große
Leidenschaften sucht man darin vergebens. Der Unterschied zwischen einer aus
dem eignen Sein und Fühlen hervorquellenden und einer mehr von außen her
inspirirter Dichtung macht sich eben auch hier geltend.

Nicht ohne Interesse für unsere Betrachtung sind die von dem Studium der
classischen Literatur angeregten Versuche, auch die poetischen Formen des Alter-
thums in der Muttersprache zu reproduciren, wobei man so weit ging, die Ge-



S, die in man'v Monographie „Andren Sansovino und sale Schule" S, 24 mit-
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[0428] Wie sehr dieses Genre in Uebung stand, kann der Wetteifer veranschaulichen, der unter den lateinischen Epigrammatisteu durch Andrea Sansovinos berühmte Marmorgruppe der Mutter Anna mit Maria und dem Christuskinde erregt wurde, die ein deutscher Protvuotar Namens Johann Goritz für die römische Kirche S, Agostino gestiftet hatte, Blossius Palladins gab unter dein Titel „Coryeicma" 1!i24 eine Sammlung dieser Gedichte heraus, auf Grund deren er in der iiber- schwäuglicheu Widmung dem gefeierten Mäcen die Unsterblichkeit prophezeien zu dürfen glaubte. Neben bombastischer, mit mythologischen Zierrat aufgebauschten Elaboraten enthält das Buch jedoch auch manche trefflichen Verse, in denen theils der fromme Sinn des Stifters gepriesen, theils das Werk des Künstlers mit einer Wärme erhoben wird, die rühmliches Zeugniß von der Begeistrnngsfühigkeit jeuer Zeit ablegt,*) Aber auch auf dem Gebiete der Elegie trieb die gelehrte Dichtung manche schöne Blüte und weiß mit den Vorbildern der römischen Literatur oft so glück¬ lich zu wetteifern, daß man fast den Eindrnck eines echt antiken Productes empfängt. Nächst Scmnazar, der auch hier am meisten hervorragt, versteht es namentlich Andrea Navagerv meisterhaft, im Geiste der lateinischen Elegiker, wie in seinen Versen an die Nacht oder in dem schönen Gedicht, mit dem er nach seiner Rück¬ kehr aus der Fremde den Heimntsboden begrüßt, edle Empfindungen künstlerisch zu gestalten, Francesco Maria Molza, Bembo und Sadvleto machten mit staunens- werther Leichtigkeit die classische Kunstform zum Gefäß moderner Gefühle. Girolcuno Vida, der sich in seinen religiösen Hhmnen zu hohem Fluge erhebt, besingt daneben in der Ruhe seines Tuseulnms uach Art des Horaz die Freigebigkeit seiner hohen Gönner und läßt in stürmisch bewegter Zeit Klänge der Friedenssehnsucht er¬ tönen. Unter den in heimischer Sprache dichtenden strebt Ariost, während Giro- lamo Muzio, Bernardo Tasso und andre sich ziemlich fruchtlos in Nachahmungen der antiken Lyriker abmühen, in seinen erotischen Elegien der Weise des Ovid und Tibull mit entschiedenem Erfolge nach und erinnert in einzelnen Partien an deren beste Leistungen. Freilich ist die Scala der Empfindungen in allen diesen Gedichten, lateinischen wie italienischen, eine beschränkte, und wahrhaft große Leidenschaften sucht man darin vergebens. Der Unterschied zwischen einer aus dem eignen Sein und Fühlen hervorquellenden und einer mehr von außen her inspirirter Dichtung macht sich eben auch hier geltend. Nicht ohne Interesse für unsere Betrachtung sind die von dem Studium der classischen Literatur angeregten Versuche, auch die poetischen Formen des Alter- thums in der Muttersprache zu reproduciren, wobei man so weit ging, die Ge- S, die in man'v Monographie „Andren Sansovino und sale Schule" S, 24 mit- gkthnli«! Pvvbm.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/428>, abgerufen am 29.12.2024.