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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^.

mit den liberalen Ideen in Europa/' Ueber Stein schreibt er, als die Rede
davon war, daß er wieder in das Ministerium eintreten werde (An Clausewitz,
Berlin, 23, Decbr, 1817): "Zu Herrn von Steins Wieder-Einführung in das
Ministerium ist nicht die geringste Wahrscheinlichkeit vorhanden. Die Ungleich¬
heit seines Charakters, sein Mangel an Menschenkenntniß, die Härte seiner Formen
und Ausdrücke, seine zum Theil üblen Wahlen haben die Besseren ebenso sehr
von ihm entfernt, als seine rechtschaffene Gesinnung die schlechteren abschreckte,"
Den Staatskanzler Fürsten Hardenberg nennt er (An Clausewitz, Berlin,
6. April 1817) "bei allen den verwegenen, der öffentlichen Meinung hohn¬
sprechenden Thaten seiner Verwaltung" dennoch einen einzigen Menschen, "mit
sehr edelmüthigen Bewegungen, der sich für Großes und Edles begeistern kann,
wie keiner unter allen Räthen des Königs." Wenig günstig wird Wilhelm v.
Humboldt beurtheilt. Gneisenau rühmt an ihm (An Grüner, Erdmannsdorf,
22. Octbr. 1817) Treue des Gedächtnisses in Aufbewahrung des Ganges der
Discussionen und scharfe Dialektik, aber er versagt ihm sein Vertrauen. "Niemand
liebt ihn, selbst nicht diejenigen, die an ihn sich halten;" er tadelt seinen Geiz,
und an Stein schreibt er, daß Humboldt Vertrauen, Achtung, Charakter und
Muth fehlten. Am wärmsten spricht er sich über den Kronprinzen Friedrich
Wilhelm aus. "Der Kronprinz trägt (An Gräfin Reden, Berlin, 9. April 1817)
eine herrliche Natur in sich, die höchste Genialität und die glänzendste Reinheit
ohne Flecke. Wir anderen Männer, wären wir nicht meist von Anbeginn so
verderbt, müßten uns schämen, vor ihm zu stehen. Wunderbare, bei weitem
noch nicht genug anerkannte Wirkung der Tugend auf die Verderbtheit, die nur
durch Spott einer solchen Ehrfurcht gegen jene sich erwehren kann, denn die
Weltleute lachen über diese Reinheit. Dieser junge Fürst, und zwar zehnfach
so als Kronprinz, ist eine seltene Erscheinung." Aehnlich schreibt er wenige
Wochen später (An Clausewitz, 6. Juli 1817): "Der Kronprinz ist reich aus¬
gestattet an Gemüth, Geist und Edelsinn, muthwillig und manchmal ausgelassen,
wie es bei seinem regen Blut nicht anders sein kann, doch immer herzlich und
gut und von einer Reinheit, wovon ich, aus einem verderbten Zeitalter her¬
stammend, das Räthsel noch nicht zu lösen vermag."

In neun Jahren war Gneisenau vom Hauptmann zum General der In¬
fanterie, von einem in den mäßigsten Vermögensverhältnissen lebenden Land¬
edelmann zum großen Grundbesitzer emporgestiegen. Er theilte jetzt das Jahr
zwischen dem Leben in der Residenz als der vornehmste Militär, mitarbeitend
an der Gesetzgebung, und dem Leben auf dem von der Natur prächtig geschmückten
Landsitze im Kreise einer geliebten Familie. Wer sollte das Glück seines Lebens¬
abends nicht preisen? Er selbst schreibt, da er seinen siebzigsten Geburtstag


Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^.

mit den liberalen Ideen in Europa/' Ueber Stein schreibt er, als die Rede
davon war, daß er wieder in das Ministerium eintreten werde (An Clausewitz,
Berlin, 23, Decbr, 1817): „Zu Herrn von Steins Wieder-Einführung in das
Ministerium ist nicht die geringste Wahrscheinlichkeit vorhanden. Die Ungleich¬
heit seines Charakters, sein Mangel an Menschenkenntniß, die Härte seiner Formen
und Ausdrücke, seine zum Theil üblen Wahlen haben die Besseren ebenso sehr
von ihm entfernt, als seine rechtschaffene Gesinnung die schlechteren abschreckte,"
Den Staatskanzler Fürsten Hardenberg nennt er (An Clausewitz, Berlin,
6. April 1817) „bei allen den verwegenen, der öffentlichen Meinung hohn¬
sprechenden Thaten seiner Verwaltung" dennoch einen einzigen Menschen, „mit
sehr edelmüthigen Bewegungen, der sich für Großes und Edles begeistern kann,
wie keiner unter allen Räthen des Königs." Wenig günstig wird Wilhelm v.
Humboldt beurtheilt. Gneisenau rühmt an ihm (An Grüner, Erdmannsdorf,
22. Octbr. 1817) Treue des Gedächtnisses in Aufbewahrung des Ganges der
Discussionen und scharfe Dialektik, aber er versagt ihm sein Vertrauen. „Niemand
liebt ihn, selbst nicht diejenigen, die an ihn sich halten;" er tadelt seinen Geiz,
und an Stein schreibt er, daß Humboldt Vertrauen, Achtung, Charakter und
Muth fehlten. Am wärmsten spricht er sich über den Kronprinzen Friedrich
Wilhelm aus. „Der Kronprinz trägt (An Gräfin Reden, Berlin, 9. April 1817)
eine herrliche Natur in sich, die höchste Genialität und die glänzendste Reinheit
ohne Flecke. Wir anderen Männer, wären wir nicht meist von Anbeginn so
verderbt, müßten uns schämen, vor ihm zu stehen. Wunderbare, bei weitem
noch nicht genug anerkannte Wirkung der Tugend auf die Verderbtheit, die nur
durch Spott einer solchen Ehrfurcht gegen jene sich erwehren kann, denn die
Weltleute lachen über diese Reinheit. Dieser junge Fürst, und zwar zehnfach
so als Kronprinz, ist eine seltene Erscheinung." Aehnlich schreibt er wenige
Wochen später (An Clausewitz, 6. Juli 1817): „Der Kronprinz ist reich aus¬
gestattet an Gemüth, Geist und Edelsinn, muthwillig und manchmal ausgelassen,
wie es bei seinem regen Blut nicht anders sein kann, doch immer herzlich und
gut und von einer Reinheit, wovon ich, aus einem verderbten Zeitalter her¬
stammend, das Räthsel noch nicht zu lösen vermag."

In neun Jahren war Gneisenau vom Hauptmann zum General der In¬
fanterie, von einem in den mäßigsten Vermögensverhältnissen lebenden Land¬
edelmann zum großen Grundbesitzer emporgestiegen. Er theilte jetzt das Jahr
zwischen dem Leben in der Residenz als der vornehmste Militär, mitarbeitend
an der Gesetzgebung, und dem Leben auf dem von der Natur prächtig geschmückten
Landsitze im Kreise einer geliebten Familie. Wer sollte das Glück seines Lebens¬
abends nicht preisen? Er selbst schreibt, da er seinen siebzigsten Geburtstag


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[0404] Gneisenau in den Jahren ^3^5 bis ^331^. mit den liberalen Ideen in Europa/' Ueber Stein schreibt er, als die Rede davon war, daß er wieder in das Ministerium eintreten werde (An Clausewitz, Berlin, 23, Decbr, 1817): „Zu Herrn von Steins Wieder-Einführung in das Ministerium ist nicht die geringste Wahrscheinlichkeit vorhanden. Die Ungleich¬ heit seines Charakters, sein Mangel an Menschenkenntniß, die Härte seiner Formen und Ausdrücke, seine zum Theil üblen Wahlen haben die Besseren ebenso sehr von ihm entfernt, als seine rechtschaffene Gesinnung die schlechteren abschreckte," Den Staatskanzler Fürsten Hardenberg nennt er (An Clausewitz, Berlin, 6. April 1817) „bei allen den verwegenen, der öffentlichen Meinung hohn¬ sprechenden Thaten seiner Verwaltung" dennoch einen einzigen Menschen, „mit sehr edelmüthigen Bewegungen, der sich für Großes und Edles begeistern kann, wie keiner unter allen Räthen des Königs." Wenig günstig wird Wilhelm v. Humboldt beurtheilt. Gneisenau rühmt an ihm (An Grüner, Erdmannsdorf, 22. Octbr. 1817) Treue des Gedächtnisses in Aufbewahrung des Ganges der Discussionen und scharfe Dialektik, aber er versagt ihm sein Vertrauen. „Niemand liebt ihn, selbst nicht diejenigen, die an ihn sich halten;" er tadelt seinen Geiz, und an Stein schreibt er, daß Humboldt Vertrauen, Achtung, Charakter und Muth fehlten. Am wärmsten spricht er sich über den Kronprinzen Friedrich Wilhelm aus. „Der Kronprinz trägt (An Gräfin Reden, Berlin, 9. April 1817) eine herrliche Natur in sich, die höchste Genialität und die glänzendste Reinheit ohne Flecke. Wir anderen Männer, wären wir nicht meist von Anbeginn so verderbt, müßten uns schämen, vor ihm zu stehen. Wunderbare, bei weitem noch nicht genug anerkannte Wirkung der Tugend auf die Verderbtheit, die nur durch Spott einer solchen Ehrfurcht gegen jene sich erwehren kann, denn die Weltleute lachen über diese Reinheit. Dieser junge Fürst, und zwar zehnfach so als Kronprinz, ist eine seltene Erscheinung." Aehnlich schreibt er wenige Wochen später (An Clausewitz, 6. Juli 1817): „Der Kronprinz ist reich aus¬ gestattet an Gemüth, Geist und Edelsinn, muthwillig und manchmal ausgelassen, wie es bei seinem regen Blut nicht anders sein kann, doch immer herzlich und gut und von einer Reinheit, wovon ich, aus einem verderbten Zeitalter her¬ stammend, das Räthsel noch nicht zu lösen vermag." In neun Jahren war Gneisenau vom Hauptmann zum General der In¬ fanterie, von einem in den mäßigsten Vermögensverhältnissen lebenden Land¬ edelmann zum großen Grundbesitzer emporgestiegen. Er theilte jetzt das Jahr zwischen dem Leben in der Residenz als der vornehmste Militär, mitarbeitend an der Gesetzgebung, und dem Leben auf dem von der Natur prächtig geschmückten Landsitze im Kreise einer geliebten Familie. Wer sollte das Glück seines Lebens¬ abends nicht preisen? Er selbst schreibt, da er seinen siebzigsten Geburtstag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/404>, abgerufen am 29.12.2024.