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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Zur logischen Frage.

theder der Universität. Die Philosophie schlägt ihrer Natur nach immer die
Brücke vom Boden der Wissenschaft zu dem des weitern allgemeinen und ge¬
bildeten öffentlichen Denkens. Die Lehren der Philosophie sind einem Theile
nach auch Ausdrucksformen der verschiednen Phasen oder Entwicklungsstufen
des öffentlichen Geistes und Bewußtseins im Leben der Nation überhaupt. Der
Maßstab der allgemeinen Bildung oder des an sich selbst klaren und verständ¬
lichen Denkens muß jetzt mit Nothwendigkeit auch an die Philosophie angelegt
werden. Es handelt sich aber hierbei auch "och um mehr als um eine bloße
geistreiche Gedankenentwicklung und um die Befriedigung eines unklaren und
unverstandnen Bedürfnisses nach irgend einer allgemeinen metaphysischen Welt¬
anschauung, Auch die Lehren der neuern Popularphilvsophie eines Schopenhauer
und Hartmann sind zuletzt nichts als Einbildungen nud Schrullen. Der unter-
brochue Faden des Zusammenhangs mit der idealistisch-wissenschaftlichen Ent¬
wicklung der neuern Philosophie von Kant an muß wieder aufgenommen werden,
um zu einem gesunden und befriedigenden Abschlüsse desselben hinzuführen. Das
Ideal oder Ziel einer Wissenschaft, die wesentlich und zunächst im Gedanken
begründet ist, bleibt bestehen, wenn anch die Versuche der Erreichung desselben
in den Lehren von Fichte, Schellina. und Hegel unzureichende oder verfehlte
gewesen sein mögen. Ans dem kritischen Anschluß an das Vergangne aber kann
allein die weitere Aufgabe und Wahrheit für uns selbst oder die Zukunft auf¬
gefunden werden. Der geistige Einheitsgedanke alles Wissens aber hat in den
Lehren von Fichte, Schelling und Hegel eine dreifache Stufe seiner Entwicklung
zu durchlaufen gehabt. Fichte stellte das Postulat eiuer selbstthätigen Erzeugung
oder Projection des ganzen Inhalts der Welt oder des Wissens aus dem ersten
leeren oder voraussetzungslosen Punkte des Bewußtseins oder Ich der Vernunft.
Schelling sah in dem Gegensatze des Menschen und der Natur oder des sub-
jectiven und des objectiven Geistes eine sich in sich selbst reflectirende Dirimirung
der höhern Einheit des metaphysisch Absoluten, und die Welt verwandelte sich
ihm in ein System organisch aus eiuer höchsten Einheit herkommender Abthei¬
lungen und Unterschiede. Für Hegel endlich war alles ein einheitliches großes
geistiges Werden oder gleichsam eine organisch nothwendige geordnete Entfaltung
des ansichseienden objectiven Begriffes. Alles dieses waren Formeln und Nicht-
Punkte für die geistige Auffassung und Erkenntniß alles Wirklichen als einer
Einheit. Für Hegel war alles eine große zusammenhängende Reihe oder Stufen¬
folge von Erscheinungen, und sein Bestreben war überall darauf gerichtet, jede
einzelne Erscheinung an die ihr gebührende Stelle in diesem Processe einzuordnen.
Es wurde hierdurch namentlich die ganze Geschichte als ein solcher einheitlicher
Proceß der Entfaltung von ihm aufzufassen versucht. Der Verfasser dieses Auf-


Zur logischen Frage.

theder der Universität. Die Philosophie schlägt ihrer Natur nach immer die
Brücke vom Boden der Wissenschaft zu dem des weitern allgemeinen und ge¬
bildeten öffentlichen Denkens. Die Lehren der Philosophie sind einem Theile
nach auch Ausdrucksformen der verschiednen Phasen oder Entwicklungsstufen
des öffentlichen Geistes und Bewußtseins im Leben der Nation überhaupt. Der
Maßstab der allgemeinen Bildung oder des an sich selbst klaren und verständ¬
lichen Denkens muß jetzt mit Nothwendigkeit auch an die Philosophie angelegt
werden. Es handelt sich aber hierbei auch »och um mehr als um eine bloße
geistreiche Gedankenentwicklung und um die Befriedigung eines unklaren und
unverstandnen Bedürfnisses nach irgend einer allgemeinen metaphysischen Welt¬
anschauung, Auch die Lehren der neuern Popularphilvsophie eines Schopenhauer
und Hartmann sind zuletzt nichts als Einbildungen nud Schrullen. Der unter-
brochue Faden des Zusammenhangs mit der idealistisch-wissenschaftlichen Ent¬
wicklung der neuern Philosophie von Kant an muß wieder aufgenommen werden,
um zu einem gesunden und befriedigenden Abschlüsse desselben hinzuführen. Das
Ideal oder Ziel einer Wissenschaft, die wesentlich und zunächst im Gedanken
begründet ist, bleibt bestehen, wenn anch die Versuche der Erreichung desselben
in den Lehren von Fichte, Schellina. und Hegel unzureichende oder verfehlte
gewesen sein mögen. Ans dem kritischen Anschluß an das Vergangne aber kann
allein die weitere Aufgabe und Wahrheit für uns selbst oder die Zukunft auf¬
gefunden werden. Der geistige Einheitsgedanke alles Wissens aber hat in den
Lehren von Fichte, Schelling und Hegel eine dreifache Stufe seiner Entwicklung
zu durchlaufen gehabt. Fichte stellte das Postulat eiuer selbstthätigen Erzeugung
oder Projection des ganzen Inhalts der Welt oder des Wissens aus dem ersten
leeren oder voraussetzungslosen Punkte des Bewußtseins oder Ich der Vernunft.
Schelling sah in dem Gegensatze des Menschen und der Natur oder des sub-
jectiven und des objectiven Geistes eine sich in sich selbst reflectirende Dirimirung
der höhern Einheit des metaphysisch Absoluten, und die Welt verwandelte sich
ihm in ein System organisch aus eiuer höchsten Einheit herkommender Abthei¬
lungen und Unterschiede. Für Hegel endlich war alles ein einheitliches großes
geistiges Werden oder gleichsam eine organisch nothwendige geordnete Entfaltung
des ansichseienden objectiven Begriffes. Alles dieses waren Formeln und Nicht-
Punkte für die geistige Auffassung und Erkenntniß alles Wirklichen als einer
Einheit. Für Hegel war alles eine große zusammenhängende Reihe oder Stufen¬
folge von Erscheinungen, und sein Bestreben war überall darauf gerichtet, jede
einzelne Erscheinung an die ihr gebührende Stelle in diesem Processe einzuordnen.
Es wurde hierdurch namentlich die ganze Geschichte als ein solcher einheitlicher
Proceß der Entfaltung von ihm aufzufassen versucht. Der Verfasser dieses Auf-


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[0391] Zur logischen Frage. theder der Universität. Die Philosophie schlägt ihrer Natur nach immer die Brücke vom Boden der Wissenschaft zu dem des weitern allgemeinen und ge¬ bildeten öffentlichen Denkens. Die Lehren der Philosophie sind einem Theile nach auch Ausdrucksformen der verschiednen Phasen oder Entwicklungsstufen des öffentlichen Geistes und Bewußtseins im Leben der Nation überhaupt. Der Maßstab der allgemeinen Bildung oder des an sich selbst klaren und verständ¬ lichen Denkens muß jetzt mit Nothwendigkeit auch an die Philosophie angelegt werden. Es handelt sich aber hierbei auch »och um mehr als um eine bloße geistreiche Gedankenentwicklung und um die Befriedigung eines unklaren und unverstandnen Bedürfnisses nach irgend einer allgemeinen metaphysischen Welt¬ anschauung, Auch die Lehren der neuern Popularphilvsophie eines Schopenhauer und Hartmann sind zuletzt nichts als Einbildungen nud Schrullen. Der unter- brochue Faden des Zusammenhangs mit der idealistisch-wissenschaftlichen Ent¬ wicklung der neuern Philosophie von Kant an muß wieder aufgenommen werden, um zu einem gesunden und befriedigenden Abschlüsse desselben hinzuführen. Das Ideal oder Ziel einer Wissenschaft, die wesentlich und zunächst im Gedanken begründet ist, bleibt bestehen, wenn anch die Versuche der Erreichung desselben in den Lehren von Fichte, Schellina. und Hegel unzureichende oder verfehlte gewesen sein mögen. Ans dem kritischen Anschluß an das Vergangne aber kann allein die weitere Aufgabe und Wahrheit für uns selbst oder die Zukunft auf¬ gefunden werden. Der geistige Einheitsgedanke alles Wissens aber hat in den Lehren von Fichte, Schelling und Hegel eine dreifache Stufe seiner Entwicklung zu durchlaufen gehabt. Fichte stellte das Postulat eiuer selbstthätigen Erzeugung oder Projection des ganzen Inhalts der Welt oder des Wissens aus dem ersten leeren oder voraussetzungslosen Punkte des Bewußtseins oder Ich der Vernunft. Schelling sah in dem Gegensatze des Menschen und der Natur oder des sub- jectiven und des objectiven Geistes eine sich in sich selbst reflectirende Dirimirung der höhern Einheit des metaphysisch Absoluten, und die Welt verwandelte sich ihm in ein System organisch aus eiuer höchsten Einheit herkommender Abthei¬ lungen und Unterschiede. Für Hegel endlich war alles ein einheitliches großes geistiges Werden oder gleichsam eine organisch nothwendige geordnete Entfaltung des ansichseienden objectiven Begriffes. Alles dieses waren Formeln und Nicht- Punkte für die geistige Auffassung und Erkenntniß alles Wirklichen als einer Einheit. Für Hegel war alles eine große zusammenhängende Reihe oder Stufen¬ folge von Erscheinungen, und sein Bestreben war überall darauf gerichtet, jede einzelne Erscheinung an die ihr gebührende Stelle in diesem Processe einzuordnen. Es wurde hierdurch namentlich die ganze Geschichte als ein solcher einheitlicher Proceß der Entfaltung von ihm aufzufassen versucht. Der Verfasser dieses Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/391>, abgerufen am 29.12.2024.