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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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damit die Bedeutung des Eiuzelstaates und der Einzclregienmg für das Ganze
zu heben. Nicht im Abschluß, sondern im Anschluß an die Reichsiustitntioucn
liegt die Aussicht auf das Gedeihen und den Bestand der Eigenart und Eigen¬
macht der Einzelstaaten, in der organischen Verbindung mit der Reichsverwal¬
tung und in der Vetheiliguug, der einflußreichen Betheiligung an derselben, die
sie als unkündbare, untrennbare und allmählich sich aufwachsende Verbindung
bereitwillig anzuerkennen haben, Sie dürfen also nicht in den volkswirthschaftlich
wichtigsten Motiven die selbstthätige Mitwirkung des Reiches ausschließen wollen
aus gekränkter Eigenliebe, aber sie sollen sich dabei ihre eigne berechtigte Mit¬
wirkung nach allen Seiten sichern, sie sollen, mit einem Worte, nicht darnach
trachten, überall ihre Einzel-Souveränität zu wahren, souderu ihre Einzel-
Potentialität zu heben.

Die Betheiligung des Reiches an allen wichtigen Lebensinteressen des Volkes,
die allmähliche Erweiterung der Reichsverfassung und Reichsverwaltung zerstört
keineswegs die Berechtigung der Einzelstaaten, Indem das Reich allmählich
bei den Einzelstämmen ein einheitliches deutsches Volk herausbildet, indem es
der gemeinsamen Sprache und Wissenschaft zunächst die gemeinsame Diplomatie,
Armee und Jnstizgesetzgebung und allmählich die gemeinsame deutsche Industrie
und Kunst, die deutsche Schule und Kirche, die nationale Arbeit und Sitte hinzu-
gesellt, indem es mit der literarischen die politische und nationalökonomische und
ethische Gemeinsamkeit verbindet und aus dem deutschen Reiche eine deutsche
Nation macht, wird es wohl alle separatistischen Sonderungsgelüste definitiv
zerstören, aber dabei das specifische Sachsenthnm so wenig vernichten wie das
specifische Preußenthum, Der Sachse braucht darum nicht aufzuhören Sachse
zu sein, wenn er rechter und ganzer Deutscher wird, er kann alle seine berechtigten
provinziellen und laudsmaunschaftlichen Eigenthümlichkeiten bewahren, ebensogut
wie der Bergbewohner im Erzgebirge in seinen Lebensgewohnheiten und Landes-
sitten sich nicht dem Strandbewohner an der Ostsee zu aecomodiren braucht und
umgekehrt, wenn beide sich zu einem Volke vereinen. Was sie beide aufgeben
müssen, ist lediglich die territoriale Exclusivitüt; die particuläre Selbstgefälligkeit
und Eifersucht muß einer solidarischen Reciprocität und wetteifernden Rivalität
Platz machen. Mit der Erweiterung der Competenzen des Reiches wächst pro¬
portional anch der Kreis des berechtigten Einflusses des Einzelstaates auf deu
Gesammtstaat, rin der Ausdehnung der Centralmacht wächst auch der Bereich
der Wirksamkeit der Partienlarmächte, es wächst die Möglichkeit sür diese, das
ganze Reich heranzuziehen und auszunutzen für hervorragend sächsische Interessen.
Wie für deu einzelnen Bürger des Particularstaates die Aussicht sich erweitert,
im Reichsdienst seine Fähigkeiten und Kräfte im Gebiete des gesammten deutschen


damit die Bedeutung des Eiuzelstaates und der Einzclregienmg für das Ganze
zu heben. Nicht im Abschluß, sondern im Anschluß an die Reichsiustitntioucn
liegt die Aussicht auf das Gedeihen und den Bestand der Eigenart und Eigen¬
macht der Einzelstaaten, in der organischen Verbindung mit der Reichsverwal¬
tung und in der Vetheiliguug, der einflußreichen Betheiligung an derselben, die
sie als unkündbare, untrennbare und allmählich sich aufwachsende Verbindung
bereitwillig anzuerkennen haben, Sie dürfen also nicht in den volkswirthschaftlich
wichtigsten Motiven die selbstthätige Mitwirkung des Reiches ausschließen wollen
aus gekränkter Eigenliebe, aber sie sollen sich dabei ihre eigne berechtigte Mit¬
wirkung nach allen Seiten sichern, sie sollen, mit einem Worte, nicht darnach
trachten, überall ihre Einzel-Souveränität zu wahren, souderu ihre Einzel-
Potentialität zu heben.

Die Betheiligung des Reiches an allen wichtigen Lebensinteressen des Volkes,
die allmähliche Erweiterung der Reichsverfassung und Reichsverwaltung zerstört
keineswegs die Berechtigung der Einzelstaaten, Indem das Reich allmählich
bei den Einzelstämmen ein einheitliches deutsches Volk herausbildet, indem es
der gemeinsamen Sprache und Wissenschaft zunächst die gemeinsame Diplomatie,
Armee und Jnstizgesetzgebung und allmählich die gemeinsame deutsche Industrie
und Kunst, die deutsche Schule und Kirche, die nationale Arbeit und Sitte hinzu-
gesellt, indem es mit der literarischen die politische und nationalökonomische und
ethische Gemeinsamkeit verbindet und aus dem deutschen Reiche eine deutsche
Nation macht, wird es wohl alle separatistischen Sonderungsgelüste definitiv
zerstören, aber dabei das specifische Sachsenthnm so wenig vernichten wie das
specifische Preußenthum, Der Sachse braucht darum nicht aufzuhören Sachse
zu sein, wenn er rechter und ganzer Deutscher wird, er kann alle seine berechtigten
provinziellen und laudsmaunschaftlichen Eigenthümlichkeiten bewahren, ebensogut
wie der Bergbewohner im Erzgebirge in seinen Lebensgewohnheiten und Landes-
sitten sich nicht dem Strandbewohner an der Ostsee zu aecomodiren braucht und
umgekehrt, wenn beide sich zu einem Volke vereinen. Was sie beide aufgeben
müssen, ist lediglich die territoriale Exclusivitüt; die particuläre Selbstgefälligkeit
und Eifersucht muß einer solidarischen Reciprocität und wetteifernden Rivalität
Platz machen. Mit der Erweiterung der Competenzen des Reiches wächst pro¬
portional anch der Kreis des berechtigten Einflusses des Einzelstaates auf deu
Gesammtstaat, rin der Ausdehnung der Centralmacht wächst auch der Bereich
der Wirksamkeit der Partienlarmächte, es wächst die Möglichkeit sür diese, das
ganze Reich heranzuziehen und auszunutzen für hervorragend sächsische Interessen.
Wie für deu einzelnen Bürger des Particularstaates die Aussicht sich erweitert,
im Reichsdienst seine Fähigkeiten und Kräfte im Gebiete des gesammten deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/368>, abgerufen am 29.12.2024.