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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Lossingstudien,

in Ungnade steht, hat er nach dieser Seite hin einen Gesinnungsgenossen ge¬
funden, ihn verehrt er als das "Muster aller männlichen Tüchtigkeit" mit dem
ganzen Feuer seines Idealismus, während seine Liebe zu Emilia sich nirgends
in einer lebhaften Aufwallung des Gefühls verräth. Kann er sich doch selbst
an seinem Hochzeitsmorgen einer düstern Schwermuth nicht erwehren, die nur
da für einige Augenblicke einer gehobeneren Stimmung weicht, als er feine Emilia
in begeisterten Worten an ihren edeln Vater erinnert. Daß auch diese ihm
daher nur ungezwungene Liebenswürdigkeit, nicht aber ein tieferes Gefühl ent¬
gegenbringt, kann bei dieser Motivirung durch die Anlage seines Charakters nicht
befremden. Freudig wird sie erregt, als sie Appianis Schritt vernimmt, sie
eilt ihm, als er erscheint, entgegen und sucht durch Scherz und Fröhlichkeit seine
tiefsinnige Schwermuth zu vertreiben. Das ist aber auch alles. An Stelle
eines leidenschaftlichen Aufslammens ihrer Zärtlichkeit an ihrem Hochzeitsmorgen
finden wir nur einen leisen Zug schalkhafter Koketterie.

Diese Auffassung der beiden Charaktere und ihres Verhältnisses zu ein¬
ander wird noch mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir dem reflec-
tirenden Dichter auch uoch an einigen andern Stellen des Stückes nachgehen.
Ich meine verschiedene Aeußerungen Emilias im Laufe des Stückes, die der
Dichter seiner Heldin als unbewußte in den Mund gelegt hat. Als Emilia den
vermeintlichen Räubern entflohen nach Dvsalo geflüchtet ist, da ist ihre erste Frage,
die sie in peinlicher Ungewißheit über das Schicksal ihrer Lieben an Battista, ihren
vermeintlichen Retter, richtet, nicht nach Appiani, sondern nach ihrer Mutter.
"Wo bleibt meine Mutter?" ruft sie aus, und denn erst: "Wo blieb der Graf?"
Seine Gefahr vergißt sie ganz über der Furcht, die sie für die Mutter empfindet.
So sagt sie zu Marinelli: "Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehn.
Meine Mutter ist noch in Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie
ist vielleicht todt; -- und ich lebe? -- Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß
wieder hin, --- wo ich gleich Hütte bleiben sollen." Und so auch nachher in
der Scene mit dem Prinzen. Dieser will Emilien beruhigen und beginnt: "Der
Graf, Ihre Mutter" --. Emilia unterbricht ihn: "Ah, gnädigster Herr, wo
sind sie? Wo ist meine Mutter?" Sicherlich hat der Dichter eine Absicht damit
verbunden, wenn er seine Heldin so beharrlich immer oder doch wenigstens in
erster Linie die Gefahren, welche ihrer Mutter drohen, ins Auge fassen läßt.
Er will zeigen, daß hier die Mutter der Tochter näher steht als der Verlobte
-- sast schon Gemahl zu nennen -- der Braut.

Es ist wahr, das Bestreben, aus solchen einzelnen abgerissenen Aeußerungen
eine Meinung über eine Dichtung zu beweise", führt leicht auf schlüpfrigen Boden.
Stets ist die Gefahr vorhanden, dem Dichter Gedanken und Absichten unter-


Lossingstudien,

in Ungnade steht, hat er nach dieser Seite hin einen Gesinnungsgenossen ge¬
funden, ihn verehrt er als das „Muster aller männlichen Tüchtigkeit" mit dem
ganzen Feuer seines Idealismus, während seine Liebe zu Emilia sich nirgends
in einer lebhaften Aufwallung des Gefühls verräth. Kann er sich doch selbst
an seinem Hochzeitsmorgen einer düstern Schwermuth nicht erwehren, die nur
da für einige Augenblicke einer gehobeneren Stimmung weicht, als er feine Emilia
in begeisterten Worten an ihren edeln Vater erinnert. Daß auch diese ihm
daher nur ungezwungene Liebenswürdigkeit, nicht aber ein tieferes Gefühl ent¬
gegenbringt, kann bei dieser Motivirung durch die Anlage seines Charakters nicht
befremden. Freudig wird sie erregt, als sie Appianis Schritt vernimmt, sie
eilt ihm, als er erscheint, entgegen und sucht durch Scherz und Fröhlichkeit seine
tiefsinnige Schwermuth zu vertreiben. Das ist aber auch alles. An Stelle
eines leidenschaftlichen Aufslammens ihrer Zärtlichkeit an ihrem Hochzeitsmorgen
finden wir nur einen leisen Zug schalkhafter Koketterie.

Diese Auffassung der beiden Charaktere und ihres Verhältnisses zu ein¬
ander wird noch mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir dem reflec-
tirenden Dichter auch uoch an einigen andern Stellen des Stückes nachgehen.
Ich meine verschiedene Aeußerungen Emilias im Laufe des Stückes, die der
Dichter seiner Heldin als unbewußte in den Mund gelegt hat. Als Emilia den
vermeintlichen Räubern entflohen nach Dvsalo geflüchtet ist, da ist ihre erste Frage,
die sie in peinlicher Ungewißheit über das Schicksal ihrer Lieben an Battista, ihren
vermeintlichen Retter, richtet, nicht nach Appiani, sondern nach ihrer Mutter.
„Wo bleibt meine Mutter?" ruft sie aus, und denn erst: „Wo blieb der Graf?"
Seine Gefahr vergißt sie ganz über der Furcht, die sie für die Mutter empfindet.
So sagt sie zu Marinelli: „Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehn.
Meine Mutter ist noch in Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie
ist vielleicht todt; — und ich lebe? — Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß
wieder hin, —- wo ich gleich Hütte bleiben sollen." Und so auch nachher in
der Scene mit dem Prinzen. Dieser will Emilien beruhigen und beginnt: „Der
Graf, Ihre Mutter" —. Emilia unterbricht ihn: „Ah, gnädigster Herr, wo
sind sie? Wo ist meine Mutter?" Sicherlich hat der Dichter eine Absicht damit
verbunden, wenn er seine Heldin so beharrlich immer oder doch wenigstens in
erster Linie die Gefahren, welche ihrer Mutter drohen, ins Auge fassen läßt.
Er will zeigen, daß hier die Mutter der Tochter näher steht als der Verlobte
— sast schon Gemahl zu nennen — der Braut.

Es ist wahr, das Bestreben, aus solchen einzelnen abgerissenen Aeußerungen
eine Meinung über eine Dichtung zu beweise», führt leicht auf schlüpfrigen Boden.
Stets ist die Gefahr vorhanden, dem Dichter Gedanken und Absichten unter-


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[0308] Lossingstudien, in Ungnade steht, hat er nach dieser Seite hin einen Gesinnungsgenossen ge¬ funden, ihn verehrt er als das „Muster aller männlichen Tüchtigkeit" mit dem ganzen Feuer seines Idealismus, während seine Liebe zu Emilia sich nirgends in einer lebhaften Aufwallung des Gefühls verräth. Kann er sich doch selbst an seinem Hochzeitsmorgen einer düstern Schwermuth nicht erwehren, die nur da für einige Augenblicke einer gehobeneren Stimmung weicht, als er feine Emilia in begeisterten Worten an ihren edeln Vater erinnert. Daß auch diese ihm daher nur ungezwungene Liebenswürdigkeit, nicht aber ein tieferes Gefühl ent¬ gegenbringt, kann bei dieser Motivirung durch die Anlage seines Charakters nicht befremden. Freudig wird sie erregt, als sie Appianis Schritt vernimmt, sie eilt ihm, als er erscheint, entgegen und sucht durch Scherz und Fröhlichkeit seine tiefsinnige Schwermuth zu vertreiben. Das ist aber auch alles. An Stelle eines leidenschaftlichen Aufslammens ihrer Zärtlichkeit an ihrem Hochzeitsmorgen finden wir nur einen leisen Zug schalkhafter Koketterie. Diese Auffassung der beiden Charaktere und ihres Verhältnisses zu ein¬ ander wird noch mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir dem reflec- tirenden Dichter auch uoch an einigen andern Stellen des Stückes nachgehen. Ich meine verschiedene Aeußerungen Emilias im Laufe des Stückes, die der Dichter seiner Heldin als unbewußte in den Mund gelegt hat. Als Emilia den vermeintlichen Räubern entflohen nach Dvsalo geflüchtet ist, da ist ihre erste Frage, die sie in peinlicher Ungewißheit über das Schicksal ihrer Lieben an Battista, ihren vermeintlichen Retter, richtet, nicht nach Appiani, sondern nach ihrer Mutter. „Wo bleibt meine Mutter?" ruft sie aus, und denn erst: „Wo blieb der Graf?" Seine Gefahr vergißt sie ganz über der Furcht, die sie für die Mutter empfindet. So sagt sie zu Marinelli: „Aber ich erschrecke, mich allein gerettet zu sehn. Meine Mutter ist noch in Gefahr. Hinter uns ward sogar geschossen. Sie ist vielleicht todt; — und ich lebe? — Verzeihen Sie. Ich muß fort; ich muß wieder hin, —- wo ich gleich Hütte bleiben sollen." Und so auch nachher in der Scene mit dem Prinzen. Dieser will Emilien beruhigen und beginnt: „Der Graf, Ihre Mutter" —. Emilia unterbricht ihn: „Ah, gnädigster Herr, wo sind sie? Wo ist meine Mutter?" Sicherlich hat der Dichter eine Absicht damit verbunden, wenn er seine Heldin so beharrlich immer oder doch wenigstens in erster Linie die Gefahren, welche ihrer Mutter drohen, ins Auge fassen läßt. Er will zeigen, daß hier die Mutter der Tochter näher steht als der Verlobte — sast schon Gemahl zu nennen — der Braut. Es ist wahr, das Bestreben, aus solchen einzelnen abgerissenen Aeußerungen eine Meinung über eine Dichtung zu beweise», führt leicht auf schlüpfrigen Boden. Stets ist die Gefahr vorhanden, dem Dichter Gedanken und Absichten unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/308>, abgerufen am 29.12.2024.