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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

günstig ist -- alles wirkt zusammen, poetische und künstlerische Talente an
Dresden zu fesseln. Auf der andern Seite tritt die gänzliche und fast komisch
hilflose Isolierung, in welche sich beinahe jede mächtige, kraftvolle und ener¬
gische Bestrebung durch locale Zustünde und Traditionen gesetzt sieht, das Ueber¬
gewicht, welches unter diesen besondern Verhältnissen der Dilettantismus er¬
langt, die immer wiederkehrende Bevorzugung alles dessen, was mittelmäßig,
nichtig und hausbacken trivial ist, denen, die sich der obenbezeichneten Vorzüge
von Elbflorenz erfreuen, störend ins Bewußtsein. Schiller und Friedrich von
Kleist bei vorübergehendem Aufenthalte, später Carl Maria von Weber und
Ludwig Tieck hatten diesen Wiederspruch zu erfahren, der tief in den localen
Bedingungen begründet ist und vielleicht nie ganz beseitigt werden wird. Sicher
aber fiel der bedeutendste Anlauf, welcher jemals zu seiner Beseitigung genom¬
men wurde, in die Zeit, in der Mosen sich als Sachwalter in Dresden nieder¬
ließ und neben seinem juristischen Berufe aufs eifrigste der Pflege seines er¬
starkten Talents lebte. Wir brauchen nur daran zu erinnern, daß um 1835
die literarisch-gesellschaftliche Wirksamkeit und selbst die productive Thätigkeit
Tiecks noch nicht beendet war, daß auf den verschiedensten Gebieten Männer
wie Semper, Ernst Rietschel, Bendemann, Ludwig Richter, Hähnel in eigner
schöpferischer Arbeit wie in officiellen Stellungen den kläglich darniederlie¬
genden, recht eigentlich armseligen Kunstgeist von Dresden zu heben begannen,
daß sich in den ersten vierziger Jahren Julius Schmorr von Carolsfeld, Richard
Wagner hinzugesellten, daß sich nach einander, leider nur vorübergehend, Robert
Schumann, Ferdinand Hiller, Ernst von Brünnow, der prächtige Liederdichter
R. Reinick in Dresden niederließen, denen später Gutzkow, Berthold Auerbach,
Gustav Freytag u. A. folgten, daß das Dresdner Theater damals eine seltene
Vereinigung von Talenten darbot, endlich, daß Männer der Wissenschaft, wie
K. Snell, Köchly, Hermann Brockhaus, sich der älteren Gruppe von Ge¬
lehrten wie Langem, Carus, ergänzend zur Seite stellten, um die That¬
sache zu beleuchten, daß eben damals Dresden einer der Hauptmittelpunkte
deutschen Kunst- und Geisteslebens zu werden versprach. Wir brauchen
hier weder zu erörtern, wie viel von der ausgestreuten Saat jener Jahre
aufgegangen ist, noch warum gewisse Ernten auf dem Halm und andre
im Keime verdarben. Julius Mosen hat den ersten, vollsten, frischesten und
hoffnungsreichsten Aufschwung der Bewegung mit erlebt und an seinem Theile
mit herbeigeführt. War er doch das einzige, speciell Sachsen angehörige poeti¬
sche Talent, welches sich nach Anlage, Charakter und Kunststreben von jenen
Abendzeituugspoeten unterschied, die in wohlmeinend harmloser Unterhaltungs¬
lust und mit gelegentlichen Anwandlungen von rührseliger Gemüthlichkeit oder
didaktischen Pathos eine kaum übersehbare Zahl von matten lyrischen Gedichten,


Julius Mosen.

günstig ist — alles wirkt zusammen, poetische und künstlerische Talente an
Dresden zu fesseln. Auf der andern Seite tritt die gänzliche und fast komisch
hilflose Isolierung, in welche sich beinahe jede mächtige, kraftvolle und ener¬
gische Bestrebung durch locale Zustünde und Traditionen gesetzt sieht, das Ueber¬
gewicht, welches unter diesen besondern Verhältnissen der Dilettantismus er¬
langt, die immer wiederkehrende Bevorzugung alles dessen, was mittelmäßig,
nichtig und hausbacken trivial ist, denen, die sich der obenbezeichneten Vorzüge
von Elbflorenz erfreuen, störend ins Bewußtsein. Schiller und Friedrich von
Kleist bei vorübergehendem Aufenthalte, später Carl Maria von Weber und
Ludwig Tieck hatten diesen Wiederspruch zu erfahren, der tief in den localen
Bedingungen begründet ist und vielleicht nie ganz beseitigt werden wird. Sicher
aber fiel der bedeutendste Anlauf, welcher jemals zu seiner Beseitigung genom¬
men wurde, in die Zeit, in der Mosen sich als Sachwalter in Dresden nieder¬
ließ und neben seinem juristischen Berufe aufs eifrigste der Pflege seines er¬
starkten Talents lebte. Wir brauchen nur daran zu erinnern, daß um 1835
die literarisch-gesellschaftliche Wirksamkeit und selbst die productive Thätigkeit
Tiecks noch nicht beendet war, daß auf den verschiedensten Gebieten Männer
wie Semper, Ernst Rietschel, Bendemann, Ludwig Richter, Hähnel in eigner
schöpferischer Arbeit wie in officiellen Stellungen den kläglich darniederlie¬
genden, recht eigentlich armseligen Kunstgeist von Dresden zu heben begannen,
daß sich in den ersten vierziger Jahren Julius Schmorr von Carolsfeld, Richard
Wagner hinzugesellten, daß sich nach einander, leider nur vorübergehend, Robert
Schumann, Ferdinand Hiller, Ernst von Brünnow, der prächtige Liederdichter
R. Reinick in Dresden niederließen, denen später Gutzkow, Berthold Auerbach,
Gustav Freytag u. A. folgten, daß das Dresdner Theater damals eine seltene
Vereinigung von Talenten darbot, endlich, daß Männer der Wissenschaft, wie
K. Snell, Köchly, Hermann Brockhaus, sich der älteren Gruppe von Ge¬
lehrten wie Langem, Carus, ergänzend zur Seite stellten, um die That¬
sache zu beleuchten, daß eben damals Dresden einer der Hauptmittelpunkte
deutschen Kunst- und Geisteslebens zu werden versprach. Wir brauchen
hier weder zu erörtern, wie viel von der ausgestreuten Saat jener Jahre
aufgegangen ist, noch warum gewisse Ernten auf dem Halm und andre
im Keime verdarben. Julius Mosen hat den ersten, vollsten, frischesten und
hoffnungsreichsten Aufschwung der Bewegung mit erlebt und an seinem Theile
mit herbeigeführt. War er doch das einzige, speciell Sachsen angehörige poeti¬
sche Talent, welches sich nach Anlage, Charakter und Kunststreben von jenen
Abendzeituugspoeten unterschied, die in wohlmeinend harmloser Unterhaltungs¬
lust und mit gelegentlichen Anwandlungen von rührseliger Gemüthlichkeit oder
didaktischen Pathos eine kaum übersehbare Zahl von matten lyrischen Gedichten,


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[0029] Julius Mosen. günstig ist — alles wirkt zusammen, poetische und künstlerische Talente an Dresden zu fesseln. Auf der andern Seite tritt die gänzliche und fast komisch hilflose Isolierung, in welche sich beinahe jede mächtige, kraftvolle und ener¬ gische Bestrebung durch locale Zustünde und Traditionen gesetzt sieht, das Ueber¬ gewicht, welches unter diesen besondern Verhältnissen der Dilettantismus er¬ langt, die immer wiederkehrende Bevorzugung alles dessen, was mittelmäßig, nichtig und hausbacken trivial ist, denen, die sich der obenbezeichneten Vorzüge von Elbflorenz erfreuen, störend ins Bewußtsein. Schiller und Friedrich von Kleist bei vorübergehendem Aufenthalte, später Carl Maria von Weber und Ludwig Tieck hatten diesen Wiederspruch zu erfahren, der tief in den localen Bedingungen begründet ist und vielleicht nie ganz beseitigt werden wird. Sicher aber fiel der bedeutendste Anlauf, welcher jemals zu seiner Beseitigung genom¬ men wurde, in die Zeit, in der Mosen sich als Sachwalter in Dresden nieder¬ ließ und neben seinem juristischen Berufe aufs eifrigste der Pflege seines er¬ starkten Talents lebte. Wir brauchen nur daran zu erinnern, daß um 1835 die literarisch-gesellschaftliche Wirksamkeit und selbst die productive Thätigkeit Tiecks noch nicht beendet war, daß auf den verschiedensten Gebieten Männer wie Semper, Ernst Rietschel, Bendemann, Ludwig Richter, Hähnel in eigner schöpferischer Arbeit wie in officiellen Stellungen den kläglich darniederlie¬ genden, recht eigentlich armseligen Kunstgeist von Dresden zu heben begannen, daß sich in den ersten vierziger Jahren Julius Schmorr von Carolsfeld, Richard Wagner hinzugesellten, daß sich nach einander, leider nur vorübergehend, Robert Schumann, Ferdinand Hiller, Ernst von Brünnow, der prächtige Liederdichter R. Reinick in Dresden niederließen, denen später Gutzkow, Berthold Auerbach, Gustav Freytag u. A. folgten, daß das Dresdner Theater damals eine seltene Vereinigung von Talenten darbot, endlich, daß Männer der Wissenschaft, wie K. Snell, Köchly, Hermann Brockhaus, sich der älteren Gruppe von Ge¬ lehrten wie Langem, Carus, ergänzend zur Seite stellten, um die That¬ sache zu beleuchten, daß eben damals Dresden einer der Hauptmittelpunkte deutschen Kunst- und Geisteslebens zu werden versprach. Wir brauchen hier weder zu erörtern, wie viel von der ausgestreuten Saat jener Jahre aufgegangen ist, noch warum gewisse Ernten auf dem Halm und andre im Keime verdarben. Julius Mosen hat den ersten, vollsten, frischesten und hoffnungsreichsten Aufschwung der Bewegung mit erlebt und an seinem Theile mit herbeigeführt. War er doch das einzige, speciell Sachsen angehörige poeti¬ sche Talent, welches sich nach Anlage, Charakter und Kunststreben von jenen Abendzeituugspoeten unterschied, die in wohlmeinend harmloser Unterhaltungs¬ lust und mit gelegentlichen Anwandlungen von rührseliger Gemüthlichkeit oder didaktischen Pathos eine kaum übersehbare Zahl von matten lyrischen Gedichten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/29>, abgerufen am 27.12.2024.