Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Julius Mosen. Julius Mosen sich an die Thatsache hielt, daß seinem hochpoetischen größern Mosers Niederlassung in Dresden war eine Erfüllung längstgenührter Julius Mosen. Julius Mosen sich an die Thatsache hielt, daß seinem hochpoetischen größern Mosers Niederlassung in Dresden war eine Erfüllung längstgenührter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149012"/> <fw type="header" place="top"> Julius Mosen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> Julius Mosen sich an die Thatsache hielt, daß seinem hochpoetischen größern<lb/> Gedicht „Ritter Wahn" nur mäßige Verbreitung und Anerkennung zu Theil<lb/> geworden war, daß aber diejenigen seiner Gedichte, welche der Stimmung des<lb/> Tages einen energischen populären Ausdruck gaben, den entschiedensten Anklang<lb/> gefunden hatten, so mußte er sich nothwendig gedrängt fühlen, einen weitern<lb/> Schritt nach der Tendenz hin zu wagen. Er brachte immerhin auf seinen<lb/> spätern Weg eine so reiche Mitgabe poetischer Ursprünglichkeit und Naivetät,<lb/> plastischer Gestaltungskraft und künstlerischen Sinnes mit, daß von vornherein<lb/> feststand, dieser Dichter könne wohl einzelnen Irrungen des Tags unterliegen,<lb/> aber weder sein Talent jemals verleugnen noch sich eigentlich und wahrhaft<lb/> denen anschließen, die zwischen der Vergangenheit und Gegenwart der deutschen<lb/> Literatur eine breite Kluft aufzureißen eben damals tapfer an der Arbeit waren,<lb/> als Mosen (1834) sein Patrimonialgericht und das Städtchen Kohren verließ,<lb/> um als Rechtsanwalt nach Dresden überzusiedeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_57" next="#ID_58"> Mosers Niederlassung in Dresden war eine Erfüllung längstgenührter<lb/> Wünsche und erfolgte in einem Zeitpunkte, wo in Dresden selbst ein entschiedner,<lb/> leider rasch vorübergehender Aufschwung des geistigen und künstlerischen Lebens<lb/> stattfand. „Noch in dem dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts", heißt es in<lb/> R. von Friesens kürzlich erschienenen „Erinnerungen" (2. S. 33), „war Dresden<lb/> nichts weiter als die Hauptstadt eines kleinen Staates; die Residenz des Königs<lb/> und der Sitz der obersten Landesbehörden; Handel und Verkehr waren sehr<lb/> unbedeutend und bewegten sich in den kleinlichsten Verhältnissen; der Fremden¬<lb/> verkehr war sehr schwach; die Interessen der Bürgerschaft concentrierteu sich meist<lb/> auf locale Innungs- und Handwerksdifferenzen, die Zahl der Einwohner betrug<lb/> damals noch nicht den dritten Theil (etwas über 60000) von der Ziffer, die<lb/> sie jetzt im Jahre 1879 hat." In einen Strom mächtigen, emportragenden,<lb/> krästeweckenden und spornenden Lebens tauchte der Dichter, der eben das<lb/> Mannesalter erreicht hatte, sonach nicht ein. Verglichen mit dem Leben, das<lb/> er in seinem kleinen Amtsstädtchen geführt hatte, brachte indeß die neue Um¬<lb/> gebung immerhin eine Fülle von Anregungen und Eindrücken. Dresden hat<lb/> auf selbständige schöpferische Naturen meist eine widersprechende Wirkung<lb/> ausgeübt, sie zugleich mit unwiderstehlichem Reiz gefesselt und mit bitterstem<lb/> Unmuth erfüllt. Die Erklärung dafür liegt nahe genug. Die anmuthige Lage<lb/> wie der bauliche Charakter der Stadt, die reichen, überreichen Kunstschätze und<lb/> wissenschaftlichen Hilfsmittel, welche sie in ihren Sammlungen birgt, die mannich-<lb/> faltigen Elemente geselligen Verkehrs und eine gewisse Leichtigkeit mit den ver¬<lb/> schiedensten Kreisen in Beziehung zu treten, der Mangel jeder dictatorischen<lb/> und gewaltsamen öffentlichen Meinung, welcher, woher er immer stammen mag,<lb/> doch zunächst der Freiheit des Individuums, namentlich des künstlerischen sehr</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
Julius Mosen.
Julius Mosen sich an die Thatsache hielt, daß seinem hochpoetischen größern
Gedicht „Ritter Wahn" nur mäßige Verbreitung und Anerkennung zu Theil
geworden war, daß aber diejenigen seiner Gedichte, welche der Stimmung des
Tages einen energischen populären Ausdruck gaben, den entschiedensten Anklang
gefunden hatten, so mußte er sich nothwendig gedrängt fühlen, einen weitern
Schritt nach der Tendenz hin zu wagen. Er brachte immerhin auf seinen
spätern Weg eine so reiche Mitgabe poetischer Ursprünglichkeit und Naivetät,
plastischer Gestaltungskraft und künstlerischen Sinnes mit, daß von vornherein
feststand, dieser Dichter könne wohl einzelnen Irrungen des Tags unterliegen,
aber weder sein Talent jemals verleugnen noch sich eigentlich und wahrhaft
denen anschließen, die zwischen der Vergangenheit und Gegenwart der deutschen
Literatur eine breite Kluft aufzureißen eben damals tapfer an der Arbeit waren,
als Mosen (1834) sein Patrimonialgericht und das Städtchen Kohren verließ,
um als Rechtsanwalt nach Dresden überzusiedeln.
Mosers Niederlassung in Dresden war eine Erfüllung längstgenührter
Wünsche und erfolgte in einem Zeitpunkte, wo in Dresden selbst ein entschiedner,
leider rasch vorübergehender Aufschwung des geistigen und künstlerischen Lebens
stattfand. „Noch in dem dritten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts", heißt es in
R. von Friesens kürzlich erschienenen „Erinnerungen" (2. S. 33), „war Dresden
nichts weiter als die Hauptstadt eines kleinen Staates; die Residenz des Königs
und der Sitz der obersten Landesbehörden; Handel und Verkehr waren sehr
unbedeutend und bewegten sich in den kleinlichsten Verhältnissen; der Fremden¬
verkehr war sehr schwach; die Interessen der Bürgerschaft concentrierteu sich meist
auf locale Innungs- und Handwerksdifferenzen, die Zahl der Einwohner betrug
damals noch nicht den dritten Theil (etwas über 60000) von der Ziffer, die
sie jetzt im Jahre 1879 hat." In einen Strom mächtigen, emportragenden,
krästeweckenden und spornenden Lebens tauchte der Dichter, der eben das
Mannesalter erreicht hatte, sonach nicht ein. Verglichen mit dem Leben, das
er in seinem kleinen Amtsstädtchen geführt hatte, brachte indeß die neue Um¬
gebung immerhin eine Fülle von Anregungen und Eindrücken. Dresden hat
auf selbständige schöpferische Naturen meist eine widersprechende Wirkung
ausgeübt, sie zugleich mit unwiderstehlichem Reiz gefesselt und mit bitterstem
Unmuth erfüllt. Die Erklärung dafür liegt nahe genug. Die anmuthige Lage
wie der bauliche Charakter der Stadt, die reichen, überreichen Kunstschätze und
wissenschaftlichen Hilfsmittel, welche sie in ihren Sammlungen birgt, die mannich-
faltigen Elemente geselligen Verkehrs und eine gewisse Leichtigkeit mit den ver¬
schiedensten Kreisen in Beziehung zu treten, der Mangel jeder dictatorischen
und gewaltsamen öffentlichen Meinung, welcher, woher er immer stammen mag,
doch zunächst der Freiheit des Individuums, namentlich des künstlerischen sehr
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