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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

Begier und Neugier aufgenommen. Die Anfänge dieser Stimmung im deutschen
Publicum wurden vom Jnstinct der Verleger rasch herausgefühlt, und Pro-
ductionen, die ein Jahrzehnt zuvor freudig begrüßt wordeu wären, wurden theil¬
nahmlos abgewiesen. Blieben doch selbst namhafte Männer wie Immermann
von den Wirkungen dieser noch nicht hinreichend dargestellten Stimmungsände-
rung nicht verschont. Was aber immer der Grund gewesen sein möge, daß
man zu den Fähigkeiten Mosers kein besonderes Vertrauen faßte, für den
Augenblick ward er hart davon betroffen. Er hatte zur Wiederaufnahme und
zum Abschlüsse seiner juristischen Studien die Universität Leipzig bezogen. Hier
konnte ihn der eisernste Fleiß nicht vor entschiedener materieller Noth schützen,
die Freunde, die er fand, waren mit Ausnahme des Hofgerichtsraths Dr. Wenk
beinahe so arm wie er selbst. Mosen ließ sich dies nicht sonderlich anfechten,
schrieb, wie der Sohn in seiner biographischen Skizze erzählt, die Reinschrift
seiner Examenarbeiten im Bette, "um warme Finger zum Schreiben zu haben,
denn Heizmaterial habe er sich nicht kaufen können", und bestand, was die Haupt¬
sache war, 1828 ein glänzendes Examen. Unmittelbar nach demselben blieb
ihm nichts übrig, als nach seiner vogtländischen Heimat zurückzugehen und als
juristischer Hilfsarbeiter im Bureau des Advocaten Schweinitz in Markneukirchen
die nöthigsten Mittel zum Lebensunterhalte zu gewinnen. Der Gegensatz dieser
Existenz mit der wenige Jahre zuvor vorausgegcmgnen mochte an sich empfindlich
genug sein. Weit schlimmer war noch, daß der junge Dichter an seinem Talente
und seiner Kraft zu zweifeln begann. Er scheint in der Einsamkeit seines Mark¬
neukirchner Aufenthalts wenig oder nichts geschaffen zu haben. Das Leben kam
ihm kleinlich und eng vor, und die Aussichten, die er für sich wahrnahm, er¬
quickten seiue Seele nicht. Er selbst hat in spätern Jahren seinen damaligen
Zustand vielleicht allzu bitter geschildert, gewiß ist aber, daß er nicht davon
träumte, etwa hier in der Heimat ganz wieder heimisch zu werden.

In diese schwüle Situation klangen die Nachrichten von der französischen
Julirevolution und den Bewegungen, die sie auch in Deutschland erweckt hatte,
herein. Mosen fühlte sich ergriffen, emporgerüttelt, er sah mit einem male
Möglichkeiten vor sich, der Enge der umgebenden Zustünde zu entrinnen, und eilte
nach Leipzig, wo er Freunde hatte, die ihn willkommen hießen und wo die
neue, immer nur erst halb politische Bewegung wieder eine frische Theilnahme
auch an literarischen Talenten und Bestrebungen erweckt hatte. Mosen scheint
einige Monate hindurch lediglich als Schriftsteller seinen Unterhalt gewonnen
zu haben. In dem Buchhändler Ambrosius Barth fand er jetzt einen Verleger für
seinen "Ritter Wahn", plante die größere Novelle Georg Venlot, die im nächsten
Jahre ausgeführt wurde, und schrieb eine ganze Reihe seiner schönsten und
kräftigsten lyrischen Gedichte, unter denen die zu Volksliedern gewordenen Balladen


Julius Mosen.

Begier und Neugier aufgenommen. Die Anfänge dieser Stimmung im deutschen
Publicum wurden vom Jnstinct der Verleger rasch herausgefühlt, und Pro-
ductionen, die ein Jahrzehnt zuvor freudig begrüßt wordeu wären, wurden theil¬
nahmlos abgewiesen. Blieben doch selbst namhafte Männer wie Immermann
von den Wirkungen dieser noch nicht hinreichend dargestellten Stimmungsände-
rung nicht verschont. Was aber immer der Grund gewesen sein möge, daß
man zu den Fähigkeiten Mosers kein besonderes Vertrauen faßte, für den
Augenblick ward er hart davon betroffen. Er hatte zur Wiederaufnahme und
zum Abschlüsse seiner juristischen Studien die Universität Leipzig bezogen. Hier
konnte ihn der eisernste Fleiß nicht vor entschiedener materieller Noth schützen,
die Freunde, die er fand, waren mit Ausnahme des Hofgerichtsraths Dr. Wenk
beinahe so arm wie er selbst. Mosen ließ sich dies nicht sonderlich anfechten,
schrieb, wie der Sohn in seiner biographischen Skizze erzählt, die Reinschrift
seiner Examenarbeiten im Bette, „um warme Finger zum Schreiben zu haben,
denn Heizmaterial habe er sich nicht kaufen können", und bestand, was die Haupt¬
sache war, 1828 ein glänzendes Examen. Unmittelbar nach demselben blieb
ihm nichts übrig, als nach seiner vogtländischen Heimat zurückzugehen und als
juristischer Hilfsarbeiter im Bureau des Advocaten Schweinitz in Markneukirchen
die nöthigsten Mittel zum Lebensunterhalte zu gewinnen. Der Gegensatz dieser
Existenz mit der wenige Jahre zuvor vorausgegcmgnen mochte an sich empfindlich
genug sein. Weit schlimmer war noch, daß der junge Dichter an seinem Talente
und seiner Kraft zu zweifeln begann. Er scheint in der Einsamkeit seines Mark¬
neukirchner Aufenthalts wenig oder nichts geschaffen zu haben. Das Leben kam
ihm kleinlich und eng vor, und die Aussichten, die er für sich wahrnahm, er¬
quickten seiue Seele nicht. Er selbst hat in spätern Jahren seinen damaligen
Zustand vielleicht allzu bitter geschildert, gewiß ist aber, daß er nicht davon
träumte, etwa hier in der Heimat ganz wieder heimisch zu werden.

In diese schwüle Situation klangen die Nachrichten von der französischen
Julirevolution und den Bewegungen, die sie auch in Deutschland erweckt hatte,
herein. Mosen fühlte sich ergriffen, emporgerüttelt, er sah mit einem male
Möglichkeiten vor sich, der Enge der umgebenden Zustünde zu entrinnen, und eilte
nach Leipzig, wo er Freunde hatte, die ihn willkommen hießen und wo die
neue, immer nur erst halb politische Bewegung wieder eine frische Theilnahme
auch an literarischen Talenten und Bestrebungen erweckt hatte. Mosen scheint
einige Monate hindurch lediglich als Schriftsteller seinen Unterhalt gewonnen
zu haben. In dem Buchhändler Ambrosius Barth fand er jetzt einen Verleger für
seinen „Ritter Wahn", plante die größere Novelle Georg Venlot, die im nächsten
Jahre ausgeführt wurde, und schrieb eine ganze Reihe seiner schönsten und
kräftigsten lyrischen Gedichte, unter denen die zu Volksliedern gewordenen Balladen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/24>, abgerufen am 27.12.2024.