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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate

an der Cultur theilzunehmen, nicht nach französischen oder deutschen Recepten,
sondern im Geiste ihrer eigenartigen nationalen russischen Einheit, so sind das
die Konsequenzen der Ideen Peters des Großen und der Nachfolger in seinein
Geiste. Zu diesen gehören außer Katharina II. und Alexander I. besonders der
jetzige Kaiser Alexander II. Daß der jetzige Kaiser ein Wohlthäter seines Volkes,
daß er von den besten und lautersten Absichten eines Regenten beseelt war, das
wird die Geschichte rückhaltlos anzuerkennen haben. Und doch hat die Regie¬
rung dieses Monarchen wie unter einem Fluche gestanden. Dieser Fluch war
das Tschinownikthum, und dies eine Folge des Systems des Zaren Nikolaus,
welches wieder die Folge der gänzlichen Verkennung der Ideen des großen
Peter war.

Peter hatte seinen Nachfolgern drei Punkte zum Ausbau hinterlassen: die
Autokratie des Herrschers, die Unterwerfung unter die Westländische Cultur und
den Geist der Vermittlung dieser Cultur. Dieser Geist war in Peter selbst
personificirt; aber der Kaiser kann in einem Kolossalreiche nicht überall persön¬
lich sein. Den väterlichen Geist des Zaren, den Geist jener Vermittlung in
das Heer der Beamten auszugießen, bleibt die Aufgabe der russischen Staats¬
kunst, die bis heute noch nicht gelöst ist. Nikolaus I. hat diese Aufgabe völlig
mißverstanden; er sah einzig das autokratische Element, welches bei Peter nur
Mittel zum Zwecke war. Nikolaus war Autokrat, ähnlich wie der Kaiser Paul,
der zu einem französischen Emigranten sagte: Nonsisur it n'/ a, lei, as Ar.-ma
folg-irsur MS I'KoiurQö Hui ^'s pg.rls se xsnda>Qt is tsinxs <zns D Irn x-^rls.
Das war nicht kaiserlich gesprochen. Ein solcher autokratischer Geist der Gunst
und Willkür wurde das Evangelium und das tägliche Brevier des russischen
Beamtenthums. Es war derselbe Geist, welcher in Frankreich die Proclamirung
der Menschenrechte heraufbeschworen hat und in Rußland den Nihilismus. Der
Staatsmann, welcher das Beamtenthum in Rußland einseitig stärken zu müssen
glaubt, führt den Staat in byzantinische Sklaverei zurück; nur derjenige handelt
im Geiste des großen Peter, welcher in einer neuen Autorität der Herrschsucht
und dem autokratischen Egoismus des Tschmownikthums Schranken setzt. Diese
neue Autorität braucht nicht, wie das bei Peter der Fall war, nnr in der West-
ländischen Bildung zu bestehen, sie kann vielmehr im eignen Volkswillen gesucht
und gefunden werden.

Die deutsche Nasse ist die Rasse des Individualismus, die russische ist die
der Corporation, der Genossenschaft; überall, wo man sie schalten und walten
läßt, setzt sie eine Corporation als Autorität ein und fügt sich blindlings ihren
Weisungen, der Wille der Corporation beschränkt den Eigenwillen des Indivi¬
duums, insbesondere das im russischen Charakter liegende autokratische Element.
Früher gab es in dem Kolossalreiche nnr eine Autorität, den Zaren; denn die
corporative und associative Autorität der Gemeinde hat ihre Macht von ihm


Die destructiven Elemente im Staate

an der Cultur theilzunehmen, nicht nach französischen oder deutschen Recepten,
sondern im Geiste ihrer eigenartigen nationalen russischen Einheit, so sind das
die Konsequenzen der Ideen Peters des Großen und der Nachfolger in seinein
Geiste. Zu diesen gehören außer Katharina II. und Alexander I. besonders der
jetzige Kaiser Alexander II. Daß der jetzige Kaiser ein Wohlthäter seines Volkes,
daß er von den besten und lautersten Absichten eines Regenten beseelt war, das
wird die Geschichte rückhaltlos anzuerkennen haben. Und doch hat die Regie¬
rung dieses Monarchen wie unter einem Fluche gestanden. Dieser Fluch war
das Tschinownikthum, und dies eine Folge des Systems des Zaren Nikolaus,
welches wieder die Folge der gänzlichen Verkennung der Ideen des großen
Peter war.

Peter hatte seinen Nachfolgern drei Punkte zum Ausbau hinterlassen: die
Autokratie des Herrschers, die Unterwerfung unter die Westländische Cultur und
den Geist der Vermittlung dieser Cultur. Dieser Geist war in Peter selbst
personificirt; aber der Kaiser kann in einem Kolossalreiche nicht überall persön¬
lich sein. Den väterlichen Geist des Zaren, den Geist jener Vermittlung in
das Heer der Beamten auszugießen, bleibt die Aufgabe der russischen Staats¬
kunst, die bis heute noch nicht gelöst ist. Nikolaus I. hat diese Aufgabe völlig
mißverstanden; er sah einzig das autokratische Element, welches bei Peter nur
Mittel zum Zwecke war. Nikolaus war Autokrat, ähnlich wie der Kaiser Paul,
der zu einem französischen Emigranten sagte: Nonsisur it n'/ a, lei, as Ar.-ma
folg-irsur MS I'KoiurQö Hui ^'s pg.rls se xsnda>Qt is tsinxs <zns D Irn x-^rls.
Das war nicht kaiserlich gesprochen. Ein solcher autokratischer Geist der Gunst
und Willkür wurde das Evangelium und das tägliche Brevier des russischen
Beamtenthums. Es war derselbe Geist, welcher in Frankreich die Proclamirung
der Menschenrechte heraufbeschworen hat und in Rußland den Nihilismus. Der
Staatsmann, welcher das Beamtenthum in Rußland einseitig stärken zu müssen
glaubt, führt den Staat in byzantinische Sklaverei zurück; nur derjenige handelt
im Geiste des großen Peter, welcher in einer neuen Autorität der Herrschsucht
und dem autokratischen Egoismus des Tschmownikthums Schranken setzt. Diese
neue Autorität braucht nicht, wie das bei Peter der Fall war, nnr in der West-
ländischen Bildung zu bestehen, sie kann vielmehr im eignen Volkswillen gesucht
und gefunden werden.

Die deutsche Nasse ist die Rasse des Individualismus, die russische ist die
der Corporation, der Genossenschaft; überall, wo man sie schalten und walten
läßt, setzt sie eine Corporation als Autorität ein und fügt sich blindlings ihren
Weisungen, der Wille der Corporation beschränkt den Eigenwillen des Indivi¬
duums, insbesondere das im russischen Charakter liegende autokratische Element.
Früher gab es in dem Kolossalreiche nnr eine Autorität, den Zaren; denn die
corporative und associative Autorität der Gemeinde hat ihre Macht von ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/186>, abgerufen am 28.12.2024.