Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

des modernen Unglaubens, So gewiß Strauß theilweise Recht hatte, den
alten Glauben, wie wenigstens er ihn darstellte, für nicht mehr vorhanden zu
erklären, so wenig hat er mit seinem neuen Glauben den Beifall und Anhang
sich gewonnen, den er sich und andern in Aussicht gestellt hatte. Vielmehr
ist durch zahlreiche Beispiele und Auslassungen in Wort nud Schrift erwiesen,
daß durch diese seine letzte Schrift vielen die Augen geöffnet worden und sie
seitdem hinter ihn zurückgegangen sind. Das Widerspruchsvolle und Unge¬
nügende dieses Fanatismus der Logik in den höchsten Dingen konnte jedem
Tieferblickenden sich nicht verbergen. Auch ist die Durchschnittseultur der Halb¬
gebildeten unserer Gegenwart in sich selbst so streitend und voll von Wider¬
sprüchen, daß schon diese innere Haltlosigkeit eine Rückkehr zu der alten Be¬
deutung der christlichen Wahrheit für die europäische Gesammteultur hoffen
läßt, sobald diese Wahrheit in ihrer von Menschenmeiuungen und -Satzungen
gereinigten Gestalt vor die Augen gestellt und den Geistern annehmbar gemacht
werden wird. Daß diese vierte Reformation des 19. Jahrhunderts zum Ab¬
schlüsse zu kommen sich anschickt, steht uns fest. Wie aber und wann es ge¬
schehen wird, wer möchte das zu bestimmen wagen!




Anfang und Ende einer Gemäldegalerie des vorigen
Jahrhunderts.
von Uarl lvoel'manu.

user Jahrhundert hat die Geschichte mancher Wissenschaft geschrie¬
ben. Auch die der Archäologie und damit diejenige unserer Kunde
der antiken Kunst. Daß wir noch keine Geschichte der gesammten
Kunstgeschichte besitzen, darf uns nicht wundern, weil diese fast
die jüngste der Wissenschaften ist. Eine zukünftige Geschichte der
Kunstgeschichte aber dürfte nicht vergessen, die Sammlungen zu verzeichnen, welche
deu Forscher" jeder Epoche zu Gebote gestanden haben. Sie würde sich eiuer
retrospectiveu Museographie uicht entziehen können. Die Geschichte ehemaliger
Gemäldegalerien würde zu ihren wesentlichen Bestandtheilen gehören.

Eine wirkliche, abschließende Geschichte ist jedoch von Institutionen wie von


des modernen Unglaubens, So gewiß Strauß theilweise Recht hatte, den
alten Glauben, wie wenigstens er ihn darstellte, für nicht mehr vorhanden zu
erklären, so wenig hat er mit seinem neuen Glauben den Beifall und Anhang
sich gewonnen, den er sich und andern in Aussicht gestellt hatte. Vielmehr
ist durch zahlreiche Beispiele und Auslassungen in Wort nud Schrift erwiesen,
daß durch diese seine letzte Schrift vielen die Augen geöffnet worden und sie
seitdem hinter ihn zurückgegangen sind. Das Widerspruchsvolle und Unge¬
nügende dieses Fanatismus der Logik in den höchsten Dingen konnte jedem
Tieferblickenden sich nicht verbergen. Auch ist die Durchschnittseultur der Halb¬
gebildeten unserer Gegenwart in sich selbst so streitend und voll von Wider¬
sprüchen, daß schon diese innere Haltlosigkeit eine Rückkehr zu der alten Be¬
deutung der christlichen Wahrheit für die europäische Gesammteultur hoffen
läßt, sobald diese Wahrheit in ihrer von Menschenmeiuungen und -Satzungen
gereinigten Gestalt vor die Augen gestellt und den Geistern annehmbar gemacht
werden wird. Daß diese vierte Reformation des 19. Jahrhunderts zum Ab¬
schlüsse zu kommen sich anschickt, steht uns fest. Wie aber und wann es ge¬
schehen wird, wer möchte das zu bestimmen wagen!




Anfang und Ende einer Gemäldegalerie des vorigen
Jahrhunderts.
von Uarl lvoel'manu.

user Jahrhundert hat die Geschichte mancher Wissenschaft geschrie¬
ben. Auch die der Archäologie und damit diejenige unserer Kunde
der antiken Kunst. Daß wir noch keine Geschichte der gesammten
Kunstgeschichte besitzen, darf uns nicht wundern, weil diese fast
die jüngste der Wissenschaften ist. Eine zukünftige Geschichte der
Kunstgeschichte aber dürfte nicht vergessen, die Sammlungen zu verzeichnen, welche
deu Forscher» jeder Epoche zu Gebote gestanden haben. Sie würde sich eiuer
retrospectiveu Museographie uicht entziehen können. Die Geschichte ehemaliger
Gemäldegalerien würde zu ihren wesentlichen Bestandtheilen gehören.

Eine wirkliche, abschließende Geschichte ist jedoch von Institutionen wie von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149139"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_404" prev="#ID_403"> des modernen Unglaubens, So gewiß Strauß theilweise Recht hatte, den<lb/>
alten Glauben, wie wenigstens er ihn darstellte, für nicht mehr vorhanden zu<lb/>
erklären, so wenig hat er mit seinem neuen Glauben den Beifall und Anhang<lb/>
sich gewonnen, den er sich und andern in Aussicht gestellt hatte. Vielmehr<lb/>
ist durch zahlreiche Beispiele und Auslassungen in Wort nud Schrift erwiesen,<lb/>
daß durch diese seine letzte Schrift vielen die Augen geöffnet worden und sie<lb/>
seitdem hinter ihn zurückgegangen sind. Das Widerspruchsvolle und Unge¬<lb/>
nügende dieses Fanatismus der Logik in den höchsten Dingen konnte jedem<lb/>
Tieferblickenden sich nicht verbergen. Auch ist die Durchschnittseultur der Halb¬<lb/>
gebildeten unserer Gegenwart in sich selbst so streitend und voll von Wider¬<lb/>
sprüchen, daß schon diese innere Haltlosigkeit eine Rückkehr zu der alten Be¬<lb/>
deutung der christlichen Wahrheit für die europäische Gesammteultur hoffen<lb/>
läßt, sobald diese Wahrheit in ihrer von Menschenmeiuungen und -Satzungen<lb/>
gereinigten Gestalt vor die Augen gestellt und den Geistern annehmbar gemacht<lb/>
werden wird. Daß diese vierte Reformation des 19. Jahrhunderts zum Ab¬<lb/>
schlüsse zu kommen sich anschickt, steht uns fest. Wie aber und wann es ge¬<lb/>
schehen wird, wer möchte das zu bestimmen wagen!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Anfang und Ende einer Gemäldegalerie des vorigen<lb/>
Jahrhunderts.<lb/><note type="byline"> von Uarl lvoel'manu.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_405"> user Jahrhundert hat die Geschichte mancher Wissenschaft geschrie¬<lb/>
ben. Auch die der Archäologie und damit diejenige unserer Kunde<lb/>
der antiken Kunst. Daß wir noch keine Geschichte der gesammten<lb/>
Kunstgeschichte besitzen, darf uns nicht wundern, weil diese fast<lb/>
die jüngste der Wissenschaften ist. Eine zukünftige Geschichte der<lb/>
Kunstgeschichte aber dürfte nicht vergessen, die Sammlungen zu verzeichnen, welche<lb/>
deu Forscher» jeder Epoche zu Gebote gestanden haben. Sie würde sich eiuer<lb/>
retrospectiveu Museographie uicht entziehen können. Die Geschichte ehemaliger<lb/>
Gemäldegalerien würde zu ihren wesentlichen Bestandtheilen gehören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_406" next="#ID_407"> Eine wirkliche, abschließende Geschichte ist jedoch von Institutionen wie von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0155] des modernen Unglaubens, So gewiß Strauß theilweise Recht hatte, den alten Glauben, wie wenigstens er ihn darstellte, für nicht mehr vorhanden zu erklären, so wenig hat er mit seinem neuen Glauben den Beifall und Anhang sich gewonnen, den er sich und andern in Aussicht gestellt hatte. Vielmehr ist durch zahlreiche Beispiele und Auslassungen in Wort nud Schrift erwiesen, daß durch diese seine letzte Schrift vielen die Augen geöffnet worden und sie seitdem hinter ihn zurückgegangen sind. Das Widerspruchsvolle und Unge¬ nügende dieses Fanatismus der Logik in den höchsten Dingen konnte jedem Tieferblickenden sich nicht verbergen. Auch ist die Durchschnittseultur der Halb¬ gebildeten unserer Gegenwart in sich selbst so streitend und voll von Wider¬ sprüchen, daß schon diese innere Haltlosigkeit eine Rückkehr zu der alten Be¬ deutung der christlichen Wahrheit für die europäische Gesammteultur hoffen läßt, sobald diese Wahrheit in ihrer von Menschenmeiuungen und -Satzungen gereinigten Gestalt vor die Augen gestellt und den Geistern annehmbar gemacht werden wird. Daß diese vierte Reformation des 19. Jahrhunderts zum Ab¬ schlüsse zu kommen sich anschickt, steht uns fest. Wie aber und wann es ge¬ schehen wird, wer möchte das zu bestimmen wagen! Anfang und Ende einer Gemäldegalerie des vorigen Jahrhunderts. von Uarl lvoel'manu. user Jahrhundert hat die Geschichte mancher Wissenschaft geschrie¬ ben. Auch die der Archäologie und damit diejenige unserer Kunde der antiken Kunst. Daß wir noch keine Geschichte der gesammten Kunstgeschichte besitzen, darf uns nicht wundern, weil diese fast die jüngste der Wissenschaften ist. Eine zukünftige Geschichte der Kunstgeschichte aber dürfte nicht vergessen, die Sammlungen zu verzeichnen, welche deu Forscher» jeder Epoche zu Gebote gestanden haben. Sie würde sich eiuer retrospectiveu Museographie uicht entziehen können. Die Geschichte ehemaliger Gemäldegalerien würde zu ihren wesentlichen Bestandtheilen gehören. Eine wirkliche, abschließende Geschichte ist jedoch von Institutionen wie von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/155
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/155>, abgerufen am 27.12.2024.