Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.Die Reformationen in der christlichen Welt. liegen. Darauf weist mit Nothwendigkeit eine folgerichtige denkende Betrachtung Allein gleichwie die reformatorische Bewegung in der katholischen Kirche, Wenn man von etlichen unliebsamen, diese fröhliche Hoffnung herabstim¬ Die Reformationen in der christlichen Welt. liegen. Darauf weist mit Nothwendigkeit eine folgerichtige denkende Betrachtung Allein gleichwie die reformatorische Bewegung in der katholischen Kirche, Wenn man von etlichen unliebsamen, diese fröhliche Hoffnung herabstim¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149134"/> <fw type="header" place="top"> Die Reformationen in der christlichen Welt.</fw><lb/> <p xml:id="ID_388" prev="#ID_387"> liegen. Darauf weist mit Nothwendigkeit eine folgerichtige denkende Betrachtung<lb/> der Sachlage hin. Doch nicht genug. Es ist dies keineswegs bloß ein schöner<lb/> erhebender Gedanke und Traum einer hoffenden Phantasie. Nein, er ist schon<lb/> mehr als einmal thatsächlich in einzelnen Erscheinungen und Persönlichkeiten<lb/> verwirklicht worden. Es sei nur daran erinnert, wie es innerhalb der katho¬<lb/> lischen und evangelischen Kirche nicht an philosophisch denkenden Männern ge¬<lb/> fehlt hat, die dennoch auf christlichem Grunde standen, an Paskal und Wessenberg,<lb/> an Leibnitz, Herder, Novalis und Schelling, sowie an die schönen Freund¬<lb/> schaftskreise von Katholiken und Protestanten zu Anfange unsers Jahrhunderts.<lb/> Doch in keinem andern hat der Ausgleich dieser beiden Gegensätze eine so<lb/> feste und einflußreiche Gestalt gewonnen als in Fr. Schleiermacher, unserm<lb/> großen Theologen, der den Spinoza heilig genannt und doch zugleich nie<lb/> und nimmermehr seine Verwandtschaft mit herrnhuterischen Frömmigkeit ver¬<lb/> leugnet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_389"> Allein gleichwie die reformatorische Bewegung in der katholischen Kirche,<lb/> welche der in manchem Betracht höchst achtungswerthe Deutschkatholicismus<lb/> und Altkatholicismus darstellt, doch etwas Halbes und Unreifes ist, so war<lb/> auch die durch Schleiermacher begonnene Erneuerung unserer Kirche keine all¬<lb/> seitig reife und befriedigende Frucht. Zwar hatten hier Pietismus und Ra¬<lb/> tionalismus einen Bund geschlossen, aber das Fundament desselben war zwar<lb/> psychologisch, aber historisch nicht tief genug, war nicht auf dem geschichtlichen<lb/> Felsengrunde der gegebenen Offenbarung aufgebaut. Die Zeit war und ist in<lb/> dem Sinne noch nicht erfüllt, daß wir von einer gewordenen vierten Refor¬<lb/> mation in der christlichen Welt reden dürften. Um so entschiedener und zuver¬<lb/> sichtlicher glauben wir an eine begonnene, werdende, in schönem Aufblühen<lb/> begriffene. Weit entfernt, daß das Gerede von einer Selbstauflösung des Pro¬<lb/> testantismus irgend welche Berechtigung hat, und daß, wer Augen hat zu sehen,<lb/> heutigen Tags begründeten Anlaß findet, unserer Kirche den Rücken zu wenden,<lb/> keimt und sproßt und knospet es vielmehr, ob auch vielfach hintangehalten, in<lb/> unserer Mitte allenthalben, die Gegensätze beginnen sich mehr und mehr aus¬<lb/> zugleichen, wir haben allen Grund, wo nicht uns ältern, so doch unsern Söhnen<lb/> und Enkeln die Zukunft einer Kirche in Aussicht zu stellen, an der die christ¬<lb/> liche Welt, nicht die protestantische bloß, sich wird erfreuen, aufrichten lind auf-<lb/> erbauen dürfen. Um Beweise für diesen zuversichtlichen Glauben find wir nicht<lb/> verlegen und lassen uns ebensowenig bange machen durch Scheingründe, durch<lb/> welche man denselben erschüttern zu können meint.</p><lb/> <p xml:id="ID_390" next="#ID_391"> Wenn man von etlichen unliebsamen, diese fröhliche Hoffnung herabstim¬<lb/> menden Erscheinungen aus dem Gebiete unsers kirchlichen Lebens, von denen<lb/> nachher noch kurz die Rede sein wird, zunächst absieht, so liefert die theologi-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Die Reformationen in der christlichen Welt.
liegen. Darauf weist mit Nothwendigkeit eine folgerichtige denkende Betrachtung
der Sachlage hin. Doch nicht genug. Es ist dies keineswegs bloß ein schöner
erhebender Gedanke und Traum einer hoffenden Phantasie. Nein, er ist schon
mehr als einmal thatsächlich in einzelnen Erscheinungen und Persönlichkeiten
verwirklicht worden. Es sei nur daran erinnert, wie es innerhalb der katho¬
lischen und evangelischen Kirche nicht an philosophisch denkenden Männern ge¬
fehlt hat, die dennoch auf christlichem Grunde standen, an Paskal und Wessenberg,
an Leibnitz, Herder, Novalis und Schelling, sowie an die schönen Freund¬
schaftskreise von Katholiken und Protestanten zu Anfange unsers Jahrhunderts.
Doch in keinem andern hat der Ausgleich dieser beiden Gegensätze eine so
feste und einflußreiche Gestalt gewonnen als in Fr. Schleiermacher, unserm
großen Theologen, der den Spinoza heilig genannt und doch zugleich nie
und nimmermehr seine Verwandtschaft mit herrnhuterischen Frömmigkeit ver¬
leugnet hat.
Allein gleichwie die reformatorische Bewegung in der katholischen Kirche,
welche der in manchem Betracht höchst achtungswerthe Deutschkatholicismus
und Altkatholicismus darstellt, doch etwas Halbes und Unreifes ist, so war
auch die durch Schleiermacher begonnene Erneuerung unserer Kirche keine all¬
seitig reife und befriedigende Frucht. Zwar hatten hier Pietismus und Ra¬
tionalismus einen Bund geschlossen, aber das Fundament desselben war zwar
psychologisch, aber historisch nicht tief genug, war nicht auf dem geschichtlichen
Felsengrunde der gegebenen Offenbarung aufgebaut. Die Zeit war und ist in
dem Sinne noch nicht erfüllt, daß wir von einer gewordenen vierten Refor¬
mation in der christlichen Welt reden dürften. Um so entschiedener und zuver¬
sichtlicher glauben wir an eine begonnene, werdende, in schönem Aufblühen
begriffene. Weit entfernt, daß das Gerede von einer Selbstauflösung des Pro¬
testantismus irgend welche Berechtigung hat, und daß, wer Augen hat zu sehen,
heutigen Tags begründeten Anlaß findet, unserer Kirche den Rücken zu wenden,
keimt und sproßt und knospet es vielmehr, ob auch vielfach hintangehalten, in
unserer Mitte allenthalben, die Gegensätze beginnen sich mehr und mehr aus¬
zugleichen, wir haben allen Grund, wo nicht uns ältern, so doch unsern Söhnen
und Enkeln die Zukunft einer Kirche in Aussicht zu stellen, an der die christ¬
liche Welt, nicht die protestantische bloß, sich wird erfreuen, aufrichten lind auf-
erbauen dürfen. Um Beweise für diesen zuversichtlichen Glauben find wir nicht
verlegen und lassen uns ebensowenig bange machen durch Scheingründe, durch
welche man denselben erschüttern zu können meint.
Wenn man von etlichen unliebsamen, diese fröhliche Hoffnung herabstim¬
menden Erscheinungen aus dem Gebiete unsers kirchlichen Lebens, von denen
nachher noch kurz die Rede sein wird, zunächst absieht, so liefert die theologi-
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