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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Machtneid verweigert der Kanzler ihnen dieses Idol, sondern weil das Spiel
mit demselben der unaufhaltsame Ruin des Staates wäre. Wenn heute die
Nationalliberalen am Ruder wären, so würden sie morgen nach ihrer Theorie
einer Majorität von römischen, fortschrittlichen, particularistischen?c. Staats¬
zerstörern weichen müssen. Um aber die Nation von der Zerrissenheit ihres
öffentlichen Geistes zu erlösen, giebt es kein verkehrteres Mittel, als die Ein¬
führung der parlamentarischen Regierung auf äußerlichen Wegen während doch
diese Regierung nur die Frucht eines einheitlichen öffentlichen Geistes bei uns
sein könnte und in ihrem Ursprung überall gewesen ist.

Die nationalliberale Partei soll sich dem Fürsten Bismarck nicht hingeben,
wie sich eine englische Partei ihrem Führer in völliger Passivität hingiebt. Unsere
nationale Partei soll ihre reiche geistige Kraft selbstthätig verwerthen. Aber sie
soll das Zusammenwirken mit dem Kanzler immer wieder erstreben, sie soll
suchen, seinen Conceptionen gerecht zu werden, aber auch ihren Einfluß auf den¬
selben geltend zu machen. Nur soll sie zur Sicherung dieses Einflusses nicht
nach mechanischen Mitteln greifen. Was trennt denn die Partei von dem
Kanzler bei der Steuerreform? Doch nur, daß die Partei neben den technisch¬
politischen Erwägungen die formal-politische Erwägung der Erhöhung der Par¬
lamentsmacht durch ein mechanisches Mittel zum Hauptgesichtspunkt nimmt. So
zerstört die Partei die wahre Vorbedingung ihres eigenen Strebens, nämlich
die Erziehung eines einheitlichen öffentlichen Geistes durch das auf gegenseitiger
Verständigung beruhende Zusammenwirken mit einem Staatsmanne von gro߬
artiger Production und Gestaltungskraft. Nur durch eine langjährige Wirksam¬
keit dieser Art könnte sich ein einheitlicher Geist in Deutschland bilden, der aus
den Wurzeln eigenartiger heimischer Institutionen, welche als eine unantastbare
Bürgschaft gesunder nationaler Entwicklung empfunden werden, emporwächst.




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Machtneid verweigert der Kanzler ihnen dieses Idol, sondern weil das Spiel
mit demselben der unaufhaltsame Ruin des Staates wäre. Wenn heute die
Nationalliberalen am Ruder wären, so würden sie morgen nach ihrer Theorie
einer Majorität von römischen, fortschrittlichen, particularistischen?c. Staats¬
zerstörern weichen müssen. Um aber die Nation von der Zerrissenheit ihres
öffentlichen Geistes zu erlösen, giebt es kein verkehrteres Mittel, als die Ein¬
führung der parlamentarischen Regierung auf äußerlichen Wegen während doch
diese Regierung nur die Frucht eines einheitlichen öffentlichen Geistes bei uns
sein könnte und in ihrem Ursprung überall gewesen ist.

Die nationalliberale Partei soll sich dem Fürsten Bismarck nicht hingeben,
wie sich eine englische Partei ihrem Führer in völliger Passivität hingiebt. Unsere
nationale Partei soll ihre reiche geistige Kraft selbstthätig verwerthen. Aber sie
soll das Zusammenwirken mit dem Kanzler immer wieder erstreben, sie soll
suchen, seinen Conceptionen gerecht zu werden, aber auch ihren Einfluß auf den¬
selben geltend zu machen. Nur soll sie zur Sicherung dieses Einflusses nicht
nach mechanischen Mitteln greifen. Was trennt denn die Partei von dem
Kanzler bei der Steuerreform? Doch nur, daß die Partei neben den technisch¬
politischen Erwägungen die formal-politische Erwägung der Erhöhung der Par¬
lamentsmacht durch ein mechanisches Mittel zum Hauptgesichtspunkt nimmt. So
zerstört die Partei die wahre Vorbedingung ihres eigenen Strebens, nämlich
die Erziehung eines einheitlichen öffentlichen Geistes durch das auf gegenseitiger
Verständigung beruhende Zusammenwirken mit einem Staatsmanne von gro߬
artiger Production und Gestaltungskraft. Nur durch eine langjährige Wirksam¬
keit dieser Art könnte sich ein einheitlicher Geist in Deutschland bilden, der aus
den Wurzeln eigenartiger heimischer Institutionen, welche als eine unantastbare
Bürgschaft gesunder nationaler Entwicklung empfunden werden, emporwächst.




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[0112] politische Lues> Machtneid verweigert der Kanzler ihnen dieses Idol, sondern weil das Spiel mit demselben der unaufhaltsame Ruin des Staates wäre. Wenn heute die Nationalliberalen am Ruder wären, so würden sie morgen nach ihrer Theorie einer Majorität von römischen, fortschrittlichen, particularistischen?c. Staats¬ zerstörern weichen müssen. Um aber die Nation von der Zerrissenheit ihres öffentlichen Geistes zu erlösen, giebt es kein verkehrteres Mittel, als die Ein¬ führung der parlamentarischen Regierung auf äußerlichen Wegen während doch diese Regierung nur die Frucht eines einheitlichen öffentlichen Geistes bei uns sein könnte und in ihrem Ursprung überall gewesen ist. Die nationalliberale Partei soll sich dem Fürsten Bismarck nicht hingeben, wie sich eine englische Partei ihrem Führer in völliger Passivität hingiebt. Unsere nationale Partei soll ihre reiche geistige Kraft selbstthätig verwerthen. Aber sie soll das Zusammenwirken mit dem Kanzler immer wieder erstreben, sie soll suchen, seinen Conceptionen gerecht zu werden, aber auch ihren Einfluß auf den¬ selben geltend zu machen. Nur soll sie zur Sicherung dieses Einflusses nicht nach mechanischen Mitteln greifen. Was trennt denn die Partei von dem Kanzler bei der Steuerreform? Doch nur, daß die Partei neben den technisch¬ politischen Erwägungen die formal-politische Erwägung der Erhöhung der Par¬ lamentsmacht durch ein mechanisches Mittel zum Hauptgesichtspunkt nimmt. So zerstört die Partei die wahre Vorbedingung ihres eigenen Strebens, nämlich die Erziehung eines einheitlichen öffentlichen Geistes durch das auf gegenseitiger Verständigung beruhende Zusammenwirken mit einem Staatsmanne von gro߬ artiger Production und Gestaltungskraft. Nur durch eine langjährige Wirksam¬ keit dieser Art könnte sich ein einheitlicher Geist in Deutschland bilden, der aus den Wurzeln eigenartiger heimischer Institutionen, welche als eine unantastbare Bürgschaft gesunder nationaler Entwicklung empfunden werden, emporwächst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/112>, abgerufen am 27.12.2024.