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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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politische Briefe.

Apparat steht, den man zu einem modernen Verfassungsstaate für unentbehrlich
hält, also mit einer dauernden, nicht jährlich nach dem Willen der budgetbe¬
schließenden Majorität widerrufbaren Gesetzgebung, mit dem Begriffe des Zwei¬
kammersystems, zu schweigen von dem Veto der Executive u. s. w. Nicht bloß
logisch, sondern thatsächlich hat Gneist nachgewiesen, daß ein solches Einnahme¬
bewilligungsrecht am allerwenigsten in England jemals einen Platz gefunden
hat. Aber Gneist hat bisher nur taube Ohren gefunden. Das kommt daher,
daß man das omnipotente englische Parlament vor Augen sieht, Und daß man
die Omnipotenz sich nicht anders erklären kann, als durch die absurde Voraus¬
setzung, das Parlament könne Mes Belieben in jedem Augenblicke die Staats¬
maschine zudrehen. Den wahren Grund der Omnipotenz wollen wir wenig¬
stens in aller Kürze angeben. Man denke sich in Preußen ein Parlament,
zusammengesetzt aus allen Oberpräsidenten, Präsidenten, Landräthen und Amts¬
vorstehern. Man denke sich, daß alle diese Aemter zwar auf königlicher Er¬
nennung beruhten, aber als Ehrenämter durch Aristokraten verwaltet würden,
welche für die technische Verwaltung eine unselbständige, unangesehene, nach dem
Willen des Vorgesetzten absetzbare Schreiberschaft -- elerksdix -- unter sich
hätten. Man denke sich diese regierende Aristokratie auf Grund eines längst
antiquirten Gegensatzes in der Grundansicht vom Staate in zwei operativ ge¬
trennte, innerlich aber vollkommen gleichartige Corps getheilt. Die Führer des
nicht am Ruder befindlichen Corps kritisiren, aber mit vollkommener Schonung
und Urbanität. Ernst gemacht wird mit der Kritik erst dann, wenn das in
der Regierung gerade paustrende Corps die Stunde der Ablösung gekommen
glaubt. Die Führer der Regierung entwickeln und vertheidigen ihre Maßregeln
und geben ihren Anhängern die Losung der Abstimmung. Aus der gerade
regierenden Partei fällt es keiner Seele ein, jemals zu opponiren oder zu kriti¬
siren. Das überläßt man ganz allein der Seite, welche gerade das Amt der
Opposition zu versehen hat, und als ein Amt wird die Opposition aufgefaßt,
zu welchem die Schonung des Gegners, vor allem aber und um jeden Preis
die Schonung des Staates gehört. Ausnahmen, wie sie neuerdings zuweilen
vorkommen, deuten bereits auf den Verfall des englischen Staates, wie man
ihn als Vorbild im Sinne hat.

Wir wollen hieran die Bemerkung schließen, wie sonderbar es ist, wenn
unsere Nationalliberalen sich beklagen, daß Fürst Bismarck niemals habe ihr
Führer werden wollen. Unter dieser Führerschaft versteht man nämlich ganz
naiv: Der Fürst soll die Führerschaft an die Partei abtreten, dafür aber der
Exeeutor der Parteiweisheit unter voller Verantwortlichkeit für das Gelingen
jedes einzelnen Beschlusses werden. Das eine aber sollte man doch von Eng¬
land lernen, daß die Partei "jemals dem Führer das Concept corrigirt, daß


politische Briefe.

Apparat steht, den man zu einem modernen Verfassungsstaate für unentbehrlich
hält, also mit einer dauernden, nicht jährlich nach dem Willen der budgetbe¬
schließenden Majorität widerrufbaren Gesetzgebung, mit dem Begriffe des Zwei¬
kammersystems, zu schweigen von dem Veto der Executive u. s. w. Nicht bloß
logisch, sondern thatsächlich hat Gneist nachgewiesen, daß ein solches Einnahme¬
bewilligungsrecht am allerwenigsten in England jemals einen Platz gefunden
hat. Aber Gneist hat bisher nur taube Ohren gefunden. Das kommt daher,
daß man das omnipotente englische Parlament vor Augen sieht, Und daß man
die Omnipotenz sich nicht anders erklären kann, als durch die absurde Voraus¬
setzung, das Parlament könne Mes Belieben in jedem Augenblicke die Staats¬
maschine zudrehen. Den wahren Grund der Omnipotenz wollen wir wenig¬
stens in aller Kürze angeben. Man denke sich in Preußen ein Parlament,
zusammengesetzt aus allen Oberpräsidenten, Präsidenten, Landräthen und Amts¬
vorstehern. Man denke sich, daß alle diese Aemter zwar auf königlicher Er¬
nennung beruhten, aber als Ehrenämter durch Aristokraten verwaltet würden,
welche für die technische Verwaltung eine unselbständige, unangesehene, nach dem
Willen des Vorgesetzten absetzbare Schreiberschaft — elerksdix — unter sich
hätten. Man denke sich diese regierende Aristokratie auf Grund eines längst
antiquirten Gegensatzes in der Grundansicht vom Staate in zwei operativ ge¬
trennte, innerlich aber vollkommen gleichartige Corps getheilt. Die Führer des
nicht am Ruder befindlichen Corps kritisiren, aber mit vollkommener Schonung
und Urbanität. Ernst gemacht wird mit der Kritik erst dann, wenn das in
der Regierung gerade paustrende Corps die Stunde der Ablösung gekommen
glaubt. Die Führer der Regierung entwickeln und vertheidigen ihre Maßregeln
und geben ihren Anhängern die Losung der Abstimmung. Aus der gerade
regierenden Partei fällt es keiner Seele ein, jemals zu opponiren oder zu kriti¬
siren. Das überläßt man ganz allein der Seite, welche gerade das Amt der
Opposition zu versehen hat, und als ein Amt wird die Opposition aufgefaßt,
zu welchem die Schonung des Gegners, vor allem aber und um jeden Preis
die Schonung des Staates gehört. Ausnahmen, wie sie neuerdings zuweilen
vorkommen, deuten bereits auf den Verfall des englischen Staates, wie man
ihn als Vorbild im Sinne hat.

Wir wollen hieran die Bemerkung schließen, wie sonderbar es ist, wenn
unsere Nationalliberalen sich beklagen, daß Fürst Bismarck niemals habe ihr
Führer werden wollen. Unter dieser Führerschaft versteht man nämlich ganz
naiv: Der Fürst soll die Führerschaft an die Partei abtreten, dafür aber der
Exeeutor der Parteiweisheit unter voller Verantwortlichkeit für das Gelingen
jedes einzelnen Beschlusses werden. Das eine aber sollte man doch von Eng¬
land lernen, daß die Partei «jemals dem Führer das Concept corrigirt, daß


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[0107] politische Briefe. Apparat steht, den man zu einem modernen Verfassungsstaate für unentbehrlich hält, also mit einer dauernden, nicht jährlich nach dem Willen der budgetbe¬ schließenden Majorität widerrufbaren Gesetzgebung, mit dem Begriffe des Zwei¬ kammersystems, zu schweigen von dem Veto der Executive u. s. w. Nicht bloß logisch, sondern thatsächlich hat Gneist nachgewiesen, daß ein solches Einnahme¬ bewilligungsrecht am allerwenigsten in England jemals einen Platz gefunden hat. Aber Gneist hat bisher nur taube Ohren gefunden. Das kommt daher, daß man das omnipotente englische Parlament vor Augen sieht, Und daß man die Omnipotenz sich nicht anders erklären kann, als durch die absurde Voraus¬ setzung, das Parlament könne Mes Belieben in jedem Augenblicke die Staats¬ maschine zudrehen. Den wahren Grund der Omnipotenz wollen wir wenig¬ stens in aller Kürze angeben. Man denke sich in Preußen ein Parlament, zusammengesetzt aus allen Oberpräsidenten, Präsidenten, Landräthen und Amts¬ vorstehern. Man denke sich, daß alle diese Aemter zwar auf königlicher Er¬ nennung beruhten, aber als Ehrenämter durch Aristokraten verwaltet würden, welche für die technische Verwaltung eine unselbständige, unangesehene, nach dem Willen des Vorgesetzten absetzbare Schreiberschaft — elerksdix — unter sich hätten. Man denke sich diese regierende Aristokratie auf Grund eines längst antiquirten Gegensatzes in der Grundansicht vom Staate in zwei operativ ge¬ trennte, innerlich aber vollkommen gleichartige Corps getheilt. Die Führer des nicht am Ruder befindlichen Corps kritisiren, aber mit vollkommener Schonung und Urbanität. Ernst gemacht wird mit der Kritik erst dann, wenn das in der Regierung gerade paustrende Corps die Stunde der Ablösung gekommen glaubt. Die Führer der Regierung entwickeln und vertheidigen ihre Maßregeln und geben ihren Anhängern die Losung der Abstimmung. Aus der gerade regierenden Partei fällt es keiner Seele ein, jemals zu opponiren oder zu kriti¬ siren. Das überläßt man ganz allein der Seite, welche gerade das Amt der Opposition zu versehen hat, und als ein Amt wird die Opposition aufgefaßt, zu welchem die Schonung des Gegners, vor allem aber und um jeden Preis die Schonung des Staates gehört. Ausnahmen, wie sie neuerdings zuweilen vorkommen, deuten bereits auf den Verfall des englischen Staates, wie man ihn als Vorbild im Sinne hat. Wir wollen hieran die Bemerkung schließen, wie sonderbar es ist, wenn unsere Nationalliberalen sich beklagen, daß Fürst Bismarck niemals habe ihr Führer werden wollen. Unter dieser Führerschaft versteht man nämlich ganz naiv: Der Fürst soll die Führerschaft an die Partei abtreten, dafür aber der Exeeutor der Parteiweisheit unter voller Verantwortlichkeit für das Gelingen jedes einzelnen Beschlusses werden. Das eine aber sollte man doch von Eng¬ land lernen, daß die Partei «jemals dem Führer das Concept corrigirt, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/107>, abgerufen am 28.12.2024.