Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Briefe.

einstimmenden Inhalt concreter Maßregeln gegründet werden soll, sondern aus
das Streben nach Macht, nach dem Besitze des Staatsruders für die parla¬
mentarische Majorität. Es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn einmal eine
Partei vorhanden sei, einig in dem Willen des Herrschens, sie auch leicht den
einigen Willen für den concreten Inhalt finden würde, mit welchem die herr¬
schende Partei den Staat zu erfüllen hat. Diese Voraussetzung ist nun aber
nicht nur willkürlich, sondern in hohem Grade thöricht. Die Partei müßte denn,
wie es nach unserer Auseinandersetzung im vorigen Briefe in England aller¬
dings der Fall ist, auf den concreten Herrscherwillen verzichten, müßte diesen
Willen dein Führer überlassen und sich für die einzelnen Mitglieder mit dem
Ertrage aller gewinnbringenden Staatsämter begnügen, in der Verwaltung der¬
selben aber die Parteidisciplin, das heißt den Ministerwillen, sklavisch beobachten.
Sollen wir wirklich auseinandersetzen, daß ein solches Parteiwesen auf deut¬
schem Boden niemals emporkommen kann und daß diese Unmöglichkeit weder
verständig denkenden noch ideal denkenden ein Bedauern einflößen kann? Viel¬
leicht nehmen wir später die Gelegenheit wahr, noch genauer darzulegen, warum
die Sache in Deutschland nicht möglich ist, wenn sie jemals trotz ihrer innern
Werthlosigkeit probirt werden sollte. Heute wollen wir uns diese Ausführung
ersparen und zunächst weiter auseinandersetzen, warum der Glaube an das
parlamentarische Regiment als an die ideale Bestimmung des modernen Staates
schädlich ist.

Wir nannten vorhin diesen Glauben einen praktischen, und als solcher zeigt
er sich namentlich darin, daß die ihm anhängenden Parteien alles mögliche thun,
ihr ganzes politisches Verhalten wesentlich darnach einrichten, um das ins Leben
zu rufen, was sie für die wesentliche Vorbedingung des parlamentarischen Regi¬
ments halten. Als die wichtigste Vorbedingung aber gilt nicht die Bildung
einer Majorität; man meint vielmehr, um den Preis, den Staat zu beherr¬
schen, würden sich alle Tage Majoritäten, bald so, bald so zusammengesetzt,
finden. Alles komme darauf an, erst diesen Preis herbeizuschaffen, das heißt
also, den Staat in die Hand des Parlaments zu geben. Das Mittel, welches,
wie man meint, dazu führen muß, den Staat in die Hand des Parlaments zu
liefern oder die Omnipotenz des Parlaments zu begründen, erblickt man in dem
unbedingten Einnahmebewilligungsrecht. Dies ist die eigentliche Vorbedingung
des parlamentarischen Regiments, auf die man immer wieder zurückkommt, erst
in diesen Tagen noch die "National-Zeitung." Nun hat bereits Gneist zu ver¬
schiedenen Malen unwiderleglich auseinandergesetzt, daß ein solches unbedingtes
Einnahmebewilligungsrecht den Staat unfehlbarer zu Grunde richten müßte als
irgend ein Vorrecht, welches jemals der polnische Reichstag besessen; daß ein
solches Recht in unansgleichbarem Gegensatz zu dem ganzen institutionellen


Politische Briefe.

einstimmenden Inhalt concreter Maßregeln gegründet werden soll, sondern aus
das Streben nach Macht, nach dem Besitze des Staatsruders für die parla¬
mentarische Majorität. Es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn einmal eine
Partei vorhanden sei, einig in dem Willen des Herrschens, sie auch leicht den
einigen Willen für den concreten Inhalt finden würde, mit welchem die herr¬
schende Partei den Staat zu erfüllen hat. Diese Voraussetzung ist nun aber
nicht nur willkürlich, sondern in hohem Grade thöricht. Die Partei müßte denn,
wie es nach unserer Auseinandersetzung im vorigen Briefe in England aller¬
dings der Fall ist, auf den concreten Herrscherwillen verzichten, müßte diesen
Willen dein Führer überlassen und sich für die einzelnen Mitglieder mit dem
Ertrage aller gewinnbringenden Staatsämter begnügen, in der Verwaltung der¬
selben aber die Parteidisciplin, das heißt den Ministerwillen, sklavisch beobachten.
Sollen wir wirklich auseinandersetzen, daß ein solches Parteiwesen auf deut¬
schem Boden niemals emporkommen kann und daß diese Unmöglichkeit weder
verständig denkenden noch ideal denkenden ein Bedauern einflößen kann? Viel¬
leicht nehmen wir später die Gelegenheit wahr, noch genauer darzulegen, warum
die Sache in Deutschland nicht möglich ist, wenn sie jemals trotz ihrer innern
Werthlosigkeit probirt werden sollte. Heute wollen wir uns diese Ausführung
ersparen und zunächst weiter auseinandersetzen, warum der Glaube an das
parlamentarische Regiment als an die ideale Bestimmung des modernen Staates
schädlich ist.

Wir nannten vorhin diesen Glauben einen praktischen, und als solcher zeigt
er sich namentlich darin, daß die ihm anhängenden Parteien alles mögliche thun,
ihr ganzes politisches Verhalten wesentlich darnach einrichten, um das ins Leben
zu rufen, was sie für die wesentliche Vorbedingung des parlamentarischen Regi¬
ments halten. Als die wichtigste Vorbedingung aber gilt nicht die Bildung
einer Majorität; man meint vielmehr, um den Preis, den Staat zu beherr¬
schen, würden sich alle Tage Majoritäten, bald so, bald so zusammengesetzt,
finden. Alles komme darauf an, erst diesen Preis herbeizuschaffen, das heißt
also, den Staat in die Hand des Parlaments zu geben. Das Mittel, welches,
wie man meint, dazu führen muß, den Staat in die Hand des Parlaments zu
liefern oder die Omnipotenz des Parlaments zu begründen, erblickt man in dem
unbedingten Einnahmebewilligungsrecht. Dies ist die eigentliche Vorbedingung
des parlamentarischen Regiments, auf die man immer wieder zurückkommt, erst
in diesen Tagen noch die „National-Zeitung." Nun hat bereits Gneist zu ver¬
schiedenen Malen unwiderleglich auseinandergesetzt, daß ein solches unbedingtes
Einnahmebewilligungsrecht den Staat unfehlbarer zu Grunde richten müßte als
irgend ein Vorrecht, welches jemals der polnische Reichstag besessen; daß ein
solches Recht in unansgleichbarem Gegensatz zu dem ganzen institutionellen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149090"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_276" prev="#ID_275"> einstimmenden Inhalt concreter Maßregeln gegründet werden soll, sondern aus<lb/>
das Streben nach Macht, nach dem Besitze des Staatsruders für die parla¬<lb/>
mentarische Majorität. Es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn einmal eine<lb/>
Partei vorhanden sei, einig in dem Willen des Herrschens, sie auch leicht den<lb/>
einigen Willen für den concreten Inhalt finden würde, mit welchem die herr¬<lb/>
schende Partei den Staat zu erfüllen hat. Diese Voraussetzung ist nun aber<lb/>
nicht nur willkürlich, sondern in hohem Grade thöricht. Die Partei müßte denn,<lb/>
wie es nach unserer Auseinandersetzung im vorigen Briefe in England aller¬<lb/>
dings der Fall ist, auf den concreten Herrscherwillen verzichten, müßte diesen<lb/>
Willen dein Führer überlassen und sich für die einzelnen Mitglieder mit dem<lb/>
Ertrage aller gewinnbringenden Staatsämter begnügen, in der Verwaltung der¬<lb/>
selben aber die Parteidisciplin, das heißt den Ministerwillen, sklavisch beobachten.<lb/>
Sollen wir wirklich auseinandersetzen, daß ein solches Parteiwesen auf deut¬<lb/>
schem Boden niemals emporkommen kann und daß diese Unmöglichkeit weder<lb/>
verständig denkenden noch ideal denkenden ein Bedauern einflößen kann? Viel¬<lb/>
leicht nehmen wir später die Gelegenheit wahr, noch genauer darzulegen, warum<lb/>
die Sache in Deutschland nicht möglich ist, wenn sie jemals trotz ihrer innern<lb/>
Werthlosigkeit probirt werden sollte. Heute wollen wir uns diese Ausführung<lb/>
ersparen und zunächst weiter auseinandersetzen, warum der Glaube an das<lb/>
parlamentarische Regiment als an die ideale Bestimmung des modernen Staates<lb/>
schädlich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_277" next="#ID_278"> Wir nannten vorhin diesen Glauben einen praktischen, und als solcher zeigt<lb/>
er sich namentlich darin, daß die ihm anhängenden Parteien alles mögliche thun,<lb/>
ihr ganzes politisches Verhalten wesentlich darnach einrichten, um das ins Leben<lb/>
zu rufen, was sie für die wesentliche Vorbedingung des parlamentarischen Regi¬<lb/>
ments halten. Als die wichtigste Vorbedingung aber gilt nicht die Bildung<lb/>
einer Majorität; man meint vielmehr, um den Preis, den Staat zu beherr¬<lb/>
schen, würden sich alle Tage Majoritäten, bald so, bald so zusammengesetzt,<lb/>
finden. Alles komme darauf an, erst diesen Preis herbeizuschaffen, das heißt<lb/>
also, den Staat in die Hand des Parlaments zu geben. Das Mittel, welches,<lb/>
wie man meint, dazu führen muß, den Staat in die Hand des Parlaments zu<lb/>
liefern oder die Omnipotenz des Parlaments zu begründen, erblickt man in dem<lb/>
unbedingten Einnahmebewilligungsrecht. Dies ist die eigentliche Vorbedingung<lb/>
des parlamentarischen Regiments, auf die man immer wieder zurückkommt, erst<lb/>
in diesen Tagen noch die &#x201E;National-Zeitung." Nun hat bereits Gneist zu ver¬<lb/>
schiedenen Malen unwiderleglich auseinandergesetzt, daß ein solches unbedingtes<lb/>
Einnahmebewilligungsrecht den Staat unfehlbarer zu Grunde richten müßte als<lb/>
irgend ein Vorrecht, welches jemals der polnische Reichstag besessen; daß ein<lb/>
solches Recht in unansgleichbarem Gegensatz zu dem ganzen institutionellen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] Politische Briefe. einstimmenden Inhalt concreter Maßregeln gegründet werden soll, sondern aus das Streben nach Macht, nach dem Besitze des Staatsruders für die parla¬ mentarische Majorität. Es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn einmal eine Partei vorhanden sei, einig in dem Willen des Herrschens, sie auch leicht den einigen Willen für den concreten Inhalt finden würde, mit welchem die herr¬ schende Partei den Staat zu erfüllen hat. Diese Voraussetzung ist nun aber nicht nur willkürlich, sondern in hohem Grade thöricht. Die Partei müßte denn, wie es nach unserer Auseinandersetzung im vorigen Briefe in England aller¬ dings der Fall ist, auf den concreten Herrscherwillen verzichten, müßte diesen Willen dein Führer überlassen und sich für die einzelnen Mitglieder mit dem Ertrage aller gewinnbringenden Staatsämter begnügen, in der Verwaltung der¬ selben aber die Parteidisciplin, das heißt den Ministerwillen, sklavisch beobachten. Sollen wir wirklich auseinandersetzen, daß ein solches Parteiwesen auf deut¬ schem Boden niemals emporkommen kann und daß diese Unmöglichkeit weder verständig denkenden noch ideal denkenden ein Bedauern einflößen kann? Viel¬ leicht nehmen wir später die Gelegenheit wahr, noch genauer darzulegen, warum die Sache in Deutschland nicht möglich ist, wenn sie jemals trotz ihrer innern Werthlosigkeit probirt werden sollte. Heute wollen wir uns diese Ausführung ersparen und zunächst weiter auseinandersetzen, warum der Glaube an das parlamentarische Regiment als an die ideale Bestimmung des modernen Staates schädlich ist. Wir nannten vorhin diesen Glauben einen praktischen, und als solcher zeigt er sich namentlich darin, daß die ihm anhängenden Parteien alles mögliche thun, ihr ganzes politisches Verhalten wesentlich darnach einrichten, um das ins Leben zu rufen, was sie für die wesentliche Vorbedingung des parlamentarischen Regi¬ ments halten. Als die wichtigste Vorbedingung aber gilt nicht die Bildung einer Majorität; man meint vielmehr, um den Preis, den Staat zu beherr¬ schen, würden sich alle Tage Majoritäten, bald so, bald so zusammengesetzt, finden. Alles komme darauf an, erst diesen Preis herbeizuschaffen, das heißt also, den Staat in die Hand des Parlaments zu geben. Das Mittel, welches, wie man meint, dazu führen muß, den Staat in die Hand des Parlaments zu liefern oder die Omnipotenz des Parlaments zu begründen, erblickt man in dem unbedingten Einnahmebewilligungsrecht. Dies ist die eigentliche Vorbedingung des parlamentarischen Regiments, auf die man immer wieder zurückkommt, erst in diesen Tagen noch die „National-Zeitung." Nun hat bereits Gneist zu ver¬ schiedenen Malen unwiderleglich auseinandergesetzt, daß ein solches unbedingtes Einnahmebewilligungsrecht den Staat unfehlbarer zu Grunde richten müßte als irgend ein Vorrecht, welches jemals der polnische Reichstag besessen; daß ein solches Recht in unansgleichbarem Gegensatz zu dem ganzen institutionellen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/106
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/106>, abgerufen am 27.12.2024.