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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Treue, der Pietät und der Vaterlandsliebe gehuldigt wird. Sind dies doch
die im Geiste wiedergeborenen Göttergestalten der antiken Welt, die von den
Ariern Griechenlands in naiver Unmittelbarkeit auf Postamenten in Marmor
und auf dem Cothuru in Versen verherrlicht worden waren. Unter dem lor¬
beerumwundenen Scepter unserer Classiker schien sich in der That eine voll-
giltige Resurreetion der Bühne im nationalen Sinne vollziehen zu sollen. Die
deutschen Fürsten nahmen sich der edlen, auf unseren: Boden neuen Kunst mit
Hingebung und Aufopferung an. Sie bezahlten Dichter und Mimen aus ihrer
Chatoulle, die Vorstellungen waren auf Erhebung der Geister berechnet, die
Eintrittsgelder für die Menge nur nominelle -- kurz die Bühne wurde in dem
Sinne ihrer wahren Aufgabe geleitet, daß sie uicht dem Vergnügen und der
Schaulust dienen solle, sondern einem Cultus. Der hohe, edle Geist, der von
ihr ausströmte, belebte alle Gemüther, machte unser Volk großherzig und erfüllte
es mit einer Kraft, welche Deutschland neugeboren aus der erwürgenden Um-
garuung des Corsen hervorgehen ließ.

Und heute? Es ist kaum ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Altmeister
Goethe die Augen schloß, und zehn Jahre mehr als ein volles Jahrhundert,
seit Lessing seine Dramaturgie schrieb. Zwischen diesen beideu Daten liegt eine
Periode der höchsten Blüthe der Schauspielkunst. Daß beide Heroen unserer
Literatur Grund hatten, mit der Bühne ihrer Zeit persönlich unzufrieden zu
fein, daß sie beide ihre Thätigkeit als Kritiker und Regisseur aufgaben, beweist
nichts weiter, als daß es eben allezeit in Bühnenangelegenheiten menschlich her¬
ging. Wir müssen vermuthen, daß auch die griechischen Mimen und Dichter
nicht immer ihrer Eifersucht oder ihrem Eigensinn die nöthigen Schranken setzten.
In der Totalität aber tritt uns das Bild der griechischen Bühne als das einer
nationalen Institution entgegen. Und so war es auch mit der deutschen Bühne
unserer Classiker und ihrer Nacheiferer Iffland und Immermann. Es war eine
deutsche Bühne -- nicht aber eine Judenbühne, wie es das Theater in Deutsch¬
land heutzutage ist, wo, nachdem alle Auspicien uns betrogen zu haben scheinen
und das Loch größer geworden ist als die Rechnung, selbst Richard Wagner
nicht ohne seinen Satelliten Davidsohn Athem schöpfen kann.

Noch Lessing sagt in einem der ersten Abschnitte seiner Hamburgischen Drama¬
turgie, ein Jude werde es nie wagen können, als Darsteller die Bühne zu betreten.
Sein Gang, seine Sprache und Sprechweise, seine Gesten sind nicht die des Ger¬
manen, und das Volk verlangt auf der Bühne doch sein Vorbild zu sehen. Es
ist ihm nicht zuzumuthen, orientalische Manieren in diesem Sinne aufzunehmen.
Wir wüßten auch nicht ein einziges Beispiel, daß in dieser Zeit der Blüthe
der Schauspielkunst selbst ein Nathan oder ein Schewa von einem Juden wäre
dargestellt worden. Goethe hatte bekanntlich eine persönliche Antipathie gegen


Grenzboten IV. 1880. ö

Treue, der Pietät und der Vaterlandsliebe gehuldigt wird. Sind dies doch
die im Geiste wiedergeborenen Göttergestalten der antiken Welt, die von den
Ariern Griechenlands in naiver Unmittelbarkeit auf Postamenten in Marmor
und auf dem Cothuru in Versen verherrlicht worden waren. Unter dem lor¬
beerumwundenen Scepter unserer Classiker schien sich in der That eine voll-
giltige Resurreetion der Bühne im nationalen Sinne vollziehen zu sollen. Die
deutschen Fürsten nahmen sich der edlen, auf unseren: Boden neuen Kunst mit
Hingebung und Aufopferung an. Sie bezahlten Dichter und Mimen aus ihrer
Chatoulle, die Vorstellungen waren auf Erhebung der Geister berechnet, die
Eintrittsgelder für die Menge nur nominelle — kurz die Bühne wurde in dem
Sinne ihrer wahren Aufgabe geleitet, daß sie uicht dem Vergnügen und der
Schaulust dienen solle, sondern einem Cultus. Der hohe, edle Geist, der von
ihr ausströmte, belebte alle Gemüther, machte unser Volk großherzig und erfüllte
es mit einer Kraft, welche Deutschland neugeboren aus der erwürgenden Um-
garuung des Corsen hervorgehen ließ.

Und heute? Es ist kaum ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Altmeister
Goethe die Augen schloß, und zehn Jahre mehr als ein volles Jahrhundert,
seit Lessing seine Dramaturgie schrieb. Zwischen diesen beideu Daten liegt eine
Periode der höchsten Blüthe der Schauspielkunst. Daß beide Heroen unserer
Literatur Grund hatten, mit der Bühne ihrer Zeit persönlich unzufrieden zu
fein, daß sie beide ihre Thätigkeit als Kritiker und Regisseur aufgaben, beweist
nichts weiter, als daß es eben allezeit in Bühnenangelegenheiten menschlich her¬
ging. Wir müssen vermuthen, daß auch die griechischen Mimen und Dichter
nicht immer ihrer Eifersucht oder ihrem Eigensinn die nöthigen Schranken setzten.
In der Totalität aber tritt uns das Bild der griechischen Bühne als das einer
nationalen Institution entgegen. Und so war es auch mit der deutschen Bühne
unserer Classiker und ihrer Nacheiferer Iffland und Immermann. Es war eine
deutsche Bühne — nicht aber eine Judenbühne, wie es das Theater in Deutsch¬
land heutzutage ist, wo, nachdem alle Auspicien uns betrogen zu haben scheinen
und das Loch größer geworden ist als die Rechnung, selbst Richard Wagner
nicht ohne seinen Satelliten Davidsohn Athem schöpfen kann.

Noch Lessing sagt in einem der ersten Abschnitte seiner Hamburgischen Drama¬
turgie, ein Jude werde es nie wagen können, als Darsteller die Bühne zu betreten.
Sein Gang, seine Sprache und Sprechweise, seine Gesten sind nicht die des Ger¬
manen, und das Volk verlangt auf der Bühne doch sein Vorbild zu sehen. Es
ist ihm nicht zuzumuthen, orientalische Manieren in diesem Sinne aufzunehmen.
Wir wüßten auch nicht ein einziges Beispiel, daß in dieser Zeit der Blüthe
der Schauspielkunst selbst ein Nathan oder ein Schewa von einem Juden wäre
dargestellt worden. Goethe hatte bekanntlich eine persönliche Antipathie gegen


Grenzboten IV. 1880. ö
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[0037] Treue, der Pietät und der Vaterlandsliebe gehuldigt wird. Sind dies doch die im Geiste wiedergeborenen Göttergestalten der antiken Welt, die von den Ariern Griechenlands in naiver Unmittelbarkeit auf Postamenten in Marmor und auf dem Cothuru in Versen verherrlicht worden waren. Unter dem lor¬ beerumwundenen Scepter unserer Classiker schien sich in der That eine voll- giltige Resurreetion der Bühne im nationalen Sinne vollziehen zu sollen. Die deutschen Fürsten nahmen sich der edlen, auf unseren: Boden neuen Kunst mit Hingebung und Aufopferung an. Sie bezahlten Dichter und Mimen aus ihrer Chatoulle, die Vorstellungen waren auf Erhebung der Geister berechnet, die Eintrittsgelder für die Menge nur nominelle — kurz die Bühne wurde in dem Sinne ihrer wahren Aufgabe geleitet, daß sie uicht dem Vergnügen und der Schaulust dienen solle, sondern einem Cultus. Der hohe, edle Geist, der von ihr ausströmte, belebte alle Gemüther, machte unser Volk großherzig und erfüllte es mit einer Kraft, welche Deutschland neugeboren aus der erwürgenden Um- garuung des Corsen hervorgehen ließ. Und heute? Es ist kaum ein halbes Jahrhundert verflossen, seit Altmeister Goethe die Augen schloß, und zehn Jahre mehr als ein volles Jahrhundert, seit Lessing seine Dramaturgie schrieb. Zwischen diesen beideu Daten liegt eine Periode der höchsten Blüthe der Schauspielkunst. Daß beide Heroen unserer Literatur Grund hatten, mit der Bühne ihrer Zeit persönlich unzufrieden zu fein, daß sie beide ihre Thätigkeit als Kritiker und Regisseur aufgaben, beweist nichts weiter, als daß es eben allezeit in Bühnenangelegenheiten menschlich her¬ ging. Wir müssen vermuthen, daß auch die griechischen Mimen und Dichter nicht immer ihrer Eifersucht oder ihrem Eigensinn die nöthigen Schranken setzten. In der Totalität aber tritt uns das Bild der griechischen Bühne als das einer nationalen Institution entgegen. Und so war es auch mit der deutschen Bühne unserer Classiker und ihrer Nacheiferer Iffland und Immermann. Es war eine deutsche Bühne — nicht aber eine Judenbühne, wie es das Theater in Deutsch¬ land heutzutage ist, wo, nachdem alle Auspicien uns betrogen zu haben scheinen und das Loch größer geworden ist als die Rechnung, selbst Richard Wagner nicht ohne seinen Satelliten Davidsohn Athem schöpfen kann. Noch Lessing sagt in einem der ersten Abschnitte seiner Hamburgischen Drama¬ turgie, ein Jude werde es nie wagen können, als Darsteller die Bühne zu betreten. Sein Gang, seine Sprache und Sprechweise, seine Gesten sind nicht die des Ger¬ manen, und das Volk verlangt auf der Bühne doch sein Vorbild zu sehen. Es ist ihm nicht zuzumuthen, orientalische Manieren in diesem Sinne aufzunehmen. Wir wüßten auch nicht ein einziges Beispiel, daß in dieser Zeit der Blüthe der Schauspielkunst selbst ein Nathan oder ein Schewa von einem Juden wäre dargestellt worden. Goethe hatte bekanntlich eine persönliche Antipathie gegen Grenzboten IV. 1880. ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/37>, abgerufen am 28.12.2024.