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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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in der Mehrzahl der Fälle) der echte innere Antrieb zur Kunst von seiner eiteln
Nachäffung unterschieden werden kann. Die rührende Bewußtlosigkeit, mit
welcher der arme Knabe aus dem Ackerstädtchen Pulsnitz seine früh hervor¬
tretende Begabung anfänglich ausübt, die schlichte Selbstbescheidung, mit der er,
nachdem ihm Wesen, Macht und Umfang der Kunst in seinen Lehrjahren
einigermaßen aufgegangen, sich selbst einen untergeordneten, dienenden Platz
anweist, und das erste Regen eines starken, tiefberechtigten Selbstgefühls,
nachdem er schon einen ungewöhnlichen Grad des Könnens erreicht hat --
diese Momente wirken alle gleich ergreifend, gleich überzeugend und sehr
gegensätzlich zu dem, was wir von der Entwicklung der Halbtalente wissen.
Rietschel stellt diese einzelnen Entwicklungsmomente mit einer wundersamen
Prägnanz des Ausdrucks dar; er, der sich nie ein literarisches Talent
zugetraut, beschämt hier manchen Schriftsteller. Als er mit seinem armen
Bater, dem Kirchner von Pulsnitz, geht, um sich für die Dresdner Akademie
anzumelden, erzählt er: "Ich ging mit meinem Vater nach Dresden -- mit
wunderlichen Gefühlen. Die Aussicht auf eine nicht geahnte und gehoffte Er¬
füllung von Wünschen, deren ich mir selbst nicht recht bewußt geworden war,
brachte mich in eine Spannung und Erregung, wie wenn ein ungeheures Ereig-
niß, das einem so fern, so unmöglich geschienen, auf einmal zur
Wahrheit geworden. Ich konnte nicht sagen, daß die Kunst als solche es war,
die mich erfüllte; ich kannte von der Kunst nichts, hatte nie ein Kunstwerk ge¬
sehen, weder Gemälde noch Sculptur, das auf den Namen eines solchen Anspruch
machen durfte. Niemand hatte mit mir davon gesprochen, ich hatte von
Akademien das erste Mal durch den Handlungscommis gehört. Wesen, Idee
und Bedeutung der Kunst waren mir unbekannt, mich erfüllte nur die Lust, ja
Leidenschaft am Zeichnen und Malen, jeden Gegenstand aufzunehmen und ihn
mit aller Liebe und Hingebung darzustellen. Ich dachte mir, daß es nun mein
Ziel werden würde, das, was ich bisher erstrebt, mit höchster Vollkommenheit
auszuüben und mit allem Denken, Thun und Genießen in der vollen Hingabe
daran aufzugehen." Und weiter, einige Jahre später, als er sich entschließt, sich
für das Eisenhüttenwerk Lauchhammer als Modelleur auszubilden, welche männ¬
liche Resignation, und doch, welche ruhige Zuversicht auf eine andere Zukunft!
Und endlich, nach manchem Studienjahr in Berlin unter Rauchs strenger aber
fördernder Leitung, das Erwachen des unentbehrlichen künstlerischen Selbstbewußt¬
seins: "Während ich mich an meinem David mühte, rückte die jährliche Concurrenz
um das akademische Reisestipendium nach Italien heran. Als Ausländer (Sachse)
konnte ich es nicht erhalten, doch mitconeurrieren durfte ich. Rauch hatte nichts
dagegen, meine ältern Mitschüler lächelten über diese Keckheit. Ich selbst fühlte
mich in technischer und praktischer Hinsicht weit hinter ihnen, doch wußte ich


Grenzboten IV. 1880. 48

in der Mehrzahl der Fälle) der echte innere Antrieb zur Kunst von seiner eiteln
Nachäffung unterschieden werden kann. Die rührende Bewußtlosigkeit, mit
welcher der arme Knabe aus dem Ackerstädtchen Pulsnitz seine früh hervor¬
tretende Begabung anfänglich ausübt, die schlichte Selbstbescheidung, mit der er,
nachdem ihm Wesen, Macht und Umfang der Kunst in seinen Lehrjahren
einigermaßen aufgegangen, sich selbst einen untergeordneten, dienenden Platz
anweist, und das erste Regen eines starken, tiefberechtigten Selbstgefühls,
nachdem er schon einen ungewöhnlichen Grad des Könnens erreicht hat —
diese Momente wirken alle gleich ergreifend, gleich überzeugend und sehr
gegensätzlich zu dem, was wir von der Entwicklung der Halbtalente wissen.
Rietschel stellt diese einzelnen Entwicklungsmomente mit einer wundersamen
Prägnanz des Ausdrucks dar; er, der sich nie ein literarisches Talent
zugetraut, beschämt hier manchen Schriftsteller. Als er mit seinem armen
Bater, dem Kirchner von Pulsnitz, geht, um sich für die Dresdner Akademie
anzumelden, erzählt er: „Ich ging mit meinem Vater nach Dresden — mit
wunderlichen Gefühlen. Die Aussicht auf eine nicht geahnte und gehoffte Er¬
füllung von Wünschen, deren ich mir selbst nicht recht bewußt geworden war,
brachte mich in eine Spannung und Erregung, wie wenn ein ungeheures Ereig-
niß, das einem so fern, so unmöglich geschienen, auf einmal zur
Wahrheit geworden. Ich konnte nicht sagen, daß die Kunst als solche es war,
die mich erfüllte; ich kannte von der Kunst nichts, hatte nie ein Kunstwerk ge¬
sehen, weder Gemälde noch Sculptur, das auf den Namen eines solchen Anspruch
machen durfte. Niemand hatte mit mir davon gesprochen, ich hatte von
Akademien das erste Mal durch den Handlungscommis gehört. Wesen, Idee
und Bedeutung der Kunst waren mir unbekannt, mich erfüllte nur die Lust, ja
Leidenschaft am Zeichnen und Malen, jeden Gegenstand aufzunehmen und ihn
mit aller Liebe und Hingebung darzustellen. Ich dachte mir, daß es nun mein
Ziel werden würde, das, was ich bisher erstrebt, mit höchster Vollkommenheit
auszuüben und mit allem Denken, Thun und Genießen in der vollen Hingabe
daran aufzugehen." Und weiter, einige Jahre später, als er sich entschließt, sich
für das Eisenhüttenwerk Lauchhammer als Modelleur auszubilden, welche männ¬
liche Resignation, und doch, welche ruhige Zuversicht auf eine andere Zukunft!
Und endlich, nach manchem Studienjahr in Berlin unter Rauchs strenger aber
fördernder Leitung, das Erwachen des unentbehrlichen künstlerischen Selbstbewußt¬
seins: „Während ich mich an meinem David mühte, rückte die jährliche Concurrenz
um das akademische Reisestipendium nach Italien heran. Als Ausländer (Sachse)
konnte ich es nicht erhalten, doch mitconeurrieren durfte ich. Rauch hatte nichts
dagegen, meine ältern Mitschüler lächelten über diese Keckheit. Ich selbst fühlte
mich in technischer und praktischer Hinsicht weit hinter ihnen, doch wußte ich


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[0369] in der Mehrzahl der Fälle) der echte innere Antrieb zur Kunst von seiner eiteln Nachäffung unterschieden werden kann. Die rührende Bewußtlosigkeit, mit welcher der arme Knabe aus dem Ackerstädtchen Pulsnitz seine früh hervor¬ tretende Begabung anfänglich ausübt, die schlichte Selbstbescheidung, mit der er, nachdem ihm Wesen, Macht und Umfang der Kunst in seinen Lehrjahren einigermaßen aufgegangen, sich selbst einen untergeordneten, dienenden Platz anweist, und das erste Regen eines starken, tiefberechtigten Selbstgefühls, nachdem er schon einen ungewöhnlichen Grad des Könnens erreicht hat — diese Momente wirken alle gleich ergreifend, gleich überzeugend und sehr gegensätzlich zu dem, was wir von der Entwicklung der Halbtalente wissen. Rietschel stellt diese einzelnen Entwicklungsmomente mit einer wundersamen Prägnanz des Ausdrucks dar; er, der sich nie ein literarisches Talent zugetraut, beschämt hier manchen Schriftsteller. Als er mit seinem armen Bater, dem Kirchner von Pulsnitz, geht, um sich für die Dresdner Akademie anzumelden, erzählt er: „Ich ging mit meinem Vater nach Dresden — mit wunderlichen Gefühlen. Die Aussicht auf eine nicht geahnte und gehoffte Er¬ füllung von Wünschen, deren ich mir selbst nicht recht bewußt geworden war, brachte mich in eine Spannung und Erregung, wie wenn ein ungeheures Ereig- niß, das einem so fern, so unmöglich geschienen, auf einmal zur Wahrheit geworden. Ich konnte nicht sagen, daß die Kunst als solche es war, die mich erfüllte; ich kannte von der Kunst nichts, hatte nie ein Kunstwerk ge¬ sehen, weder Gemälde noch Sculptur, das auf den Namen eines solchen Anspruch machen durfte. Niemand hatte mit mir davon gesprochen, ich hatte von Akademien das erste Mal durch den Handlungscommis gehört. Wesen, Idee und Bedeutung der Kunst waren mir unbekannt, mich erfüllte nur die Lust, ja Leidenschaft am Zeichnen und Malen, jeden Gegenstand aufzunehmen und ihn mit aller Liebe und Hingebung darzustellen. Ich dachte mir, daß es nun mein Ziel werden würde, das, was ich bisher erstrebt, mit höchster Vollkommenheit auszuüben und mit allem Denken, Thun und Genießen in der vollen Hingabe daran aufzugehen." Und weiter, einige Jahre später, als er sich entschließt, sich für das Eisenhüttenwerk Lauchhammer als Modelleur auszubilden, welche männ¬ liche Resignation, und doch, welche ruhige Zuversicht auf eine andere Zukunft! Und endlich, nach manchem Studienjahr in Berlin unter Rauchs strenger aber fördernder Leitung, das Erwachen des unentbehrlichen künstlerischen Selbstbewußt¬ seins: „Während ich mich an meinem David mühte, rückte die jährliche Concurrenz um das akademische Reisestipendium nach Italien heran. Als Ausländer (Sachse) konnte ich es nicht erhalten, doch mitconeurrieren durfte ich. Rauch hatte nichts dagegen, meine ältern Mitschüler lächelten über diese Keckheit. Ich selbst fühlte mich in technischer und praktischer Hinsicht weit hinter ihnen, doch wußte ich Grenzboten IV. 1880. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/369>, abgerufen am 29.12.2024.