Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.Protesten bewaffnet, vornehme Genossen aus dem Laienstande, die Glocken Viel ernster war und ist der Kampf, den der Staat in der letzten Zeit mit Protesten bewaffnet, vornehme Genossen aus dem Laienstande, die Glocken Viel ernster war und ist der Kampf, den der Staat in der letzten Zeit mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147985"/> <p xml:id="ID_921" prev="#ID_920"> Protesten bewaffnet, vornehme Genossen aus dem Laienstande, die Glocken<lb/> wurden geläutet, schwarzgekleidete Damen hatten sich eingestellt, die, als man sie<lb/> entfernen wollte, sich an die Stäbe der Gitter anklammerten und weinend eine<lb/> Hymne an die Jungfrau anstimmten, während die Mönche selbst, nachdem sie<lb/> die Führer der Polizei feierlichst in deu Bann gethan, sich mit Gewalt ans die<lb/> Straße hinausschieben ließen, wo ihre Freundinnen den „Märtyrern" den Weg<lb/> mit Blumen bestreuten. Der Zweck dieser staatsseiudlicheu Demonstrationen<lb/> war, den Ausgetriebenen die Sympathie der Bevölkerung zuzuwenden, wobei<lb/> man vermuthlich darauf rechnete, daß sich in gewissen leicht entzündlichen Di-<lb/> stricten, wo die Klerikalen die Mehrheit oder doch eine starke Minderheit bilden,<lb/> daraus der Bürgerkrieg entwickeln würde. Dazu bediente man sich aller der<lb/> dramatischen Requisiten, die der römischen Kirche so reichlich zu Gebote stehen,<lb/> um Dingen, die an sich lächerlich waren, Würde zu verleihen und sie, die, wie<lb/> man hinter den Coulissen wissen mußte, ein wesenloser Schein waren, als etwas<lb/> Wirkliches erscheinen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_922" next="#ID_923"> Viel ernster war und ist der Kampf, den der Staat in der letzten Zeit mit<lb/> dein ultramontanen Klerus in Belgien zu bestehen hatte, und der noch fortwährt.<lb/> Wiederholt ist hier die klerikale Partei obenauf gewesen, bis vor kurzem gehörte die<lb/> Majorität der Abgeordneten ihr an, und die Minister regierten in ihrem Geiste,<lb/> soweit es irgend thunlich war. Als die Liberalen, die hier das Interesse des<lb/> Staats vertreten, ans Ruder kamen, wurde dies anders, und es wurden die<lb/> bekannten Unterrichtsgesetze erlassen und ausgeführt. Dagegen erhob sich von<lb/> Seiten der Römlinge ein Sturm, vor dein das Land in seinen Grundfesten er¬<lb/> bebte. Die Bischöfe leisteten den hartnäckigsten Widerstand, die niedere Geist¬<lb/> lichkeit hetzte und wühlte mit allen Kräften, und ein großer Theil des Volkes<lb/> schloß sich ihnen an. Die Curie verhielt sich erst zweideutig, sie schien es mit<lb/> der Regierung nicht ganz verderben zu wollen, schürte aber im Stillen das Feuer,<lb/> indem sie deu Klerus in seinem staatsfeindlichen Gebahren ermunterte, und so<lb/> kam es schließlich zur Abberufung des belgischen Gesandten am päpstlichen Hofe.<lb/> Seitdem sind viele Geistliche geradezu aus Rand und Band. Sie fordern von<lb/> der Kanzel offen zum Aufstande mit den Waffen in der Hand, ja zur Ermor¬<lb/> dung der liberalen Deputierten und selbst des Königs auf. Um nur ein Bei¬<lb/> spiel für diese Agitation anzuführen, sei an den Criminalproeeß des Pfarrers<lb/> zu Pfades erinnert. Dieser Schurke im Priesterrocke erdreistete sich, wie zeugeu-<lb/> eidlich erwiesen ist, zur Zeit der Unterzeichnung des Schulgesetzes in der Kirche<lb/> beim Gottesdienste einer unerhört frechen und verbrecherischen Sprache. In<lb/> einer Predigt, die er vor den letzten Wahlen hielt, sagte er: „Ergreift eure<lb/> Flinten und tödtet erst den König, dann die Minister; denn das sind Räuber."<lb/> Zu Brilly de ^Peches rief er der Gemeinde von der Kanzel herab zu: „Hätten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Protesten bewaffnet, vornehme Genossen aus dem Laienstande, die Glocken
wurden geläutet, schwarzgekleidete Damen hatten sich eingestellt, die, als man sie
entfernen wollte, sich an die Stäbe der Gitter anklammerten und weinend eine
Hymne an die Jungfrau anstimmten, während die Mönche selbst, nachdem sie
die Führer der Polizei feierlichst in deu Bann gethan, sich mit Gewalt ans die
Straße hinausschieben ließen, wo ihre Freundinnen den „Märtyrern" den Weg
mit Blumen bestreuten. Der Zweck dieser staatsseiudlicheu Demonstrationen
war, den Ausgetriebenen die Sympathie der Bevölkerung zuzuwenden, wobei
man vermuthlich darauf rechnete, daß sich in gewissen leicht entzündlichen Di-
stricten, wo die Klerikalen die Mehrheit oder doch eine starke Minderheit bilden,
daraus der Bürgerkrieg entwickeln würde. Dazu bediente man sich aller der
dramatischen Requisiten, die der römischen Kirche so reichlich zu Gebote stehen,
um Dingen, die an sich lächerlich waren, Würde zu verleihen und sie, die, wie
man hinter den Coulissen wissen mußte, ein wesenloser Schein waren, als etwas
Wirkliches erscheinen zu lassen.
Viel ernster war und ist der Kampf, den der Staat in der letzten Zeit mit
dein ultramontanen Klerus in Belgien zu bestehen hatte, und der noch fortwährt.
Wiederholt ist hier die klerikale Partei obenauf gewesen, bis vor kurzem gehörte die
Majorität der Abgeordneten ihr an, und die Minister regierten in ihrem Geiste,
soweit es irgend thunlich war. Als die Liberalen, die hier das Interesse des
Staats vertreten, ans Ruder kamen, wurde dies anders, und es wurden die
bekannten Unterrichtsgesetze erlassen und ausgeführt. Dagegen erhob sich von
Seiten der Römlinge ein Sturm, vor dein das Land in seinen Grundfesten er¬
bebte. Die Bischöfe leisteten den hartnäckigsten Widerstand, die niedere Geist¬
lichkeit hetzte und wühlte mit allen Kräften, und ein großer Theil des Volkes
schloß sich ihnen an. Die Curie verhielt sich erst zweideutig, sie schien es mit
der Regierung nicht ganz verderben zu wollen, schürte aber im Stillen das Feuer,
indem sie deu Klerus in seinem staatsfeindlichen Gebahren ermunterte, und so
kam es schließlich zur Abberufung des belgischen Gesandten am päpstlichen Hofe.
Seitdem sind viele Geistliche geradezu aus Rand und Band. Sie fordern von
der Kanzel offen zum Aufstande mit den Waffen in der Hand, ja zur Ermor¬
dung der liberalen Deputierten und selbst des Königs auf. Um nur ein Bei¬
spiel für diese Agitation anzuführen, sei an den Criminalproeeß des Pfarrers
zu Pfades erinnert. Dieser Schurke im Priesterrocke erdreistete sich, wie zeugeu-
eidlich erwiesen ist, zur Zeit der Unterzeichnung des Schulgesetzes in der Kirche
beim Gottesdienste einer unerhört frechen und verbrecherischen Sprache. In
einer Predigt, die er vor den letzten Wahlen hielt, sagte er: „Ergreift eure
Flinten und tödtet erst den König, dann die Minister; denn das sind Räuber."
Zu Brilly de ^Peches rief er der Gemeinde von der Kanzel herab zu: „Hätten
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