Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.wenn man ferner bedenkt, daß doch ein guter Theil der Lehrstunden keine so Eins freilich muß man von den Primanern, wenn sie täglich 8 bis 9 wenn man ferner bedenkt, daß doch ein guter Theil der Lehrstunden keine so Eins freilich muß man von den Primanern, wenn sie täglich 8 bis 9 <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147675"/> <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> wenn man ferner bedenkt, daß doch ein guter Theil der Lehrstunden keine so<lb/> energische Denkthätigkeit in Anspruch nimmt, daß das Gehirn darunter leiden<lb/> könnte, wenn man endlich in Erwägung zieht, daß auf je sechs Arbeitstage der<lb/> von Arbeiten freie Sonntag folgt, wenn man schließlich nicht vergißt, daß die<lb/> Ferien, die etwa den fünften Theil des Jahres ausmachen, eine willkommene<lb/> Zeit der Erholung für Leib und Seele darbieten. Ist freilich das heranwachsende<lb/> Geschlecht in seiner Mehrheit bereits so weit auf der Bahn der „nervösen Con-<lb/> stitution" fortgeschritten, daß es ein derart gestaltetes Arbeitsmaß ohne Gefahr<lb/> des Irrsinns nicht ertragen kann, so steht es schlimm, sehr schlimm um unsere<lb/> Nation. Dann sind unsere Gymnasien nicht mehr im Stande, denjenigen Theil<lb/> des Volkes heranzubilden, der als eine Aristokratie des Geistes seinen Zeit¬<lb/> genossen vorangehen soll, und es wäre vielleicht besser, sie zu schließen und<lb/> Anstalten für geistig Gebrechliche daraus zu machen. Die 6 bis 7 geistig Ge¬<lb/> störten zu Königslutter sind aber doch Gott sei Dank noch kein genügender<lb/> Grund, um so schlimmen Befürchtungen sich hinzugeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_72" next="#ID_73"> Eins freilich muß man von den Primanern, wenn sie täglich 8 bis 9<lb/> Stunden ohne Gefahr für ihr leibliches und geistes Gedeihen arbeiten sollen,<lb/> verlangen, dieses nämlich, daß sie nicht ihre freie Zeit, anstatt sie zu Spaziergängen<lb/> und heiteren Gesprächen, zu leichter Lectüre und geselligem Verkehr in der<lb/> Familie zu verwenden, in der dumpfen Luft der Wirthsstube hinter dem Bier¬<lb/> kruge verbringen. Denn nichts dürfte dem jugendlichen Gehirn gefährlicher<lb/> fein, nichts zerrüttender auf die ganze Seelenthätigkeit einwirken, als geistige<lb/> Arbeit nach dem Genusse spirituöser Getränke. Daß aber solche Gefahr vor¬<lb/> handen ist, daß sie nicht bloß wie ein drohendes Gespenst über unseren Gym¬<lb/> nasien schwebt, soudern bereits wie ein giftiger Krebsschaden hie und da sich<lb/> eingefressen hat, ist keinem Kundigen verborgen. In Preußen hat der Cultus¬<lb/> minister sich veranlaßt gesehen, durch Rescript vom 29. Mai 1880 (Centralbl.<lb/> 1880, Seite 572 fg.) die energischsten Maßregeln anzuordnen, um die auf den<lb/> höheren Lehranstalten, nicht bloß auf den humanistischen Gymnasien, weit ver¬<lb/> breiteten Schülerverbindungen zu unterdrücken, die in kindischer Nachahmung<lb/> akademischer Gebräuche das sittliche und wissenschaftliche Gedeihen der Jugend<lb/> zu vernichten drohen und hie und da, wie aus der beherzigenswerthen Schrift<lb/> von Pilger, „Ueber das Verbindungswesen auf norddeutschen Gymnasien" (Ber¬<lb/> lin, 1880) hervorgeht, bereits vernichtet haben, und die ein unvergleichlich ge¬<lb/> fährlicherer Herd für das Umsichgreifen und Umsichwuchern der „nervösen Con-<lb/> stitution" sind, als eine gelegentliche Ueberbürdung mit geistiger Arbeit es je<lb/> sein könnte. Hier heißt es in der That: Viäskmt oonsulss, czuiä rss xu-<lb/> Kilos. ästriwsQti «axiat, hier ist ein Arbeitsfeld, auf dem Behörden und Lehrer,<lb/> Eltern und die gesammten Freunde der Jugend mit vereinten Kräften sich zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
wenn man ferner bedenkt, daß doch ein guter Theil der Lehrstunden keine so
energische Denkthätigkeit in Anspruch nimmt, daß das Gehirn darunter leiden
könnte, wenn man endlich in Erwägung zieht, daß auf je sechs Arbeitstage der
von Arbeiten freie Sonntag folgt, wenn man schließlich nicht vergißt, daß die
Ferien, die etwa den fünften Theil des Jahres ausmachen, eine willkommene
Zeit der Erholung für Leib und Seele darbieten. Ist freilich das heranwachsende
Geschlecht in seiner Mehrheit bereits so weit auf der Bahn der „nervösen Con-
stitution" fortgeschritten, daß es ein derart gestaltetes Arbeitsmaß ohne Gefahr
des Irrsinns nicht ertragen kann, so steht es schlimm, sehr schlimm um unsere
Nation. Dann sind unsere Gymnasien nicht mehr im Stande, denjenigen Theil
des Volkes heranzubilden, der als eine Aristokratie des Geistes seinen Zeit¬
genossen vorangehen soll, und es wäre vielleicht besser, sie zu schließen und
Anstalten für geistig Gebrechliche daraus zu machen. Die 6 bis 7 geistig Ge¬
störten zu Königslutter sind aber doch Gott sei Dank noch kein genügender
Grund, um so schlimmen Befürchtungen sich hinzugeben.
Eins freilich muß man von den Primanern, wenn sie täglich 8 bis 9
Stunden ohne Gefahr für ihr leibliches und geistes Gedeihen arbeiten sollen,
verlangen, dieses nämlich, daß sie nicht ihre freie Zeit, anstatt sie zu Spaziergängen
und heiteren Gesprächen, zu leichter Lectüre und geselligem Verkehr in der
Familie zu verwenden, in der dumpfen Luft der Wirthsstube hinter dem Bier¬
kruge verbringen. Denn nichts dürfte dem jugendlichen Gehirn gefährlicher
fein, nichts zerrüttender auf die ganze Seelenthätigkeit einwirken, als geistige
Arbeit nach dem Genusse spirituöser Getränke. Daß aber solche Gefahr vor¬
handen ist, daß sie nicht bloß wie ein drohendes Gespenst über unseren Gym¬
nasien schwebt, soudern bereits wie ein giftiger Krebsschaden hie und da sich
eingefressen hat, ist keinem Kundigen verborgen. In Preußen hat der Cultus¬
minister sich veranlaßt gesehen, durch Rescript vom 29. Mai 1880 (Centralbl.
1880, Seite 572 fg.) die energischsten Maßregeln anzuordnen, um die auf den
höheren Lehranstalten, nicht bloß auf den humanistischen Gymnasien, weit ver¬
breiteten Schülerverbindungen zu unterdrücken, die in kindischer Nachahmung
akademischer Gebräuche das sittliche und wissenschaftliche Gedeihen der Jugend
zu vernichten drohen und hie und da, wie aus der beherzigenswerthen Schrift
von Pilger, „Ueber das Verbindungswesen auf norddeutschen Gymnasien" (Ber¬
lin, 1880) hervorgeht, bereits vernichtet haben, und die ein unvergleichlich ge¬
fährlicherer Herd für das Umsichgreifen und Umsichwuchern der „nervösen Con-
stitution" sind, als eine gelegentliche Ueberbürdung mit geistiger Arbeit es je
sein könnte. Hier heißt es in der That: Viäskmt oonsulss, czuiä rss xu-
Kilos. ästriwsQti «axiat, hier ist ein Arbeitsfeld, auf dem Behörden und Lehrer,
Eltern und die gesammten Freunde der Jugend mit vereinten Kräften sich zu
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