Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.einer geoffenbarten Religion überhaupt als zur Lehre Mosis. Es hat nichts Ein jedes Culturvolk alter und neuer Zeit hat seine heiligen Bücher gehabt, einer geoffenbarten Religion überhaupt als zur Lehre Mosis. Es hat nichts Ein jedes Culturvolk alter und neuer Zeit hat seine heiligen Bücher gehabt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147910"/> <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> einer geoffenbarten Religion überhaupt als zur Lehre Mosis. Es hat nichts<lb/> von dem Geiste, der einen neuen Glauben gründet. Inzwischen aber liegt der<lb/> Punkt, an welchem eine Lösung der Judenfrage meines Dafürhaltens beginnen<lb/> muß, grade in der jüdischen Glaubenslehre, in dem jüdischen Geiste, der als<lb/> düstere Opferflamme von dem gewaltigen und ehrwürdigen Altare aufsteigt, um<lb/> welchen dieses Volk seit Jahrtausenden in gleicher Inbrunst gelagert ist. Der<lb/> jüdische Geist ist der Geist des Talmud.</p><lb/> <p xml:id="ID_718" next="#ID_719"> Ein jedes Culturvolk alter und neuer Zeit hat seine heiligen Bücher gehabt,<lb/> daraus es seine erste und maßgebende Bildung und Geistesrichtung schöpfte.<lb/> Keines kann sich rühmen, in seinen heiligen Büchern einen größern Schatz an<lb/> Lehren der Wahrheit, Weisheit und Sitte zu besitzen, als in der Bibel Israels<lb/> sich befindet. Die Heiligkeit dieser Bibel ist von allen Völkern moderner Cultur<lb/> anerkannt worden. Niemals hat ein Buch einen so langdauernden und so<lb/> großen Einfluß auf die Menschen ausgeübt als dieses, kein Wissen in unserer<lb/> Welt hat noch heute eine solche Verbreitung als dasjenige, welches aus der<lb/> Kenntniß der Schriften des Moses und der späteren jüdischen Lehrer fließt.<lb/> Stünden das Christenthum und das Judenthum ganz auf diesem Boden, so<lb/> wäre die heutige Feindschaft nicht möglich. Das Christenthum ging von der<lb/> humanistischen Lehre seines Stifters so gut als von der humanistischen Cultur<lb/> Athens und Roms aus. Als es Gefahr lief, das classische Alterthum zu ver¬<lb/> gessen, lief es auch Gefahr, den Geist des Christenthums zu verlieren. Die<lb/> Renaissance des classischen Geistes war auch die Wiedergeburt des christlichen<lb/> Denkens, und auf diesem doppelten Grunde baute sich das Wissen und Wollen<lb/> unsrer gesammten neueren Geschichte auf. Auch die Juden hatten ihre Fort¬<lb/> entwickelung des Geistes, aber in strenger nationaler Geschlossenheit und in ge¬<lb/> nauem und ausschließlichem Ausbau ihres alten jüdischen Heiligthums. Während<lb/> die Christen die Weisheiten ihres Lehrers verschmolzen mit den Gedanken großer<lb/> Griechen und Römer, während die Kirche alles in sich aufzunehmen suchte, was<lb/> heidnischer Menschengeist Erhabenes und Wahres gezeitigt hatte, während Sitte<lb/> und Gebrauch der Christen sich den Gewohnheiten älterer und neuerer Zeit an¬<lb/> schmiegten, arbeiteten die Juden mit allem Eifer daran, die Bibel zu erläutern<lb/> und den darin enthaltenen Willen in genaue Formeln zu bringen. Sie fanden<lb/> in der Bibel nicht bloß Himmlisches, sondern auch Irdisches, und erklärten das<lb/> letztere für eben so heilig wie das erstere. Ihre Weisen kannten keine andere<lb/> Weisheit als die, welche aus dem Studium ihrer heiligen Bücher floß, keine andere<lb/> Kunst als die, welche im Zusammenhange stand mit der Religion. Als das Christen¬<lb/> thum in der römisch-byzantinischen Welt die Herrschaft erobert hatte und zugleich<lb/> den alten Inhalt classisch-heidnischer Cultur in neue Formen goß, da waren die<lb/> Juden eben dabei, die geistig-religiöse Arbeit ihres Volkes für immer abzuschließen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
einer geoffenbarten Religion überhaupt als zur Lehre Mosis. Es hat nichts
von dem Geiste, der einen neuen Glauben gründet. Inzwischen aber liegt der
Punkt, an welchem eine Lösung der Judenfrage meines Dafürhaltens beginnen
muß, grade in der jüdischen Glaubenslehre, in dem jüdischen Geiste, der als
düstere Opferflamme von dem gewaltigen und ehrwürdigen Altare aufsteigt, um
welchen dieses Volk seit Jahrtausenden in gleicher Inbrunst gelagert ist. Der
jüdische Geist ist der Geist des Talmud.
Ein jedes Culturvolk alter und neuer Zeit hat seine heiligen Bücher gehabt,
daraus es seine erste und maßgebende Bildung und Geistesrichtung schöpfte.
Keines kann sich rühmen, in seinen heiligen Büchern einen größern Schatz an
Lehren der Wahrheit, Weisheit und Sitte zu besitzen, als in der Bibel Israels
sich befindet. Die Heiligkeit dieser Bibel ist von allen Völkern moderner Cultur
anerkannt worden. Niemals hat ein Buch einen so langdauernden und so
großen Einfluß auf die Menschen ausgeübt als dieses, kein Wissen in unserer
Welt hat noch heute eine solche Verbreitung als dasjenige, welches aus der
Kenntniß der Schriften des Moses und der späteren jüdischen Lehrer fließt.
Stünden das Christenthum und das Judenthum ganz auf diesem Boden, so
wäre die heutige Feindschaft nicht möglich. Das Christenthum ging von der
humanistischen Lehre seines Stifters so gut als von der humanistischen Cultur
Athens und Roms aus. Als es Gefahr lief, das classische Alterthum zu ver¬
gessen, lief es auch Gefahr, den Geist des Christenthums zu verlieren. Die
Renaissance des classischen Geistes war auch die Wiedergeburt des christlichen
Denkens, und auf diesem doppelten Grunde baute sich das Wissen und Wollen
unsrer gesammten neueren Geschichte auf. Auch die Juden hatten ihre Fort¬
entwickelung des Geistes, aber in strenger nationaler Geschlossenheit und in ge¬
nauem und ausschließlichem Ausbau ihres alten jüdischen Heiligthums. Während
die Christen die Weisheiten ihres Lehrers verschmolzen mit den Gedanken großer
Griechen und Römer, während die Kirche alles in sich aufzunehmen suchte, was
heidnischer Menschengeist Erhabenes und Wahres gezeitigt hatte, während Sitte
und Gebrauch der Christen sich den Gewohnheiten älterer und neuerer Zeit an¬
schmiegten, arbeiteten die Juden mit allem Eifer daran, die Bibel zu erläutern
und den darin enthaltenen Willen in genaue Formeln zu bringen. Sie fanden
in der Bibel nicht bloß Himmlisches, sondern auch Irdisches, und erklärten das
letztere für eben so heilig wie das erstere. Ihre Weisen kannten keine andere
Weisheit als die, welche aus dem Studium ihrer heiligen Bücher floß, keine andere
Kunst als die, welche im Zusammenhange stand mit der Religion. Als das Christen¬
thum in der römisch-byzantinischen Welt die Herrschaft erobert hatte und zugleich
den alten Inhalt classisch-heidnischer Cultur in neue Formen goß, da waren die
Juden eben dabei, die geistig-religiöse Arbeit ihres Volkes für immer abzuschließen
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