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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Doch unser Thema führt uns weiter. Da werden soeben mit einem Pro-
spect von gewaltiger Prätension die Gesammelten Werke*) des Freiherrn
Georg von Dyherrn verschickt. Sie treten mit den höchsten Ansprüchendes
Idealismus auf. "Welchen Gegensatz zu der Gedicht-, Novellen- und Roman¬
literatur, wie sie leider zum größten Theil in der Gegenwart den Büchermarkt
füllt, bilden diese Dichtungen! Nicht versuchen sie, die durch den Materialis¬
mus und Rationalismus unsrer Zeit erschlafften Nerven durch sinnliche Pikan¬
teren oder grauenerregende Scenerien (man sollte nach den Worten dieses
Prospects meinen, daß die meisten modernen Erzählungen in den Abgrün¬
den des Mondes, dem Thale des Todes auf Java, am Nordpol oder in
der Wüste spielten) zu reizen, sondern durch den Zauber wahrer Poesie
wirken sie auf jedes Herz, das noch empfänglich ist für alles Schöne und Gute.
Knapp und spannend ist die Entwicklung der Handlung, die Form von edler
Schönheit und wie zarter Blüthenduft durchgeistigt das Ganze reine, wahre
Religiosität!" Die fünfzig Procent in Anschlag gebracht, welche bei Verleger-
prospecten und -Verheißungen unerläßlich abgezogen werden müssen, würde noch
immer ein Poet von ungewöhnlicher Begabung, von besondrer Gestaltungkrast
und tiefer Empfindung übrig bleiben, wenn die Ankündigung Recht hätte. Werfen
wir nun aber einen prüfenden Blick in diese Gedichte "Auf hoher Flut", in
diese "Hochlandsnovellen", so sehen wir bald, daß wir es hier mit einem durch¬
aus schwächliche", nach keiner Richtung hin zu wirklicher Vollendung und Be¬
deutung gediehenen Talente (wenn sich in solchem Falle noch von Talent sprechen
läßt) zu thun haben. Der Anspruch des im Jahre 1847 zu Glogau gebornen,
nach einem kurzen Leben am 27. September 1878 zu Rothenburg in Schlesien
verschiedenen Poeten auf die Stellung eines Dichters, der vor allen andern
ausgezeichnet zu werden verdient und dessen Hervorbringungen "durchaus edle
Geistesblüthen sind und Erquickung der Seele bieten", scheint hauptsächlich auf der
Thatsache zu beruhen, daß Herr von Dyherrn im Jahre 1875 in Oberammer¬
gau zur katholischen Kirche übergetreten ist. Wenn ihm dies inneres Bedürfniß
war, läßt sich darüber nicht rechten -- seine Dichtungen wurden dadurch weder
gehoben noch geändert. Es fehlt viel, daß diese lyrischen Gedichte und diese
Novellen, die gerade nur knapp über die Grenzlinie des erträglichen Dilettan¬
tismus emporragen, dem gesammten deutschen Volke ans Herz gelegt werden
dürften. Dyherrn kann weder an lyrischer Tiefe und Unmittelbarkeit mit dem
sinnverwandten Lehrende Dreves, noch an formeller Virtuosität und lebendigem
Colorit mit dem Dichter der "Amaranth" wetteifern. Von derselben Seite, von
welcher uns einst Dreves und Redwitz als die Regeneratoren unsrer entarteten



*) Breslau, Verlag von A. Gosohorsky.

Doch unser Thema führt uns weiter. Da werden soeben mit einem Pro-
spect von gewaltiger Prätension die Gesammelten Werke*) des Freiherrn
Georg von Dyherrn verschickt. Sie treten mit den höchsten Ansprüchendes
Idealismus auf. „Welchen Gegensatz zu der Gedicht-, Novellen- und Roman¬
literatur, wie sie leider zum größten Theil in der Gegenwart den Büchermarkt
füllt, bilden diese Dichtungen! Nicht versuchen sie, die durch den Materialis¬
mus und Rationalismus unsrer Zeit erschlafften Nerven durch sinnliche Pikan¬
teren oder grauenerregende Scenerien (man sollte nach den Worten dieses
Prospects meinen, daß die meisten modernen Erzählungen in den Abgrün¬
den des Mondes, dem Thale des Todes auf Java, am Nordpol oder in
der Wüste spielten) zu reizen, sondern durch den Zauber wahrer Poesie
wirken sie auf jedes Herz, das noch empfänglich ist für alles Schöne und Gute.
Knapp und spannend ist die Entwicklung der Handlung, die Form von edler
Schönheit und wie zarter Blüthenduft durchgeistigt das Ganze reine, wahre
Religiosität!" Die fünfzig Procent in Anschlag gebracht, welche bei Verleger-
prospecten und -Verheißungen unerläßlich abgezogen werden müssen, würde noch
immer ein Poet von ungewöhnlicher Begabung, von besondrer Gestaltungkrast
und tiefer Empfindung übrig bleiben, wenn die Ankündigung Recht hätte. Werfen
wir nun aber einen prüfenden Blick in diese Gedichte „Auf hoher Flut", in
diese „Hochlandsnovellen", so sehen wir bald, daß wir es hier mit einem durch¬
aus schwächliche», nach keiner Richtung hin zu wirklicher Vollendung und Be¬
deutung gediehenen Talente (wenn sich in solchem Falle noch von Talent sprechen
läßt) zu thun haben. Der Anspruch des im Jahre 1847 zu Glogau gebornen,
nach einem kurzen Leben am 27. September 1878 zu Rothenburg in Schlesien
verschiedenen Poeten auf die Stellung eines Dichters, der vor allen andern
ausgezeichnet zu werden verdient und dessen Hervorbringungen „durchaus edle
Geistesblüthen sind und Erquickung der Seele bieten", scheint hauptsächlich auf der
Thatsache zu beruhen, daß Herr von Dyherrn im Jahre 1875 in Oberammer¬
gau zur katholischen Kirche übergetreten ist. Wenn ihm dies inneres Bedürfniß
war, läßt sich darüber nicht rechten — seine Dichtungen wurden dadurch weder
gehoben noch geändert. Es fehlt viel, daß diese lyrischen Gedichte und diese
Novellen, die gerade nur knapp über die Grenzlinie des erträglichen Dilettan¬
tismus emporragen, dem gesammten deutschen Volke ans Herz gelegt werden
dürften. Dyherrn kann weder an lyrischer Tiefe und Unmittelbarkeit mit dem
sinnverwandten Lehrende Dreves, noch an formeller Virtuosität und lebendigem
Colorit mit dem Dichter der „Amaranth" wetteifern. Von derselben Seite, von
welcher uns einst Dreves und Redwitz als die Regeneratoren unsrer entarteten



*) Breslau, Verlag von A. Gosohorsky.
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[0246] Doch unser Thema führt uns weiter. Da werden soeben mit einem Pro- spect von gewaltiger Prätension die Gesammelten Werke*) des Freiherrn Georg von Dyherrn verschickt. Sie treten mit den höchsten Ansprüchendes Idealismus auf. „Welchen Gegensatz zu der Gedicht-, Novellen- und Roman¬ literatur, wie sie leider zum größten Theil in der Gegenwart den Büchermarkt füllt, bilden diese Dichtungen! Nicht versuchen sie, die durch den Materialis¬ mus und Rationalismus unsrer Zeit erschlafften Nerven durch sinnliche Pikan¬ teren oder grauenerregende Scenerien (man sollte nach den Worten dieses Prospects meinen, daß die meisten modernen Erzählungen in den Abgrün¬ den des Mondes, dem Thale des Todes auf Java, am Nordpol oder in der Wüste spielten) zu reizen, sondern durch den Zauber wahrer Poesie wirken sie auf jedes Herz, das noch empfänglich ist für alles Schöne und Gute. Knapp und spannend ist die Entwicklung der Handlung, die Form von edler Schönheit und wie zarter Blüthenduft durchgeistigt das Ganze reine, wahre Religiosität!" Die fünfzig Procent in Anschlag gebracht, welche bei Verleger- prospecten und -Verheißungen unerläßlich abgezogen werden müssen, würde noch immer ein Poet von ungewöhnlicher Begabung, von besondrer Gestaltungkrast und tiefer Empfindung übrig bleiben, wenn die Ankündigung Recht hätte. Werfen wir nun aber einen prüfenden Blick in diese Gedichte „Auf hoher Flut", in diese „Hochlandsnovellen", so sehen wir bald, daß wir es hier mit einem durch¬ aus schwächliche», nach keiner Richtung hin zu wirklicher Vollendung und Be¬ deutung gediehenen Talente (wenn sich in solchem Falle noch von Talent sprechen läßt) zu thun haben. Der Anspruch des im Jahre 1847 zu Glogau gebornen, nach einem kurzen Leben am 27. September 1878 zu Rothenburg in Schlesien verschiedenen Poeten auf die Stellung eines Dichters, der vor allen andern ausgezeichnet zu werden verdient und dessen Hervorbringungen „durchaus edle Geistesblüthen sind und Erquickung der Seele bieten", scheint hauptsächlich auf der Thatsache zu beruhen, daß Herr von Dyherrn im Jahre 1875 in Oberammer¬ gau zur katholischen Kirche übergetreten ist. Wenn ihm dies inneres Bedürfniß war, läßt sich darüber nicht rechten — seine Dichtungen wurden dadurch weder gehoben noch geändert. Es fehlt viel, daß diese lyrischen Gedichte und diese Novellen, die gerade nur knapp über die Grenzlinie des erträglichen Dilettan¬ tismus emporragen, dem gesammten deutschen Volke ans Herz gelegt werden dürften. Dyherrn kann weder an lyrischer Tiefe und Unmittelbarkeit mit dem sinnverwandten Lehrende Dreves, noch an formeller Virtuosität und lebendigem Colorit mit dem Dichter der „Amaranth" wetteifern. Von derselben Seite, von welcher uns einst Dreves und Redwitz als die Regeneratoren unsrer entarteten *) Breslau, Verlag von A. Gosohorsky.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/246>, abgerufen am 29.12.2024.