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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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folgt, daß bei dergleichen Gelegenheiten alles in schönster Ordnung sei. Die
beste Entschuldigung, welche für vielerlei Menschliches, allzu Menschliches, das
mit unterläuft, vorhanden ist, liegt wiederum in dem Andrang der guten Leute
und schlechten Musikanten. Wer es einmal mit erlebt hat, welche Talentlosig-
keit, welche Bildungslosigkeit sich bei jeder dramatischen Concurrenz heran¬
drängen, wie die Preisrichter, die in der Fluth der nichtigsten und stümper¬
haftesten Versuche ertrinken, die Fühlung für das Bessere allmählich verlieren
und in ihren eignen Ansprüchen unsicher und unklar werden, der wird es be¬
greifen, daß bei diesen dramatischen Concurrenzen so selten etwas Erfreuliches
herauskommt.

Dem patriotischen Tugenddramatiker tritt der patriotische Epiker oder Reim¬
chronist zur Seite. Ohne Barmherzigkeit wird uns angesonnen, um des großen
und löblichen Stoffs, um der patriotischen Grundempfindung willen 294 Octav-
seiten der plattesten und stellenweise seurrilsten Reime in dem "Krieg gegen
Frankreich"*), zur Erinnerung an 1870 und 1871 in Versen erzählt von
Konrad Brandenburg, zu genießen und zu bewundern. Der Patriotismus
ist eine heilige Empfindung, und das Motto aus Ernst Curtius' Kaiserrede vom
22. März 1879: "Man rügt es als eine Schwäche der Deutschen, daß sie ein
unzufriedenes Gemüth haben und lieber die Flecken der Sonne aufsuchen, als
sich an ihrem Glänze zu freuen," tief wahr und tief beherzigenswert!). Aber
dies Epos, ohne jede Gestaltungskraft, ohne Schwung und mit einer wahr¬
scheinlich für volkstümlich erachteten, alle Grenzen des Erlaubten überschrei¬
tenden Nachlässigkeit und Trivialität hat doch wahrlich kein Recht, sich hinter
den Schirm patriotischen Gefühls zu flüchten! Aus Patriotismus protestieren
wir gegen solche poetische Verherrlichung des großen Jahres der neuesten deut¬
schen Geschichte. Im Ernst, wenn der Verfasser sein Gedicht nicht mit dem
oben angeführten Motto eingeleitet hätte, wenn nicht, wie wir gern anerkennen
wollen, an einzelnen Stellen des langen Gedichts ein kerniger Ausdruck, ein
Ansatz zu poetischer Schilderung sich fänden, welche nicht ironisch gemeint sein
können, wir wären auf den Einfall gerathen, daß dieser "Krieg gegen Frank¬
reich" dem Mißmuthe und der Spottsucht eines Unzufriedenen entsprungen sei
und die Thaten des großen Krieges etwa so verherrlichen solle, wie Wilhelm
Busch die Legende vom heiligen Antonius zu verherrlichen beliebt. Aber es ist
nicht ironisch gemeint, wenn Herr Brandenburg die Scene in Ems wie folgt
schildert:


Es lebt und wogt die Promenade.
In allen Farben Kleider rauschen,
Und alle Sprachen sich vertauschen;


) Erlangen, 1880, Verlag von Andreas Deichert.

folgt, daß bei dergleichen Gelegenheiten alles in schönster Ordnung sei. Die
beste Entschuldigung, welche für vielerlei Menschliches, allzu Menschliches, das
mit unterläuft, vorhanden ist, liegt wiederum in dem Andrang der guten Leute
und schlechten Musikanten. Wer es einmal mit erlebt hat, welche Talentlosig-
keit, welche Bildungslosigkeit sich bei jeder dramatischen Concurrenz heran¬
drängen, wie die Preisrichter, die in der Fluth der nichtigsten und stümper¬
haftesten Versuche ertrinken, die Fühlung für das Bessere allmählich verlieren
und in ihren eignen Ansprüchen unsicher und unklar werden, der wird es be¬
greifen, daß bei diesen dramatischen Concurrenzen so selten etwas Erfreuliches
herauskommt.

Dem patriotischen Tugenddramatiker tritt der patriotische Epiker oder Reim¬
chronist zur Seite. Ohne Barmherzigkeit wird uns angesonnen, um des großen
und löblichen Stoffs, um der patriotischen Grundempfindung willen 294 Octav-
seiten der plattesten und stellenweise seurrilsten Reime in dem „Krieg gegen
Frankreich"*), zur Erinnerung an 1870 und 1871 in Versen erzählt von
Konrad Brandenburg, zu genießen und zu bewundern. Der Patriotismus
ist eine heilige Empfindung, und das Motto aus Ernst Curtius' Kaiserrede vom
22. März 1879: „Man rügt es als eine Schwäche der Deutschen, daß sie ein
unzufriedenes Gemüth haben und lieber die Flecken der Sonne aufsuchen, als
sich an ihrem Glänze zu freuen," tief wahr und tief beherzigenswert!). Aber
dies Epos, ohne jede Gestaltungskraft, ohne Schwung und mit einer wahr¬
scheinlich für volkstümlich erachteten, alle Grenzen des Erlaubten überschrei¬
tenden Nachlässigkeit und Trivialität hat doch wahrlich kein Recht, sich hinter
den Schirm patriotischen Gefühls zu flüchten! Aus Patriotismus protestieren
wir gegen solche poetische Verherrlichung des großen Jahres der neuesten deut¬
schen Geschichte. Im Ernst, wenn der Verfasser sein Gedicht nicht mit dem
oben angeführten Motto eingeleitet hätte, wenn nicht, wie wir gern anerkennen
wollen, an einzelnen Stellen des langen Gedichts ein kerniger Ausdruck, ein
Ansatz zu poetischer Schilderung sich fänden, welche nicht ironisch gemeint sein
können, wir wären auf den Einfall gerathen, daß dieser „Krieg gegen Frank¬
reich" dem Mißmuthe und der Spottsucht eines Unzufriedenen entsprungen sei
und die Thaten des großen Krieges etwa so verherrlichen solle, wie Wilhelm
Busch die Legende vom heiligen Antonius zu verherrlichen beliebt. Aber es ist
nicht ironisch gemeint, wenn Herr Brandenburg die Scene in Ems wie folgt
schildert:


Es lebt und wogt die Promenade.
In allen Farben Kleider rauschen,
Und alle Sprachen sich vertauschen;


) Erlangen, 1880, Verlag von Andreas Deichert.
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[0244] folgt, daß bei dergleichen Gelegenheiten alles in schönster Ordnung sei. Die beste Entschuldigung, welche für vielerlei Menschliches, allzu Menschliches, das mit unterläuft, vorhanden ist, liegt wiederum in dem Andrang der guten Leute und schlechten Musikanten. Wer es einmal mit erlebt hat, welche Talentlosig- keit, welche Bildungslosigkeit sich bei jeder dramatischen Concurrenz heran¬ drängen, wie die Preisrichter, die in der Fluth der nichtigsten und stümper¬ haftesten Versuche ertrinken, die Fühlung für das Bessere allmählich verlieren und in ihren eignen Ansprüchen unsicher und unklar werden, der wird es be¬ greifen, daß bei diesen dramatischen Concurrenzen so selten etwas Erfreuliches herauskommt. Dem patriotischen Tugenddramatiker tritt der patriotische Epiker oder Reim¬ chronist zur Seite. Ohne Barmherzigkeit wird uns angesonnen, um des großen und löblichen Stoffs, um der patriotischen Grundempfindung willen 294 Octav- seiten der plattesten und stellenweise seurrilsten Reime in dem „Krieg gegen Frankreich"*), zur Erinnerung an 1870 und 1871 in Versen erzählt von Konrad Brandenburg, zu genießen und zu bewundern. Der Patriotismus ist eine heilige Empfindung, und das Motto aus Ernst Curtius' Kaiserrede vom 22. März 1879: „Man rügt es als eine Schwäche der Deutschen, daß sie ein unzufriedenes Gemüth haben und lieber die Flecken der Sonne aufsuchen, als sich an ihrem Glänze zu freuen," tief wahr und tief beherzigenswert!). Aber dies Epos, ohne jede Gestaltungskraft, ohne Schwung und mit einer wahr¬ scheinlich für volkstümlich erachteten, alle Grenzen des Erlaubten überschrei¬ tenden Nachlässigkeit und Trivialität hat doch wahrlich kein Recht, sich hinter den Schirm patriotischen Gefühls zu flüchten! Aus Patriotismus protestieren wir gegen solche poetische Verherrlichung des großen Jahres der neuesten deut¬ schen Geschichte. Im Ernst, wenn der Verfasser sein Gedicht nicht mit dem oben angeführten Motto eingeleitet hätte, wenn nicht, wie wir gern anerkennen wollen, an einzelnen Stellen des langen Gedichts ein kerniger Ausdruck, ein Ansatz zu poetischer Schilderung sich fänden, welche nicht ironisch gemeint sein können, wir wären auf den Einfall gerathen, daß dieser „Krieg gegen Frank¬ reich" dem Mißmuthe und der Spottsucht eines Unzufriedenen entsprungen sei und die Thaten des großen Krieges etwa so verherrlichen solle, wie Wilhelm Busch die Legende vom heiligen Antonius zu verherrlichen beliebt. Aber es ist nicht ironisch gemeint, wenn Herr Brandenburg die Scene in Ems wie folgt schildert: Es lebt und wogt die Promenade. In allen Farben Kleider rauschen, Und alle Sprachen sich vertauschen; ) Erlangen, 1880, Verlag von Andreas Deichert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/244>, abgerufen am 29.12.2024.