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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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genügen aber, um uns das noch unvergessene Stadtbild des Haag ganz wieder
einzuprägen. Für mich gehört der Haag zu den allerreizvollsten Residenzstädten
Europas. Großstädtisch ist der Gesammteindruck gewiß nicht, eher idyllisch.
Aber es liegt schon ein eigner Reiz darin, sich dieses Idyll als Mittelpunkt
eines Reiches zu denken, dessen Banner jenseits des atlantischen und des indi¬
schen Oceans flattern; und es liegt ein besondrer Reiz darin, von den herrlichen
Kunstschätzen der Haager Museen nicht in lautes, großstädtisches Treiben, son¬
dern in stille, saubere, freundliche Straßen hinauszutreten. Der national-hol¬
ländische Stil der städtischen Anlage und der Bauart der Häuser ist hier im
internationalen Geschmack gerade nur so viel modernisiert, wie es der Residenz¬
stadt ziemt. Mitten in der Stadt der Schwanenweiher, welcher die unregel¬
mäßigen Mauermassen des mächtigen alten "Binnenhofes" bespült; die von
Palästen umgebnen saftigen Wiesen, welche an der offnen Seite der grüne Wald
begrenzt; daneben auch hier echt holländische Straßen mit Kanälen und Bäumen;
alles das webt sich zu einem heitern, liebenswürdigen Stadtbilde zusammen,
welches durch seine landschaftliche Umrahmung noch einen doppelten Reiz er¬
hält, den der Haag mit keiner andern Hauptstadt Europas theilt. Einen wald¬
artigen Park besitzen freilich manche Städte, auch Berlin. Man denke sich aber
jenseits des Berliner Thiergartens den Wald von Stranddünen begrenzt und
jenseits der Dünen das unendliche Meer! Das ist eine Verbindung, der nur
der Haag sich rühmen kann. Dabei ist alles so vortrefflich gehalten, die mit
Backsteinen gepflasterten Straßen durch den Wald, die weiten, grünen Weiden
mit den saubern, friedlich grasenden Kühen, zu denen man vom Waldrand hin^
ausblickt -- jeder Blick ein Bild von Paul Potter --, die wohleingefaßten
Ecmäle, auf denen die Treckschuyten, jene von Pferden gezognen Omnibusbote,
voll geputzter Menschen friedlich entlanggleiten, die reizend mit Teppichbeeten
ausgelegten Gärten vor den Villen, alles das ist so liebevoll gepflegt, daß es
eine Lust ist. Das Wetter ist schön geworden, aber die Landschaft hat plötzlich
einen leicht herbstlichen Anstrich erhalten. Einige Bäume sind schon ganz hell¬
braun geworden und stehen so auffallend neben andern, noch ganz grünen
Bäumen, wie man es auf manchen holländischen Bildern, z. B. gerade auf
Bildern Paul Potters sehen kann.

Den 4. September 1878. Seit ich zum letzten Male im Haag gewesen
bin, ist im großen Museum manches verändert und umgehängt worden. Vor
allen Dingen ist das Erdgeschoß ganz mit zur Gemäldegalerie gezogen, und hier
sind über zwanzig Gemälde des tüchtigen alten Haager Meisters van Rcwesteyn
aufgehängt worden. Er tritt in diesen Einzelporträts durchaus ehrlich und
wahr und tüchtig auf, nicht aber so geistreich wie in den großen "Regentenstncken"
im hiesigen Gemeindemnseum.


genügen aber, um uns das noch unvergessene Stadtbild des Haag ganz wieder
einzuprägen. Für mich gehört der Haag zu den allerreizvollsten Residenzstädten
Europas. Großstädtisch ist der Gesammteindruck gewiß nicht, eher idyllisch.
Aber es liegt schon ein eigner Reiz darin, sich dieses Idyll als Mittelpunkt
eines Reiches zu denken, dessen Banner jenseits des atlantischen und des indi¬
schen Oceans flattern; und es liegt ein besondrer Reiz darin, von den herrlichen
Kunstschätzen der Haager Museen nicht in lautes, großstädtisches Treiben, son¬
dern in stille, saubere, freundliche Straßen hinauszutreten. Der national-hol¬
ländische Stil der städtischen Anlage und der Bauart der Häuser ist hier im
internationalen Geschmack gerade nur so viel modernisiert, wie es der Residenz¬
stadt ziemt. Mitten in der Stadt der Schwanenweiher, welcher die unregel¬
mäßigen Mauermassen des mächtigen alten „Binnenhofes" bespült; die von
Palästen umgebnen saftigen Wiesen, welche an der offnen Seite der grüne Wald
begrenzt; daneben auch hier echt holländische Straßen mit Kanälen und Bäumen;
alles das webt sich zu einem heitern, liebenswürdigen Stadtbilde zusammen,
welches durch seine landschaftliche Umrahmung noch einen doppelten Reiz er¬
hält, den der Haag mit keiner andern Hauptstadt Europas theilt. Einen wald¬
artigen Park besitzen freilich manche Städte, auch Berlin. Man denke sich aber
jenseits des Berliner Thiergartens den Wald von Stranddünen begrenzt und
jenseits der Dünen das unendliche Meer! Das ist eine Verbindung, der nur
der Haag sich rühmen kann. Dabei ist alles so vortrefflich gehalten, die mit
Backsteinen gepflasterten Straßen durch den Wald, die weiten, grünen Weiden
mit den saubern, friedlich grasenden Kühen, zu denen man vom Waldrand hin^
ausblickt — jeder Blick ein Bild von Paul Potter —, die wohleingefaßten
Ecmäle, auf denen die Treckschuyten, jene von Pferden gezognen Omnibusbote,
voll geputzter Menschen friedlich entlanggleiten, die reizend mit Teppichbeeten
ausgelegten Gärten vor den Villen, alles das ist so liebevoll gepflegt, daß es
eine Lust ist. Das Wetter ist schön geworden, aber die Landschaft hat plötzlich
einen leicht herbstlichen Anstrich erhalten. Einige Bäume sind schon ganz hell¬
braun geworden und stehen so auffallend neben andern, noch ganz grünen
Bäumen, wie man es auf manchen holländischen Bildern, z. B. gerade auf
Bildern Paul Potters sehen kann.

Den 4. September 1878. Seit ich zum letzten Male im Haag gewesen
bin, ist im großen Museum manches verändert und umgehängt worden. Vor
allen Dingen ist das Erdgeschoß ganz mit zur Gemäldegalerie gezogen, und hier
sind über zwanzig Gemälde des tüchtigen alten Haager Meisters van Rcwesteyn
aufgehängt worden. Er tritt in diesen Einzelporträts durchaus ehrlich und
wahr und tüchtig auf, nicht aber so geistreich wie in den großen „Regentenstncken"
im hiesigen Gemeindemnseum.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/231>, abgerufen am 28.12.2024.