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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Waggon und macht des Tags überall seine Geschäfte. Und wo Eisenbahnen be¬
stehen, ist es kaum möglich, einen Theil der Bevölkerung von der Benutzung
derselben gesetzlich auszuschließen, wie es in Rußland geschähe, wenn jenes Jn-
ternierungsgesetz streng könnte gehandhabt werden. Für die Juden in Rußland
sind die Bahnen die Schlupflöcher, um unredlichen Gewinn oder um gesetzwidrig
betriebenen, aber individuell redlich erworbenen Gewinn in Sicherheit zu bringen.
Die Eisenbahnen sind das Mittel um im äußersten Fall der schwersten Staats¬
last zu entgehen, welche auf ihnen ruht, der Rekrutensteuer. Früher hielt der
russische Staat Häscher, welche die Juden zum Kriegsdienst preßten. Als die
allgemeine Wehrpflicht 1873 eingeführt ward, begänne" die Juden sich durch
Bestechung in Massen zu befreien. Es gab Aushebungsbezirke, wo die jüdischen
Wehrpflichtigen im Ganzen, in gemeinsamer Masse, zu Hunderten sich loskauften
gegen Zcchluug einiger tausend Rubel an Bestechungen und dafür ihr Contin-
gent an Rekruten von den andern Volksklassen erhoben ward. Der Umstand,
daß die Juden ihre eigenen Gemeindeverwaltungen haben, half ferner dazu,
durch allerlei Fälschungen von Personalscheinen die Umgehung der Wehrpflicht
zu erleichtern. Die Polizei fand die Pflichtigen selten am Orte der Aushebung,
denn sie hatten sich inzwischen entfernt oder anderswo anschreiben lassen. Wur¬
den sie nach vieler Mühe endlich aufgefunden, so bezeugte der vvrgewieseue Ge¬
burtsschein gewöhnlich, daß der Pflichtige das nöthige Alter entweder noch nicht
habe oder, was üblicher und vortheilhafter ist, bereits überschritten habe. Denn
diese Scheine wurden von jüdischen Beamten ausgestellt und gern gefälscht. Es
gab plötzlich gar keine einundzwanzigjähriger Jsraelssöhne mehr, und der jü¬
dische Knabe erreichte dieses Alter niemals. Nun griff die Staatsregierung zu
dem sonderbaren Mittel, zu verordnen, daß bei jeder Aushebung die männ¬
lichen Juden sämmtlich vor eine dazu ernannte Prüfungscommission gefordert
werden sollten, welche nach dem äußern Aussehen der Personen darüber urtheilen
mußte, ob dieselben 21 Jahre alt seien. Auch das Mittel ward versucht, zu
verordnen, daß alle Juden männlichen Geschlechts sich photographieren lassen
und die Bildnisse der Commission vorstellen sollten, um auf diese Weise Alter
und Identität der Personen sicherer festzustellen. Gegenüber der unüberwind¬
lichen Gewandtheit der Juden im Umgehen des Gesetzes suchte die Regierung
Hilfe bei einer Einrichtung, welche von unbeschränkter Willkür kaum zu unter¬
scheiden ist. Natürlich wurde dadurch um so stärker alle Fähigkeit der Juden
im Ersinner von Auswegen angestachelt.

Dieses sind Erscheinungen, welche man gewiß nicht berechtigt ist gänzlich der
jüdischen Bevölkerung zur Last zu legen, sondern von denen einen großen Theil der
Schuld die geringe Ordnung in der staatlichen Verwaltung tragen muß. Allein
es wäre ebenso naiv, von einem Staate zu erwarten, daß er im Bewußtsein


Waggon und macht des Tags überall seine Geschäfte. Und wo Eisenbahnen be¬
stehen, ist es kaum möglich, einen Theil der Bevölkerung von der Benutzung
derselben gesetzlich auszuschließen, wie es in Rußland geschähe, wenn jenes Jn-
ternierungsgesetz streng könnte gehandhabt werden. Für die Juden in Rußland
sind die Bahnen die Schlupflöcher, um unredlichen Gewinn oder um gesetzwidrig
betriebenen, aber individuell redlich erworbenen Gewinn in Sicherheit zu bringen.
Die Eisenbahnen sind das Mittel um im äußersten Fall der schwersten Staats¬
last zu entgehen, welche auf ihnen ruht, der Rekrutensteuer. Früher hielt der
russische Staat Häscher, welche die Juden zum Kriegsdienst preßten. Als die
allgemeine Wehrpflicht 1873 eingeführt ward, begänne« die Juden sich durch
Bestechung in Massen zu befreien. Es gab Aushebungsbezirke, wo die jüdischen
Wehrpflichtigen im Ganzen, in gemeinsamer Masse, zu Hunderten sich loskauften
gegen Zcchluug einiger tausend Rubel an Bestechungen und dafür ihr Contin-
gent an Rekruten von den andern Volksklassen erhoben ward. Der Umstand,
daß die Juden ihre eigenen Gemeindeverwaltungen haben, half ferner dazu,
durch allerlei Fälschungen von Personalscheinen die Umgehung der Wehrpflicht
zu erleichtern. Die Polizei fand die Pflichtigen selten am Orte der Aushebung,
denn sie hatten sich inzwischen entfernt oder anderswo anschreiben lassen. Wur¬
den sie nach vieler Mühe endlich aufgefunden, so bezeugte der vvrgewieseue Ge¬
burtsschein gewöhnlich, daß der Pflichtige das nöthige Alter entweder noch nicht
habe oder, was üblicher und vortheilhafter ist, bereits überschritten habe. Denn
diese Scheine wurden von jüdischen Beamten ausgestellt und gern gefälscht. Es
gab plötzlich gar keine einundzwanzigjähriger Jsraelssöhne mehr, und der jü¬
dische Knabe erreichte dieses Alter niemals. Nun griff die Staatsregierung zu
dem sonderbaren Mittel, zu verordnen, daß bei jeder Aushebung die männ¬
lichen Juden sämmtlich vor eine dazu ernannte Prüfungscommission gefordert
werden sollten, welche nach dem äußern Aussehen der Personen darüber urtheilen
mußte, ob dieselben 21 Jahre alt seien. Auch das Mittel ward versucht, zu
verordnen, daß alle Juden männlichen Geschlechts sich photographieren lassen
und die Bildnisse der Commission vorstellen sollten, um auf diese Weise Alter
und Identität der Personen sicherer festzustellen. Gegenüber der unüberwind¬
lichen Gewandtheit der Juden im Umgehen des Gesetzes suchte die Regierung
Hilfe bei einer Einrichtung, welche von unbeschränkter Willkür kaum zu unter¬
scheiden ist. Natürlich wurde dadurch um so stärker alle Fähigkeit der Juden
im Ersinner von Auswegen angestachelt.

Dieses sind Erscheinungen, welche man gewiß nicht berechtigt ist gänzlich der
jüdischen Bevölkerung zur Last zu legen, sondern von denen einen großen Theil der
Schuld die geringe Ordnung in der staatlichen Verwaltung tragen muß. Allein
es wäre ebenso naiv, von einem Staate zu erwarten, daß er im Bewußtsein


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[0228] Waggon und macht des Tags überall seine Geschäfte. Und wo Eisenbahnen be¬ stehen, ist es kaum möglich, einen Theil der Bevölkerung von der Benutzung derselben gesetzlich auszuschließen, wie es in Rußland geschähe, wenn jenes Jn- ternierungsgesetz streng könnte gehandhabt werden. Für die Juden in Rußland sind die Bahnen die Schlupflöcher, um unredlichen Gewinn oder um gesetzwidrig betriebenen, aber individuell redlich erworbenen Gewinn in Sicherheit zu bringen. Die Eisenbahnen sind das Mittel um im äußersten Fall der schwersten Staats¬ last zu entgehen, welche auf ihnen ruht, der Rekrutensteuer. Früher hielt der russische Staat Häscher, welche die Juden zum Kriegsdienst preßten. Als die allgemeine Wehrpflicht 1873 eingeführt ward, begänne« die Juden sich durch Bestechung in Massen zu befreien. Es gab Aushebungsbezirke, wo die jüdischen Wehrpflichtigen im Ganzen, in gemeinsamer Masse, zu Hunderten sich loskauften gegen Zcchluug einiger tausend Rubel an Bestechungen und dafür ihr Contin- gent an Rekruten von den andern Volksklassen erhoben ward. Der Umstand, daß die Juden ihre eigenen Gemeindeverwaltungen haben, half ferner dazu, durch allerlei Fälschungen von Personalscheinen die Umgehung der Wehrpflicht zu erleichtern. Die Polizei fand die Pflichtigen selten am Orte der Aushebung, denn sie hatten sich inzwischen entfernt oder anderswo anschreiben lassen. Wur¬ den sie nach vieler Mühe endlich aufgefunden, so bezeugte der vvrgewieseue Ge¬ burtsschein gewöhnlich, daß der Pflichtige das nöthige Alter entweder noch nicht habe oder, was üblicher und vortheilhafter ist, bereits überschritten habe. Denn diese Scheine wurden von jüdischen Beamten ausgestellt und gern gefälscht. Es gab plötzlich gar keine einundzwanzigjähriger Jsraelssöhne mehr, und der jü¬ dische Knabe erreichte dieses Alter niemals. Nun griff die Staatsregierung zu dem sonderbaren Mittel, zu verordnen, daß bei jeder Aushebung die männ¬ lichen Juden sämmtlich vor eine dazu ernannte Prüfungscommission gefordert werden sollten, welche nach dem äußern Aussehen der Personen darüber urtheilen mußte, ob dieselben 21 Jahre alt seien. Auch das Mittel ward versucht, zu verordnen, daß alle Juden männlichen Geschlechts sich photographieren lassen und die Bildnisse der Commission vorstellen sollten, um auf diese Weise Alter und Identität der Personen sicherer festzustellen. Gegenüber der unüberwind¬ lichen Gewandtheit der Juden im Umgehen des Gesetzes suchte die Regierung Hilfe bei einer Einrichtung, welche von unbeschränkter Willkür kaum zu unter¬ scheiden ist. Natürlich wurde dadurch um so stärker alle Fähigkeit der Juden im Ersinner von Auswegen angestachelt. Dieses sind Erscheinungen, welche man gewiß nicht berechtigt ist gänzlich der jüdischen Bevölkerung zur Last zu legen, sondern von denen einen großen Theil der Schuld die geringe Ordnung in der staatlichen Verwaltung tragen muß. Allein es wäre ebenso naiv, von einem Staate zu erwarten, daß er im Bewußtsein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/228>, abgerufen am 29.12.2024.