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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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freilich einen etwas disparaten Charakter erhalten. Schiller hat den Unterschied
zwischen beiden Gedankenreihen sehr fein und wirksam durch ein wechselndes
Metrum markiert, durch ein schnelleres Trochäentempo in den Meisterversen und
durch eine getragene, beinahe feierliche Jambenmelodie in den Betrachtungen
über den Lauf des Menschenlebens. Der Künstler hat leider auf diese feine
Unterscheidung verzichtet und eine bunte Reihe geschaffen, aus der einer, der An¬
fällig das Gedicht nicht kennt, sich absolut nicht vernehmen kann. Sieht man
von diesem Mangel ab, so wird man den meisten Blättern eine wohlabgerundete
Composition, Leben, Wahrheit und auch Empfindung, die allerdings nicht sehr
tief herauskommt, nicht absprechen können. Mit großem Geschick hat der Künstler
bisweilen eine gelegentliche Wendung des Dichters aufgefaßt und zu einem
Genrebilde ausgesponnen, wie z. B. die Verse:


Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz

zu einem ländlichen Sittengemälde im Stile Defreggers.

An der Faustillustration sowohl als an der des Schillerschen Gedichts
hat Rudolf Seitz, auch ein Schüler Pilotys, insofern einen hervorragenden
Antheil gehabt, als er für das Prachtwerk Initialen, Randverzierungen, Vig¬
netten und sonstige Ornamente gezeichnet hat. sende eigenthümliche Begabung
zeigt sich von ihrer günstigsten Seite, wenn er seinen Compositionen einen
humoristischen Anflug verleihen darf. Seine Erstlingsarbeit, "Peter Bischer
zeigt den Bestellern das vollendete Sebaldusgrab", war von solch einem humo¬
ristischen Zuge leicht durchwoben. In den Zeichnungen, die er für den "Fällst"
geliefert, tritt dieses Element wieder in den Hintergrund, um dann desto schranken¬
loser in den Umrahmungen hervorzubrechen, welche er für Liezen-Mayers Com¬
positionen zur "Glocke" und für die Einfassung des Textes mit einem erstaunlichen
Erfindungstalent und einer ungemein lebhaften, ans Kühne streifende" Phantasie
entworfen hat. Die Einfassungen der Liezen-Mayerschen Bilder sollen gleichsam
die Stellen von Gemälderahmen vertreten. Ueber diese Voraussetzung, die schon
an und für sich verkehrt ist, muß man hinwegsehen. Verkehrt ist sie deshalb,
weil kein Mensch in einem Buche eingerahmte Bilder sucht. Die wollen wir
uns für die Wändeaufsparen. Bei der Wahl eines Stils für dieses Rcchmen-
werk ging Seitz von dem gewiß ganz richtigen Gedanken aus, die Ornamentik
zu wählen, welche zur Zeit, als das Gedicht entstand, noch die herrschende war.
Er hat jedoch die schon mit zopfigen Elementen stark durchsetzte Rococoornamentik
zu einem so betäubenden Fortissimo gesteigert, daß zwischen den schlicht reali¬
stischen Darstellungen Liezen-Mayers und dem überwuchernden Muschel-, Blumen-
und Rankenwerk mit seinen unzähligen emblematischen Verzierungen die denkbar
schrillste Disharmonie entsteht. Die Embleme, welche sich überall in den Um-


freilich einen etwas disparaten Charakter erhalten. Schiller hat den Unterschied
zwischen beiden Gedankenreihen sehr fein und wirksam durch ein wechselndes
Metrum markiert, durch ein schnelleres Trochäentempo in den Meisterversen und
durch eine getragene, beinahe feierliche Jambenmelodie in den Betrachtungen
über den Lauf des Menschenlebens. Der Künstler hat leider auf diese feine
Unterscheidung verzichtet und eine bunte Reihe geschaffen, aus der einer, der An¬
fällig das Gedicht nicht kennt, sich absolut nicht vernehmen kann. Sieht man
von diesem Mangel ab, so wird man den meisten Blättern eine wohlabgerundete
Composition, Leben, Wahrheit und auch Empfindung, die allerdings nicht sehr
tief herauskommt, nicht absprechen können. Mit großem Geschick hat der Künstler
bisweilen eine gelegentliche Wendung des Dichters aufgefaßt und zu einem
Genrebilde ausgesponnen, wie z. B. die Verse:


Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz

zu einem ländlichen Sittengemälde im Stile Defreggers.

An der Faustillustration sowohl als an der des Schillerschen Gedichts
hat Rudolf Seitz, auch ein Schüler Pilotys, insofern einen hervorragenden
Antheil gehabt, als er für das Prachtwerk Initialen, Randverzierungen, Vig¬
netten und sonstige Ornamente gezeichnet hat. sende eigenthümliche Begabung
zeigt sich von ihrer günstigsten Seite, wenn er seinen Compositionen einen
humoristischen Anflug verleihen darf. Seine Erstlingsarbeit, „Peter Bischer
zeigt den Bestellern das vollendete Sebaldusgrab", war von solch einem humo¬
ristischen Zuge leicht durchwoben. In den Zeichnungen, die er für den „Fällst"
geliefert, tritt dieses Element wieder in den Hintergrund, um dann desto schranken¬
loser in den Umrahmungen hervorzubrechen, welche er für Liezen-Mayers Com¬
positionen zur „Glocke" und für die Einfassung des Textes mit einem erstaunlichen
Erfindungstalent und einer ungemein lebhaften, ans Kühne streifende» Phantasie
entworfen hat. Die Einfassungen der Liezen-Mayerschen Bilder sollen gleichsam
die Stellen von Gemälderahmen vertreten. Ueber diese Voraussetzung, die schon
an und für sich verkehrt ist, muß man hinwegsehen. Verkehrt ist sie deshalb,
weil kein Mensch in einem Buche eingerahmte Bilder sucht. Die wollen wir
uns für die Wändeaufsparen. Bei der Wahl eines Stils für dieses Rcchmen-
werk ging Seitz von dem gewiß ganz richtigen Gedanken aus, die Ornamentik
zu wählen, welche zur Zeit, als das Gedicht entstand, noch die herrschende war.
Er hat jedoch die schon mit zopfigen Elementen stark durchsetzte Rococoornamentik
zu einem so betäubenden Fortissimo gesteigert, daß zwischen den schlicht reali¬
stischen Darstellungen Liezen-Mayers und dem überwuchernden Muschel-, Blumen-
und Rankenwerk mit seinen unzähligen emblematischen Verzierungen die denkbar
schrillste Disharmonie entsteht. Die Embleme, welche sich überall in den Um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/198>, abgerufen am 29.12.2024.