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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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Beatrice (Lenci.

Der neuern Geschichtsforschung ist es gelungen, viele früher allgemein als
wahr angenommene Thatsachen in das Gebiet der Sage zu verweisen. Wir
brauchen nur an die Weiber von Weinsberg, an den Heldentod der 400 Pforz¬
heimer in der Schlacht von Wimpfen, an das Testament Peters des Großen
u. a. erinnern. Der Eifer schießt aber anch mitunter über das Ziel hinaus,
indem aus neu entdeckten Documenten die kühnsten Schlüsse gezogen werden,
um die bisherige Tradition zu erschüttern. Dies ist neuerdings von einem sonst
anerkannt tüchtigen Archivar in Rom, A. Bertolotti geschehen. Derselbe hat in
seiner großes Aufsehen erregenden Schrift*) über Francesco Cenci und seine
Familie eine Menge bisher unbekannter Documente veröffentlicht, welche über
das zügellose Leben der römischen Barone zu Ende des 16. Jahrhunderts ge¬
nauern Aufschluß gewähren und daher für die Culturgeschichte besonders werth¬
voll sind. Er hat dieselben in dem Criminalarchive von Rom und in den
Archiven mehrerer Notare, die bis in das Jahr 1550 zurückreichen, mit großer
Mühe aufgespürt. Leider fand er aber nicht die Original-Acten über den welt¬
berühmten Proceß der schönen Vatermörderin Beatrice Cenci. Indessen gelang
es ihm doch, in der Vaticcmischen Bibliothek wenigstens einen summarischen
Auszug aus den voluminösen, aus 4100 Folioblättern bestehenden Acten auf¬
zustöbern. Dieser war ursprünglich für die Vertheidiger der Cenci, Farinaccio
und Jncoronati bestimmt und hat sich mit deren Defenfionsschriften zusammen¬
gebunden erhalten. Außerdem befinden sich noch zwei Handschriften in Venedig'
welche im wesentlichen mit einander übereinstimmen, aber aus einer etwas spä¬
tern Zeit herzurühren scheinen. Diese wurden schon von Fit. D. Scolari in
seiner 1855 zu Mailand herausgekommenen Schrift: Lsatrios vsnoi, eaus-z,
eslsvrs äst 86<ze>1c> XVI. Nsinoria. störten benutzt und auszugsweise mitge¬
theilt. Endlich hat auch Dalbono in seiner Storia all Lsatrios Lsnoi s as
"um wnixi (Neapel, 1864) mehrere Urkunden, namentlich aus den Verhörpro¬
tokollen der Beatrice und ihres Bruders Bernardo abdrucken lasten-

Nach der bisherigen Annahme, gestützt auf die Vertheidigung von Fari¬
naccio und die Darstellung von Muratori in seinen Annalen wurde Beatrice
als Opfer ihrer Schönheit betrachtet, die sich gegen die ruchlosen Lüste ihres



*) Sie erschien zuerst in der Rivi"t-r Duroxs", Florenz, Juni und Juli 1877, dann in
einem besondern Abdrucke, endlich in zweiter Ausgabe 1879 unter dem Titel: l^nessvo
Lsnvi s ig, sus, tsMixliit. Aotiüis s äovumenti r^eeolti xor ^. lZsrtolotti.
Beatrice (Lenci.

Der neuern Geschichtsforschung ist es gelungen, viele früher allgemein als
wahr angenommene Thatsachen in das Gebiet der Sage zu verweisen. Wir
brauchen nur an die Weiber von Weinsberg, an den Heldentod der 400 Pforz¬
heimer in der Schlacht von Wimpfen, an das Testament Peters des Großen
u. a. erinnern. Der Eifer schießt aber anch mitunter über das Ziel hinaus,
indem aus neu entdeckten Documenten die kühnsten Schlüsse gezogen werden,
um die bisherige Tradition zu erschüttern. Dies ist neuerdings von einem sonst
anerkannt tüchtigen Archivar in Rom, A. Bertolotti geschehen. Derselbe hat in
seiner großes Aufsehen erregenden Schrift*) über Francesco Cenci und seine
Familie eine Menge bisher unbekannter Documente veröffentlicht, welche über
das zügellose Leben der römischen Barone zu Ende des 16. Jahrhunderts ge¬
nauern Aufschluß gewähren und daher für die Culturgeschichte besonders werth¬
voll sind. Er hat dieselben in dem Criminalarchive von Rom und in den
Archiven mehrerer Notare, die bis in das Jahr 1550 zurückreichen, mit großer
Mühe aufgespürt. Leider fand er aber nicht die Original-Acten über den welt¬
berühmten Proceß der schönen Vatermörderin Beatrice Cenci. Indessen gelang
es ihm doch, in der Vaticcmischen Bibliothek wenigstens einen summarischen
Auszug aus den voluminösen, aus 4100 Folioblättern bestehenden Acten auf¬
zustöbern. Dieser war ursprünglich für die Vertheidiger der Cenci, Farinaccio
und Jncoronati bestimmt und hat sich mit deren Defenfionsschriften zusammen¬
gebunden erhalten. Außerdem befinden sich noch zwei Handschriften in Venedig'
welche im wesentlichen mit einander übereinstimmen, aber aus einer etwas spä¬
tern Zeit herzurühren scheinen. Diese wurden schon von Fit. D. Scolari in
seiner 1855 zu Mailand herausgekommenen Schrift: Lsatrios vsnoi, eaus-z,
eslsvrs äst 86<ze>1c> XVI. Nsinoria. störten benutzt und auszugsweise mitge¬
theilt. Endlich hat auch Dalbono in seiner Storia all Lsatrios Lsnoi s as
«um wnixi (Neapel, 1864) mehrere Urkunden, namentlich aus den Verhörpro¬
tokollen der Beatrice und ihres Bruders Bernardo abdrucken lasten-

Nach der bisherigen Annahme, gestützt auf die Vertheidigung von Fari¬
naccio und die Darstellung von Muratori in seinen Annalen wurde Beatrice
als Opfer ihrer Schönheit betrachtet, die sich gegen die ruchlosen Lüste ihres



*) Sie erschien zuerst in der Rivi»t-r Duroxs», Florenz, Juni und Juli 1877, dann in
einem besondern Abdrucke, endlich in zweiter Ausgabe 1879 unter dem Titel: l^nessvo
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[0179] Beatrice (Lenci. Der neuern Geschichtsforschung ist es gelungen, viele früher allgemein als wahr angenommene Thatsachen in das Gebiet der Sage zu verweisen. Wir brauchen nur an die Weiber von Weinsberg, an den Heldentod der 400 Pforz¬ heimer in der Schlacht von Wimpfen, an das Testament Peters des Großen u. a. erinnern. Der Eifer schießt aber anch mitunter über das Ziel hinaus, indem aus neu entdeckten Documenten die kühnsten Schlüsse gezogen werden, um die bisherige Tradition zu erschüttern. Dies ist neuerdings von einem sonst anerkannt tüchtigen Archivar in Rom, A. Bertolotti geschehen. Derselbe hat in seiner großes Aufsehen erregenden Schrift*) über Francesco Cenci und seine Familie eine Menge bisher unbekannter Documente veröffentlicht, welche über das zügellose Leben der römischen Barone zu Ende des 16. Jahrhunderts ge¬ nauern Aufschluß gewähren und daher für die Culturgeschichte besonders werth¬ voll sind. Er hat dieselben in dem Criminalarchive von Rom und in den Archiven mehrerer Notare, die bis in das Jahr 1550 zurückreichen, mit großer Mühe aufgespürt. Leider fand er aber nicht die Original-Acten über den welt¬ berühmten Proceß der schönen Vatermörderin Beatrice Cenci. Indessen gelang es ihm doch, in der Vaticcmischen Bibliothek wenigstens einen summarischen Auszug aus den voluminösen, aus 4100 Folioblättern bestehenden Acten auf¬ zustöbern. Dieser war ursprünglich für die Vertheidiger der Cenci, Farinaccio und Jncoronati bestimmt und hat sich mit deren Defenfionsschriften zusammen¬ gebunden erhalten. Außerdem befinden sich noch zwei Handschriften in Venedig' welche im wesentlichen mit einander übereinstimmen, aber aus einer etwas spä¬ tern Zeit herzurühren scheinen. Diese wurden schon von Fit. D. Scolari in seiner 1855 zu Mailand herausgekommenen Schrift: Lsatrios vsnoi, eaus-z, eslsvrs äst 86<ze>1c> XVI. Nsinoria. störten benutzt und auszugsweise mitge¬ theilt. Endlich hat auch Dalbono in seiner Storia all Lsatrios Lsnoi s as «um wnixi (Neapel, 1864) mehrere Urkunden, namentlich aus den Verhörpro¬ tokollen der Beatrice und ihres Bruders Bernardo abdrucken lasten- Nach der bisherigen Annahme, gestützt auf die Vertheidigung von Fari¬ naccio und die Darstellung von Muratori in seinen Annalen wurde Beatrice als Opfer ihrer Schönheit betrachtet, die sich gegen die ruchlosen Lüste ihres *) Sie erschien zuerst in der Rivi»t-r Duroxs», Florenz, Juni und Juli 1877, dann in einem besondern Abdrucke, endlich in zweiter Ausgabe 1879 unter dem Titel: l^nessvo Lsnvi s ig, sus, tsMixliit. Aotiüis s äovumenti r^eeolti xor ^. lZsrtolotti.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/179>, abgerufen am 29.12.2024.